Die kälteste Zeit des Jahres naht und mit ihr werden, wie jedes Jahr, die Pelzmäntel auf die Straßen Russlands zurückkehren. Nach wie vor schwören viele Russen auf Kleidung aus echtem Fell und erwehren sich damit eines Umdenkens, das anderenorts derzeit ungekannte Ausmaße erreicht. Die Debatte um das Material, dessen Herstellung mit so viel tierischem Elend einhergeht, wird nicht länger von ökologischen Hardlinern geführt. Sie ist unlängst im Bürgertum, in Politik und Wirtschaft angekommen.
Selbst die Queen verzichtet auf echtes Fell
Mitte Oktober hat Kalifornien als der erste US-Bundesstaat ein Verbot gegen die Herstellung und den Verkauf von echtem Pelz ausgesprochen, das 2023 in Kraft treten soll. Bekannte Modegrößen wie Gucci, Prada, Michael Kors oder Versace haben ebenfalls ihre Entscheidung für das Imitat getroffen. Wie nun bekannt wurde, will selbst die königliche Garderobe von Großbritanniens Elisabeth II. künftig auf Echtfell verzichten. Die Tierschutzorganisation Peta zeigte sich erfreut und tatsächlich hat nicht zuletzt der Einsatz von Organisationen wie ihr maßgeblich zur aktuellen Lage beigetragen. In Russland jedoch sehen sich Tierrechtler nichts anderem als einem kulturellen Herzstück der hiesigen Kultur gegenüber. Bereits im sechzehnten Jahrhundert begann der Handel mit sibirischen Fellen und hält bis heute an. Der Pelzmantel, die „Schuba“, hat eine lange Tradition im größten Flächenstaat der Erde. Lange diente er der russischen Gesellschaft als Statussymbol, ist heute aber vor allem Ausdruck eines weiblichen Schönheitsideals, das auf den meisten sozialen Ebenen greift. Im Rollenverständnis zwischen Mann und Frau wird der Schuba ein besonderer Wert beigemessen: Ein geschenkter Mantel gilt als Liebesbeweis, ist beinahe Pflicht in der klassischen Beziehung zwischen Mann und Frau. Ein gängiger Scherz besagt, es gebe für den russischen Mann keine Ausrede, seiner Frau eine Schuba zu kaufen, solange er noch zwei gesunde Nieren besitze. Ist das überflüssige Organ dann erst einmal abgestoßen, investiert man das Geld am Besten in das höchste aller Gefühle, einen sibirischen Zobelpelz.
40 Marder für einen Mantel
Die Luxusmäntel, für deren Herstellung im Schnitt nicht weniger als 40 Tiere der Marderart ihr Leben lassen müssen, werden zu Preisen um die 90.000 Euro gehandelt. Beinahe überflüssig zu erwähnen, dass sich an den Haltungsbedingungen auf den ungefähr 70 Fellfarmen in Russland einiges aussetzen lässt. Aufnahmen des britischen Senders BBC aus dem Jahre 2016 zeigen verzweifelte Tiere, die immer und immer wieder an den Wänden ihrer Käfige auf- und abspringen. Doch dieser Grausamkeit steht im eisigen Russland, neben Tradition und Ästhetik, nicht zuletzt das Argument der Wärme gegenüber. Für die Verteidiger der Pelzkultur gibt es schlichtweg nichts, das besser vor Kälte schützt als der originale Nerz – erst recht nicht sein künstliches Pendant. Wer einen Pelzmantel trage, dem reiche darunter im Grunde nur ein dünnes Leibchen. Auf diese Weise verleiht der Nerz seinen Trägern Flexibilität und Komfort. So scheint es derzeit, dass sich russische Modeunternehmen in naher Zukunft nicht von der Schuba lösen werden. Egal, wie traurig die großen Zobelaugen auch dreinblicken mögen.
Patrick Volknant