
Die „Rote Tür“ (1965) des sowjetischen und französischen Malers Michail Roginski. Dahinter: die absurde, unpersönliche und ungemütliche Welt der Figuren von Franz Kafka. Der Schriftsteller starb 1924, nachdem er den Geist des 20. Jahrhunderts vorweggenommen und vermittelt hatte. Die Sowjetunion schaffte es, vieles von dem, was er in seinen Werken beschrieb, Wirklichkeit werden zu lassen. Und Michael Roginski, dessen Vater 17 Jahre in den Lagern der Stalinzeit verbrachte, konnte ein Lied davon singen.
Seine „Rote Tür“, die heute zu den Exponaten der Tretjakow-Galerie gehört, entstand ein Jahr nach den ersten russischen Kafka-Veröffentlichungen in der Zeitschrift „Ausländische Literatur“. Der Maler Wagritsch Bachtschanjan reagierte darauf 1964 mit einer umgedichteten Zeile aus einem sowjetischen Lied: „Wir sind geboren, um Kafka mit Leben zu erfüllen.“ In der Ausstellung im Jüdischen Museum verweisen alle Kunstwerke (über 100 aus verschiedenen Museen und Sammlungen) auf die zentralen Themen im Schaffen Kafkas: Einsamkeit, Absurdität und die Unmöglichkeit, dem unpersönlichen Raum etwas entgegenzusetzen.
Alle Wege führen zum „Schloss“
An der „Roten Tür“ kann sich der Besucher aussuchen, wohin es von hier aus weitergehen soll. Die Veranstalter bieten ihm zwei Möglichkeiten. Beide Wege führen ins Herz der Ausstellung, einer Anspielung auf den Roman „Das Schloss“ (1922). Eine der wahr gewordenen Prophezeiungen Kafkas – die des totalitären Systems, gegründet auf Angst und Irrsinn – illustrieren architektonische Utopien, allen voran die Entwürfe Boris Iofans für den Palast der Sowjets in Moskau, und Manifeste wie das Bild „Internationale rote Hilfe“ von Heinrich Vogeler (1924). Die „Kriegsinvaliden“ von Juri Pimenow (1926), innerlich gebrochen und äußerlich verunstaltet, scheinen zu schreien: „Nie wieder!“
Doch in gänzlich finsterer Stimmung entlässt die Ausstellung ihren Besucher nicht. Am Schluss ist auf einer kleinen Bühne ein anderer Kafka zu sehen, einer mit Sinn für Humor, als Mitarbeiter geschätzt und zu Lebzeiten publizierend. Die Ausstellung erweckt sozusagen ein Kapitel aus dem Roman „Amerika“ zum Leben. Nach den Worten von Max Brod, Freund und Herausgeber von Kafka, bestand dessen Schaffen aus „neun Teilen Verzweiflung und einem Teil Hoffnung“.

Aus zehn Teilen beziehungsweise Sälen besteht auch die Kafka-Ausstellung im Jüdischen Museum. Sie können in beliebiger Reihenfolge besichtigt werden. Am Eingang liegen kleine Reiseführer aus. Anhand zweier Routen werden die Werke kurz beschrieben, was dabei hilft, sich in der kafkaesken Welt zurechtzufinden.
Die Ausstellung läuft bis zum 14. Januar 2024.
Olga Silantjewa