
Ihr Projekt „I Remember“ feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Bestehen. Ist es Ihnen gelungen, das zu erreichen, was Sie zu Beginn vorhatten? Und was haben Sie sich damals gewünscht?
Ich kam auf die Idee, als meine Mutter starb. Mein Vater starb bereits früher. Das Problem war, dass ich den Kontakt zu dieser Generation verloren hatte. Völlig verloren. Und ich wollte irgendwie eine Verbindung zu ihnen herstellen. Aber wie? Ich war 30, sie waren in ihren 70ern, das ist eine riesige Kluft. Die Interviews waren eine Möglichkeit, diese Distanz zu überbrücken. Es war etwas Persönliches, ich hätte nicht gedacht, dass sich daraus ein Projekt entwickeln würde.
Haben Sie angefangen, Verwandte zu befragen?
Mein Vater hat den Krieg miterlebt, er wurde 1919 geboren. Also habe ich angefangen, die Freunde meines Vaters zu interviewen. Es gab das erste Interview mit Natalia Peschkowa, Juri Iwanowitsch Karjakin und meinem Onkel, Wladimir Adolfowitsch Dolmatow. Das waren die ersten drei Interviews. Glücklicherweise gab es keine Barriere zwischen uns.
Sie hatten keine Barriere. Aber viele Menschen beklagen sich, dass die Frontkämpfer sehr ungern über den Krieg sprechen.
In dieser Situation sage ich immer: Welche Fragen haben Sie gestellt? Zum Beispiel: „Erzählen Sie mir etwas darüber, wie Sie im Krieg gekämpft haben.“ Das ist keine Frage. Selbst wenn man einen Verwandten hat, muss man mit einer Liste von Fragen zu ihm gehen. Dann wird es eine Geschichte. Man muss immer einen Zugang finden, die richtigen Fragen stellen und Interesse zeigen. Als ich die Veteranen besuchte, war mir klar, dass ich hier arbeite. Meine Aufgabe ist es, sie zu fragen, und ihre Aufgabe ist es, zu antworten. Natürlich waren nicht alle bereit, sich interviewen zu lassen, aber ich kann Ihnen versichern, dass es sich dabei nicht um einen sehr großen Teil der Gesamtzahl handelte.
Stand die Liste der Fragen von Anfang an fest?
Damals gab es eine Community vif2ne.org, aus der viele Kriegsforscher kamen. Ich habe einfach im Forum gepostet, ob es einen Veteranen gibt, dem ich Fragen stellen kann. Meine ersten Fragen waren etwas naiv. Ich hatte eine absolut idealistische Sicht des Krieges.
Was haben Ihnen die Interviews mit den Veteranen offenbart?
Ich habe festgestellt, dass es dasselbe Leben ist, aber unter Bedingungen, die das eigene Leben in Gefahr bringen. Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem, was die Leute öffentlich berichten, und dem, was sie zu Hause am Tisch erzählen. Es gibt eine Vorstellung, die durch Bücher, Filme und sogar Geschichten geprägt ist. Sie ist idealistisch. Oder mythologisiert. Aber hier sieht man das gewöhnliche Leben, die gewöhnlichen Menschen. Ich habe festgestellt, dass der Krieg wie ein Teststreifen ist, der alles sehr deutlich zeigt. Und sehr oft sind es nicht die besten Eigenschaften. Ich habe auch eine gewisse Trivialität der Heldentat entdeckt. Menschen in einer lebensbedrohlichen Situation haben einfach ihre Arbeit gemacht.
Was war die größte Schwierigkeit bei Ihrer Arbeit?
Erstens gab es nie genug Geld, um das Projekt zu unterstützen. Und zweitens war es am schwierigsten, ein Interview zu vereinbaren. Es ist nicht schwer, ein Interview zu führen und aufzunehmen. Schwieriger ist es, sich zu einigen und zu erklären, was du vom Gesprächspartner willst.
Wie haben Sie Frontkämpfer für Interviews gefunden? Über die Veteranenverbände?
Über die Verbände, ja. Es gab Zeiten, in denen ich Listen von den städtischen Veteranenräten bekam. Aber die effektivste Methode ist die Vernetzung, von Mensch zu Mensch. Schließlich habe ich eine Methode entwickelt: Ich habe ein Interview geführt und die Veteranen gebeten, ihre Kumpels anzurufen. Das war hundertprozentig effektiv. In Moskau wurde es ab einem bestimmten Punkt schwierig, überhaupt jemanden zu erreichen. Als ich mit diesem Projekt begann, war Patriotismus fast ein Schimpfwort. Die Veteranen fühlten sich im Stich gelassen, sie beschwerten sich bei mir darüber. Aber nach fünf bis sieben Jahren wurde es unmöglich, zu ihnen durchzudringen. Man musste Schlange stehen: Zu Veteranen kam der Erste Kanal zu Besuch sowie Bezirksvorsteher. Es wurde einfacher, Interviews in den Regionen zu arrangieren.
