Motorrad-Legende Ural kommt nicht mehr aus dem Ural

Im Juni wird im kasachischen Petropawlowsk die Produktion des Beiwagen-Motorrades der Marke Ural gestartet. Das Motorradwerk in Irbit ist somit einer der ersten russischen Betriebe, die aufgrund der Sanktionen seine Produktion in ein anderes Land verlegen.

Das Ural-Motorrad mit Beiwagen wäre auch eines Zaren würdig / RIA Novosti

Peter Heidingsfelder aus Frankfurt am Main ist seit 1998 Ural-Händler und fährt die urigen Gespanne selbst mit Begeisterung. „Ural-Fahren ist meine Leidenschaft“, so Heidingsfelder auf seiner Webseite. Als Vertragshändler für Ural ist er mit Beratung, Service, Reparaturen sowie dem Verkauf von neuen und gebrauchten Ural-Gespannen für Kunden „jetzt und auch in Zukunft gerne Ihr erster Ansprechpartner“. Aber mit der MDZ wollte der leidenschaftliche Ural-Fahrer nun doch nicht sprechen. Stattdessen verwies er auf das Distribution-Center für Europa, das sich in Österreich befindet. Dies hat nicht auf die Anfrage der MDZ geantwortet.

Heidingsfelders Kollegin Oksana Klinger aus der Ural-Zentrale, Gemeinde Ramin in Mecklenburg-Vorpommern, war gesprächiger. „Wir verurteilen auf das Schärfste die aktuelle Politik der russischen Regierung und beteiligen uns bewusst an den Sanktionen gegen Russland.“ Ihr Online-Shop, der Ersatzteile für alte Ural- und Dnepr-Motorräder vertreibt, ist nicht von der Einstellung der Lieferungen betroffen. „Da diese Motorräder den Ursprung bei BMW haben, ist es kein Problem, gewisse Ersatzteile in der EU herstellen zu lassen. Das machen wir auch“, sagt Oksana Klinger. Übrigens sind die Ural-Motorräder gar nicht sanktioniert.

Sowjetische Motorräder deutscher Herkunft

Es ist wirklich so, dass die Plattform für die Produktion von Beiwagenmaschinen in der Sowjetunion Ende der 1930er Jahre von der BMW R-71 stammte. Sie gehörte damals zur Ausrüstung der Wehrmacht. Eine Version ist, dass heimlich ein paar Motorräder gekauft worden waren und eines total auseinandergenommen wurde. Im Sommer 1941 begann die Sowjetunion in Moskau die Serienproduktion eigener Motorräder für die Armee. Die an die Hauptstadt heranrückende Wehrmacht zwang die UdSSR zur Verlagerung der Produktion in den Ural, in die kleine Stadt Irbit im Gebiet Swerdlowsk. Im Februar 1942 liefen die ersten Motorräder vom Band des Irbiter Motorradwerkes.

Ein richtiges Volksfahrzeug wurde das Motorrad vom Typ Ural bereits in den 1960er Jahren. Es wurde in der Landwirtschaft, bei der Miliz und in der Armee eingesetzt. In seiner Blütezeit produzierte das Irbiter Werk 130.000 Seitenwagengespanne pro Jahr. Zehntausende gingen in den Export, vor allem ins sozialistische Lager. Nach dem Zerfall der Sowjetunion änderte das Werk mehrmals seinen Namen und meldete einige Male Bankrott an. Der letzte Bankrott war im Jahre 2000. Damals kauften die ehemaligen Top-Manager Dmitri Lebedinski, Wadim Trjapitschkin und Ilja Hait den Betrieb. Sie konnten Geld auftreiben, um die Probleme mit den Kreditoren zu klären und die Motorräder zu modernisieren. Dann verließen zwei von ihnen das Geschäft, aber Hait blieb. Die neuen Modelle erinnern kaum noch an ihre sowjetischen Vorfahren. Man spricht im Werk davon, dass im Prinzip alle Einzelteile verändert wurden, aber das legendäre Erscheinungsbild geblieben ist.

Das Ural-Motorrad von heute

Ural ist heute ein stilvolles Retro-Fahrzeug für alle, die gerne mit hohem Adrenalinspiegel durch unwegsames Gelände fahren. 2021 ging man zum ökologischen Standard Euro-5 über. Das Motorrad Ural Gear Up, das Flaggschiff der Ural-Reihe, wird mit Heidenau-Reifen ausgeliefert. In den Motorrädern ist überhaupt viel Ausländisches vorhanden. Neben den deutschen Reifen und den Stoßdämpfern der Marke Sachs sind dort italienische Bremsen von Brembo, das Zündsystem von Ducati, japanische Zündkerzen NGK und die Batterie Yausa, schwedische Kugellager SKF und Einspritzpumpen des englischen Konzerns Delphi zu finden. Der Gesamtanteil an ausländischen Zubehörteilen beträgt zwischen 40 und 70 Prozent. Die Zeitschrift auto.ru schreibt, dass „an Einheimischem dort nur das Metall und die Hände sind, die es bearbeiten.“ Die ausländischen Teile beeinflussen natürlich auch den Endpreis des Produktes.

