Mehr Bochum täte Russland gut

Beinahe jeder zehnte Russe lebt in sogenannten Monostädten, deren Wohl und Wehe von einem einzigen Großbetrieb oder Industrie­zweig abhängt. 321 davon gibt es in Russland. Wie es um sie bestellt ist, haben die Moskauer New Economic School und das Projekt „Um genau zu sein“ in einer Studie untersucht.

In Workuta, auf Hunderten Kilometern nur von Tundra umgeben, werden neue Ideen gebraucht, damit die Lichter nicht ausgehen. (Foto: Tino Künzel)

Togliatti, die Heimat des Lada-Werks. Workuta, die Kohlestadt hinterm Polarkreis. Baikalsk, bis 2013 Standort des berühmt-berüchtigten Zellulosekombinats, dessen Abwässer dem Baikalsee zusetzten. Die Liste der sogenannten Monostädte, die zu Sowjetzeiten um einen einzigen Großbetrieb herum entstanden, ist lang. 321 Namen enthält sie nach offiziellen Angaben gegenwärtig. Ihre gesonderte Erfassung hat einen einfachen Grund: Monostädte sind besonders krisenanfällig. In zwei Drittel davon stuft der Staat die soziale und wirtschaftliche Lage als schwierig ein.

Höchste Konzentration in Kemerowo

Eine Bild vom Zustand der Monostädte zeichnet nun auch eine Studie der Moskauer New Economic School und des Projekts „Um genau zu sein“. Allgemein gelten Städte als „mono“, wenn mehr als 20 Prozent der Berufstätigen für ein dortiges Unternehmen tätig sind. Mitunter können es aber auch fast alle sein. Die Autoren der Studie führen als Beispiel den 3700-Seelen-Ort Kamenka in der Region Iwanowo an, wo 80 Prozent für den Textilbetrieb „Roter Oktober“ arbeiten. Sogar 90 Prozent sind es in der etwa gleichgroßen Gemeinde Wostok an Russlands Pazifikküste mit ihrem Bergbaukombinat.

Laut Statistik leben in Russlands Monostädten 12,7 Millionen Menschen. Das macht knapp neun Prozent der Bevölkerung. In der sibirischen Region Kemerowo (Kusbass) mit ihrer Kohleindustrie sind sogar 60 Prozent der Einwohner in Monostädten zu Hause. Von denen gibt es hier 24, russlandweit der Spitzenwert.

Erheblicher Einwohnerschwund

Generell sind besonders viele Monostädte vom Maschinenbau (70) und der Rohstoffförderung (64) geprägt. Am problematischsten sei die Gegenwart für Städte, die der Glas- und Holzindustrie verschrieben sind, heißt es in der Studie. Dort, wo die Lebensmittel-, die Chemie- oder Baustoffindustrie die Hauptrolle spielt, laufe es deutlich besser. Städte, die von der Öl- und Gasproduktion leben, werden in Russland gar nicht erst als Monostädte gelistet. Sie gelten als vergleichsweise wohlhabend.

Verwiesen wird in der Studie auch darauf, dass die Monostädte massiv Einwohner verlieren. Der mittlere Bevölkerungsschwund gegenüber dem Stand von 2011 liege demnach bei sieben Prozent. In sonstigen Städten seien es nur 2,1 Prozent.

Was tun? Die Autoren argumentieren mit Beispielen aus dem Ausland, etwa dem Ruhrgebiet. Einfach nur die Beschäftigtenzahl im „Monobetrieb“ zu reduzieren, sei keine Lösung. Der Ausweg müsse in der Diversifizierung der Wirtschaft, im Tourismus und im Grunde im Übergang von der Industrie- zur postindustriellen Informations- und Dienstleistungsgesellschaft bestehen. In einzelnen Fällen werde man aber nicht umhinkommen, Monostädte aufzugeben und ihre Einwohner umzusiedeln.

Tino Künzel

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