Es gibt unterschiedliche Haltungen zur mündlichen Geschichte, Oral History. Die einen sagen, dass nur dort die Wahrheit zu finden ist, während andere dazu aufrufen, solchen Erinnerungen keinen Glauben zu schenken. Was meinen Sie dazu?
Es gibt ein russisches Sprichwort: Er lügt wie ein Augenzeuge. Auf keinen Fall sollte man den Worten von Ereignisaugenzeugen trauen. Denn das Gedächtnis versagt, und die Menschen wollen sich selbst im besten Licht darstellen. Das ist ganz verständlich. Die Hauptquelle für Informationen und Wissen sind jedoch Dokumente. Sie werden umgehend verfasst, wie z. B. Schlachtenprotokolle, und Interviews werden 50 oder auch 70 Jahre später gegeben. Aber man kann auch die mündlichen Quellen nicht ignorieren. Nicht alles ist eine Lüge.
Einige Kommentatoren auf iremember.ru bezeichnen Veteranen, die sich zu weit von den bekannten Fakten entfernen, sogar als Märchenerzähler. Filtern Sie solche Interviews nicht?
Ich filtere sie nicht, weil es eine solche Aufgabe nicht gibt. Meine Aufgabe ist es, sie aufzuzeichnen und in einer lesbaren Form zu präsentieren. Es ist unmöglich, diese Interviews mit einem wissenschaftlichen Kommentar zu versehen. Es stellt sich heraus, dass jeder lügt, denn fast jeder hat einige Episoden in seinem Gedächtnis vermischt und andere abgespalten. Aber Frontsoldaten lügen nie, wenn es darum geht, mit wem sie Seite an Seite gedient haben. Und wir haben zu jedem erwähnten Nachnamen einen Kommentar verfasst. Und jeder erwähnte Nachname wird im Archiv überprüft. Dies ist die Linie, die das Fabelhafte vom Realen trennt.
In Interviews stellen Sie Ihren Gesprächspartnern Fragen über die Haltung zu Stalin, über die Strafbataillone und Sagradotrjady – Sperreinheiten. Schwere Gewichte. Haben Sie sich zum Ziel gesetzt, irgendwie mit den Mythen um diese kontroversen Themen umzugehen?
Es gab ein paar Dinge, die ich nie versucht habe zu tun. Erstens habe ich nie versucht, mich mit den Personen, die ich interviewte, anzufreunden. Zweitens habe ich nie versucht, Dinge aus einer Person herauszubekommen, die sie nicht erzählen wollte oder die sie beschämen. Ich arbeitete mit älteren Menschen, und ich wollte auf keinen Fall nach dem Verlassen der Wohnung eines Veteranen einen Anruf erhalten, dass die Person nach dem Gespräch gestorben war. Glücklicherweise habe ich nie einen solchen Anruf erhalten. Und so hatte ich keine Lust, Mythen zu entlarven oder eine Person zu entlarven. Das ist nicht meine Aufgabe. Aber natürlich habe ich Fragen gestellt, die für mich interessant waren. Über die Einstellung zu Stalin. Über die Einstellung zu den Frauen an der Front – ein sehr spezielles Thema, um es vorsichtig auszudrücken. Über Strafbataillone, über Läuse an der Front. Meine Aufgabe war es, ein Mosaik zusammenzusetzen. Wenn auch nur eine Person mir etwas nicht sagt oder mir falsche Geschichten erzählt, werde ich 10, 20, 30 andere Personen befragen und habe trotzdem ein Bild.
Wie viele Interviews haben Sie schon hinter sich?
Ich möchte mich nicht mit der genauen Zahl vertun. Und es muss unbedingt gesagt werden, dass dies bei Weitem nicht alles ist, was ich getan habe. Schon einen Monat nach der Geburt des Projekts kamen Leute mit Hilfsangeboten, und zwar nicht nur aus Russland. Der Erste, der kam, war aus den USA. Dann meldeten sich Menschen aus Israel, Deutschland, Schweden, Finnland und England. Insgesamt gab es etwa 4000 Interviews. Davon waren etwa 600 oder 700 von mir.
Welche von ihnen haben Sie am meisten beeindruckt?