Dieses Spielzeug ist nicht gerade billig. Das Modell Ural Gear Up 2022 startete im August vorigen Jahres in Russland mit einem Preis von 1.189.000 Rubel, das waren damals 13.825 Euro. Heute kann man es in Jekaterinburg bei einem offiziellen Händler für 1.280.000 Rubel kaufen, was zum offiziellen Kurs 19.100 Euro sind. So viel kostet die Grundausstattung. Mit verschiedener zusätzlicher Ausstattung kann der Preis kann auf 1,8 bis auf 2 Millionen steigen. Ural Gear Up kostet in den USA 19 000 US-Dollar, das sind 17.850 Euro. Die Autohändler in den USA bieten zwei Jahre Garantie. Für 850 Dollar kann die Garantie noch um ein Jahr verlängert werden. In Deutschland verlangt man für ein Gespann ohne Beiwagenantrieb ab 16 800 Euro, in der Schweiz  20 000 Schweizer Franken.

Export-Produkt

Deshalb ist die Nachfrage nach Motorrädern mit Beiwagen in Russland eher bescheiden. 2021 brachte das Irbiter Motorradwerk 1150 Motorräder heraus, davon wurden nur 50 in Russland verkauft. Der Rest ging in den Export – in die USA (ca. 40%), nach Westeuropa (30%) und nach Asien. Die Statistik der vorhergehenden Jahre sah ähnlich aus. In den USA gibt es über 50 Händler, die Ural-Motorräder verkaufen. Ebenso viele werden in Europa auf der deutschen Webseite von Ural Motocycles aufgezählt. Ungefähr 20 davon entfallen auf Deutschland und die Schweiz.

Das Ural-Motorrad / Roland zh, Wikimedia

Wegen ihres ukrainisch-russischen Namens fällt in dieser Liste die Dnepr-Ural GmbH aus Oberägeri in der Schweiz auf. Sie ist schon lange auf dem Markt. Paul Nideröst begann 1984 mit seinem Partner mit dem Import der Dnepr-Gespanne. Dnepr ist die Handelsmarke für Seitenwagengespanne aus Kiew. Die Motorräder, ebenfalls basierend auf der BMW R-71, wurden von 1946 bis zum Jahre 2000 in der ukrainischen Hauptstadt hergestellt. 1999 gründeten Paul und Karin Nideröst ihre eigene Firma, die Dnepr-Ural GmbH. Heute ist sie Importeur für die Schweiz, bezieht die Gespanne über den Europa-Importeur in Österreich, beliefert drei weitere autorisierte Ural-Händler in der Schweiz und verkauft auch selbst  in ihrer Region direkt an Kunden. „Zurzeit werden keine Motorräder in Russland produziert. Zum Glück bekommen wir noch Ersatzteile und haben selber ein großes Lager, sodass wir den Service für die verkauften Maschinen gewährleisten können“, haben Paul und Karin Nideröst auf eine Anfrage der MDZ geantwortet.

Wer kauft die Ural-Gespanne?

„Die Käuferschaft in der Schweiz setzt sich sehr unterschiedlich zusammen: Familien mit Kind oder Hund, ältere Motorradfahrer, denen eine Solomaschine zu anstrengend ist, junge Leute, die auf Reisen gehen und auch als Winterfahrzeug oder für Gespann-Treffen, die von Liebhaber-Clubs organisiert werden. Die neuen Modelle sind für alle Leute geeignet, die einen Motorradführerschein haben. Die älteren Modelle, wie Ural 650 und insbesondere Dnepr, sind für Liebhaber, die auch gerne mal selbst schrauben und die Muße haben, am Lagerfeuer über ihre Pannen zu diskutieren.“

Die Verlegung nach Kasachstan

Die russische „Spezialoperation“ in der Ukraine hat die Logistikketten zerstört, die das Irbiter Werk in den vergangenen Jahren aufgebaut hatte. Im April traf Ilja Hait die Entscheidung, die Montage seiner Produktion in das kasachische Petropawlowsk, 600 Kilometer von Irbit und etwa 100 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, zu verlegen. „Die Gründe für den Umzug sind sowohl das Defizit an einigen Zubehörteilen als auch das Importverbot russischer Technik. Der größte Teil der Ural-Motorräder geht in westliche Länder, da­runter auch in die USA“, kommentierte Ilja Hait seine Entscheidung.

Anfangs wird in Petropawlowsk die SKD-Montage gemacht, Rahmen, Benzintank und der Seitenwagen kommen schon fertig gespritzt aus Irbit. Das Irbiter Motorenwerk fertigt weiterhin Rahmen und Elemente der Karosserie, aber ein Teil der Belegschaft wird entlassen werden. Und bei alldem scheint es so, dass das Werk im Ural einfach nicht völlig geschlossen werden kann, denn Ural ist nicht nur einfach ein Motorrad mit Seitenwagen, sondern ein Motorrad mit seiner eigenen Geschichte. Und die hat ihren Preis.

Olga Silantjewa

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