Immer im Fokus

Mithilfe künstlicher Intelligenz werden Verkehrssünder in Russland zur Kasse gebeten. Bislang sind die Standorte der Kameras individuell gekennzeichnet. Das soll sich nun ändern.

Kameras Straßenverkehr
Jede Kamera ist derzeit noch mit einem solchen Schild gekennzeichnet. (Foto: AGN Moskwa)

Taxis stauen sich vor dem Halteplatz am Jaroslawler Bahnhof in Moskau, eine Viertelstunde geht so gut wie nichts voran. „Ich kann auch hier aussteigen, ich hab’ es etwas eilig“, sage ich naiv zum Fahrer. „Sorry, überall Kameras hier“, erwidert der mit einem Fingerzeig nach oben. Würde er mich mitten auf der Straße aussteigen lassen, bekäme er direkt einen Bußgeldbescheid.

Moskaus Straßen stehen im Fokus von über 2600 Überwachungskameras, die in den vergangenen zehn Jahren installiert wurden. Geahndet wird so ziemlich alles, was der Bußgeldkatalog hergibt: zu schnelles Fahren, verbotene Abbiegemanöver, Überfahren roter Ampeln und eben die Missachtung des Halteverbots.

Kameras erkennen Gurtmuffel

Stetig verbesserte Kamera- und Softwaretechnik ermöglicht immer neue Anwendungen. Seit Ende 2020 gibt es acht Kameras, die erkennen, ob die Fahrer angeschnallt sind oder während der Fahrt telefonieren. Zum Einsatz kommt dabei eine künstliche Intelligenz, die anhand tausender Vergleichsaufnahmen Verstöße ermittelt. Die von der Software entdeckten Fälle werden danach von Mitarbeitern der Bußgeldstelle überprüft.

In den ersten zwei Monaten wurden bereits über 4200 Gurtmuffel dank der neuen Kameras überführt, wie das Magazin „Autonews“ jüngst meldete. Dabei sind die Standorte dieser neuen Kameras kein Geheimnis. Und auch sonst ist jedes Exemplar in Russland individuell gekennzeichnet – mit einem eigenen Zeichen, das zusätzlich zum entsprechenden Verbotsschild oder an der betreffenden Ampel angebracht ist. Denn nach offizieller Lesart geht es dabei in erster Linie darum, Unfälle zu vermeiden.

Kameras kennzeichnen oder nicht?

Erst 2019 kam von höchster Stelle die Anweisung, die Kameras nicht zu verstecken. Anstatt die Fahrer zu angepasstem Verhalten zu bewegen, seien so lediglich Bußgelder das Resultat, sagte Präsident Wladimir Putin damals gegenüber der Nachrichtenagentur „Tass“. Der Sicherheit sei damit nicht gedient.

Pjotr Schkumatow, Koordinator der Bürgerbewegung der Blauen Eimer glaubt dennoch, dass viele der Kameras vorrangig dem Eintreiben von Bußgeldern dienen, wie er der Zeitung „Kommersant“ sagte. Die Moskauer Verkehrsbehörde meldete dagegen schon 2016, dass die Unfälle an den Stellen mit Videoüberwachung um 30 Prozent zurückgegangen seien.

Jetzt trat allerdings eine neue Regelung in Kraft, die den Vorwurf der Geldmacherei eher noch befeuert. Seit dem 1. März soll es ausreichen, an den Ortseingängen auf das Vorhandensein von Überwachungskameras in einer Stadt hinzuweisen. Das Innenministerium argumentierte hierfür ebenfalls mit der Verkehrssicherheit, denn die Straßen würden durch weniger Schilder übersichtlicher. Bis September haben die Regionen nun Zeit, die neuen Schilder aufzustellen.

145 Millionen Bußgeldbescheide im Jahr

Nicht nur die Blauen Eimer halten allerdings die individuelle Warnung vor jeder Kamera für sinnvoll. Das Verkehrsministerium hatte sich ebenfalls weiterhin dafür ausgesprochen. Moskaus Verkehrsbürgermeister Maxim Liksutow dagegen ist der Ansicht, im Zeitalter des Internets solle man das Geld besser für mehr Kameras ausgeben, es wisse sowieso jeder, wo diese stehen. In der Tat sind sie in jedem Navigationssystem verzeichnet. Seit 2019 gibt es auch eine offizielle Karte, auf der jede Kamera detailliert beschrieben ist.

Das scheint aber viele Russen dennoch nicht dazu zu verleiten, sich an die Regeln zu halten. Im Jahr 2020 wurden mithilfe der Kameras über 145 Millionen Bußgeldbescheide ausgestellt, die meisten davon in Moskau. Unbehelligt blieben dagegen die Autofahrer im Autonomen Kreis der Tschuktschen im Fernen Osten Russlands. Das ist die einzige Region, in der es noch keine Kameras auf den Straßen gibt.

Jiří Hönes

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