Ich erinnere mich an die ersten Gespräche. Und an die schwierigen, wie das mit Wassili Pawlowitsch Brjuchow. Er erzählte mir vier Stunden lang von seinem Leben an der Front. Mir fiel die Kinnlade runter. Dann haben wir ein Buch mit ihm gemacht.
Sie haben auch Interviews mit Soldaten der Gegenseite geführt. Wie sind Sie überhaupt auf diese Idee gekommen? Welche Frage sollte das Projekt über die Gegner beantworten?
Ich war neugierig: Wie war es bei ihnen? Ich wollte einfach verstehen, wie sie lebten. In acht Jahren hatte ich einigermaßen verstanden, wie ein Rotarmist in den verschiedenen Truppenteilen der Armee lebte. Und auch die Haltung gegenüber dem Feind konnte ich ungefähr nachvollziehen. Aber auf der anderen Seite standen die gleichen Leute. Ja, der Feind, Faschisten, und hier gibt es verständlicherweise eine Entmenschlichung. Aber es handelte sich um dieselben Menschen. Es war interessant, diese menschliche Natur zu verstehen, was sie zum Kämpfen motivierte, was sie fühlten, welche Art von Erziehung und Bildung sie hatten. Ich wollte wissen, was sie über das Land wussten, in das sie kamen. Die Haltung gegenüber Hitler zum Beispiel war für mich überhaupt nicht offensichtlich. Es hat vier Jahre gedauert, bis ich die Möglichkeit hatte, dieses Projekt (frontstory.ru) zu verwirklichen.
War es finanziell schwierig?
In Deutschland war damals das einzige Thema, das man studieren konnte, der Holocaust. Und Kriegsverbrechen. Fast alles, was nicht zum Mainstream gehörte, galt als Randthema. Wie sich später herausstellte, gab es zwar Kameradschaften, in denen sich ehemalige Soldaten zusammenschlossen, aber das war alles so halb im Untergrund. Um ehrlich zu sein, hat mich die deutsche Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt ein wenig überrascht. Diese Kameradschaften waren nicht verboten, sie veröffentlichten ihre Zeitschriften, hielten ihre Versammlungen ab. Natürlich konnte man dort keine Symbole zeigen, aber Kriegsveteranen versammelten sich. Auf der offiziellen Ebene gab es jedoch nur den Holocaust und die deutsche Verantwortung für Kriegsverbrechen. Darin liegt eine gewisse Doppelmoral.
Natürlich hat diese Arbeit viel Geld gekostet. Ich habe sie drei Jahre lang ausgeübt, solange ich die Mittel dazu hatte. Und ich war tatsächlich fast der Letzte, der mit diesen Zeitzeugen Interviews führte. Ich kam 2012 nach Deutschland, und diese Kameradschaften hatten ihre Aktivitäten fast eingestellt. Es gab kaum noch Leute. Das war die Schwierigkeit der Arbeit im Vergleich zu Russland. In Russland kann man von Veteranenverbänden eine Liste von Frontsoldaten bekommen, aber in Deutschland musste man alles über Verbindungen, über Netzwerke machen. Und deshalb bin ich in den drei Jahren, in denen ich in Deutschland gearbeitet habe, 25 000 Kilometer gefahren. Es lagen also nie weniger als 200 Kilometer zwischen den Gesprächen.
Haben Sie alle Interviews aus Deutschland veröffentlicht?
Nein, nicht alles, etwa 60 Prozent davon. Dieses Material liegt schon seit vielen Jahren herum. Ich habe mein gesamtes Archiv dem Archiv für Phonodokumente (Russisches Staatsarchiv für Phonodokumente, RGAFD – Anm. d. Red.) überlassen.
Sie haben mit sowjetischen Soldaten und deutschen Veteranen Kontakt gehabt. Wie groß war der Unterschied und in welcher Weise hat er sich manifestiert?
Es gibt einen großen Unterschied zwischen uns und den Deutschen. Man kann die Russen mit einer Zeile aus einem Lied beschreiben: „Manche Worte sind für die Küche, andere für die Straße“. Zuerst dachte ich, dass ist auch bei den Deutschen so, da ihre Erinnerungen für das russische Ohr völlig emotionslos sind. Ich dachte, es handele sich um so etwas, wie wir es in Russland bei den offiziellen Auftritten oft beobachten können. Aber dann stellte sich heraus, dass es einfach eine andere Kultur ist. Einem Deutschen fällt es manchmal leichter, nackt zu sein, aber es ist ihm sehr schwierig, seine Seele zu entblößen. Wir sprechen über Gefühle, über Beziehungen, die Deutschen sind mehr auf Taten fixiert. Und natürlich kommt noch ihr Trauma hinzu. In Hunderten von Interviews hat mir nur eine Person gesagt: „Ich habe auf ihn geschossen und er ist gefallen.“ Und gleich fügte der deutsche Veteran hinzu: „Aber vielleicht hat er sich versteckt.“ Die unseren reden gerne darüber, wie viele sie gefangen genommen, erschossen haben etc. Bei den Deutschen fehlen die Kampfepisoden fast völlig.
Aber Sie haben es geschafft, einige Leute zum Reden zu bringen. Sie schrieben, dass es einen schweigsamen ehemaligen SS-Mann gab, der bei der Frage nach Tänzen lebhaft wurde.
Ja, ja. Das ist eine epische Geschichte. Er war tatsächlich von der „Wiking“ (5. SS-Panzer-Division „Wiking“ – Anm. d. Red.). Er sagte, sie hätten alles wie die Wehrmacht gemacht. Und davor habe ich etwa 15 Stunden mit einem wunderbaren Geschichtenerzähler verbracht, der mir verriet, wie sie ausgebildet wurden. Unter anderem hatten sie Tänze in der Schule. Also habe ich den SS-Mann nach Tänzen gefragt, ob sie auch solchen Unterricht hatten. Zuerst hatte er mich nicht gehört, aber als er begriff, dass ich ihn nicht nach Panzern, sondern nach Tänzen fragte, veränderte sich sein Gesicht.
Wir fingen um 7 Uhr abends an und ich verließ ihn um 1 Uhr nachts. Am nächsten Tag kam er uns mit einem Kuchen entgegen. Er erzählte uns von den Olympischen Spielen 1936. Ein Scheinwerfer war auf ihn gerichtet, und in diesem Moment fiel ihm ein Kranz aus den Händen, und zwar vor Hitlers Augen. Sie können sich das Entsetzen eines 15-Jährigen vorstellen.
Sie haben auch über den berühmten Panzerkommandanten Otto Carius geschrieben. Es hat lange gedauert, ein Interview zu vereinbaren. Das Problem war das Geld, nicht wahr?
Es war das einzige Mal in meinem Leben, dass ich überhaupt für ein Interview bezahlt habe. Einmal bat mir ein Deutscher an, 20 Euro für ein Interview zu nehmen. Als ich das ablehnte, bestand er darauf, das Gespräch mit Sandwiches zu „bezahlen“. Er war sehr hartnäckig, also musste ich die belegten Brötchen nehmen. Wir konnten in der Tat lange Zeit nicht zu Carius vordringen. Es stellte sich heraus, dass das Problem lösbar war: 100 Euro öffneten die Tür.
Ich hatte auch eine tolle Geschichte mit von Ribbentrop (Rudolf von Ribbentrop, Sohn von Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop – Anm. d. Red.). Wir haben mehr als sechs Monate lang versucht, mit ihm zu verhandeln. Irgendwann habe ich einen letzten Versuch unternommen. Er schrieb ein Buch über seinen Vater. Ich schickte ihm einen Vertrag zur Übersetzung des Buches ins Russische. Drei Tage später rief er mich an und lud mich ein, zu ihm zu kommen. Als die Übersetzung des Buches erschien, besuchte er Russland. Wir fuhren nach Prochorowka (wo im Juli 1943 die größte Panzerschlacht des Zweiten Weltkrieges stattfand – Anm. d. Red.).
Die jüngere Generation nimmt das Thema des Zweiten Weltkriegs nicht so wahr, wie wir, Enkel der Veteranen. In der Regel interessieren sie sich dafür nicht so sehr …
Hier stellt sich die Frage: Was ist die Norm? Es ist klar, dass der „Feiertag mit Tränen in den Augen“ für diejenigen ist, die dort gekämpft haben. Für uns war das nicht mehr so. Für die neue Generation ist es eine Art alte Geschichte. Genau wie wir den Vaterländischen Krieg von 1812 wahrnehmen. Aber wir sollten diese Geschichte kennen. Denn es war eine ungeheure Herausforderung, mit der sich keine SVO vergleichen lässt. Wir müssen von den Entbehrungen wissen, die die Kriegsgeneration ertragen musste, und die Veteranen respektieren. Dieser Respekt drückt sich in Stolz aus, dass sie gewonnen haben.
Das Interview führte Igor Beresin.
Über den Krieg aus erster Hand: Auszüge aus den Interviews mit zwei Kriegsveteranen.
Nikolai Majorow

Ich bin ein gebürtiger Moskauer. Ich habe immer in der Nähe der Tretjakow-Galerie gewohnt. Der Aeroclub war hier in Moskau angesiedelt. Die Vertreter des Militärs wählten dann eine Gruppe von uns aus und schickten uns nach Gostomel bei Kiew. Dort gab es eine Militärpilotenschule. Im Sommer 1941 machten wir unseren Abschluss.
Unsere Kadetten schliefen in Zelten am Rande des Flugplatzes. Es waren Flugzeuge in der Nähe. Und dann explodierten die Bomben. Die Flugzeuge, Zelte, Gebäude gingen in Flammen auf. Es wurde klar, dass der Krieg begonnen hatte.
Nun, begannen wir zu kämpfen. Ich erinnere mich, dass Juri Minajew verbrannt wurde. Ein Moskauer, ein junger harter Kerl, ein guter Pilot. Er flog neben mir, rechts von mir. Er brennt und schaut aus dem Fenster zu mir. Was kann ich tun, um zu helfen? Ich erinnere mich noch an seinen Blick. Ein Schrapnell hat die Kabine verschlossen. Man saß in einem Käfig und wartete darauf, dass man verbrannte. Es ist wie ein Luftkrematorium.
Die Deutschen durchbrachen unsere Verteidigungslinie. Wir mussten sie aufhalten. Wir trafen das Ziel, aber dann explodierte eine Flugabwehrgranate in der Nähe meines Cockpits. Sie zerstörte den Motor. Ich musste ihn neu starten, aber mein Arm war nicht da. Die Schulter war gebrochen, Blut, der Arm war hinter meinem Rücken verschwunden. Gott weiß, woran er sich noch festgehalten hat.
Wir landeten auf deutschem Gebiet. Wir wurden sofort von einer Gruppe von Nazi-Maschinengewehrschützen umzingelt. Die Kugel traf mich in den Kopf, direkt unterhalb des Gehirns, und ging durch. Mein ganzer Kiefer war aufgerissen. Mein Arm hing an Gott weiß was.
Sie brachten mich auf ein Feld in der Nähe der Stadt Czestochowa. Dort errichteten sie ein provisorisches Lager: Stacheldraht, schreiende verwundete Männer. Ich bat: „Gebt mir zu trinken!“ Aber meine Zähne waren kaputt, es ragten nur noch Splitter heraus. Ich konnte weder essen noch trinken. Meine Kameraden holten Wasser aus einer Pfütze und fingen an, es in meinen Mund zu tropfen. Und das hat mich gerettet.
Sie brachten uns in das Lager Küstrin an der Oder. Dort waren europäische Gefangene untergebracht. Sie erhielten regelmäßig Pakete vom Roten Kreuz. Jeden Monat kamen Kisten mit verschiedenen Lebensmitteln. Der russische Sektor wurde getrennt gehalten. Er wurde strengstens bewacht. Es war sinnlos, Pakete von Genosse Stalin zu erwarten, und die Hilfe des Roten Kreuzes ging uns nichts an.
Schließlich stürmen unsere Panzer das Lager. Wir sind befreit! Sieg! Dann kamen sie zu mir: Verhaftung. Also, ein weiteres Konzentrationslager. Diesmal unseres, ein sowjetisches. Ich kam in die Nähe von Ufa. Es wurden Unterstände gegraben, Stroh wurde auf den Boden geworfen. Ein Unterstand war voll von Flöhen. Das Essen war ekelhaft. Es gab fast keine medizinische Versorgung. Sie quälten mich mit Verhören: „Warum hast du dich nicht erschossen?“
Dann kam der große Häuptling. Sie stellten nur Piloten auf. Er sagte zu uns: „Das Vaterland verzeiht euch alles.“ Warum uns verzeihen? Nun, ich kam nach Hause. Ich musste mich jedoch noch behandeln lassen. Ich ging ins Ismailowo-Krankenhaus für eine rekonstruktive Operation. Es war das erste Mal, dass ich eine richtige Operation am Arm und Kopf hatte.
Es gelang mir, eine Stelle an der Akademie der Wissenschaften zu bekommen. Mein Berufsleben ist mit dem Institut für Physik verbunden.
Heinz Kühn

Mein Name ist Heinz Kühn. Geboren wurde ich am 15. August 1920 in Wernsdorf bei Glauchau in Sachsen. Die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend war Pflicht. Ihr hattet doch auch Pioniere und Komsomolzen in der Schule, oder? Wir hatten sie auch: Jungvolk, Hitlerjugend. Ich meldete mich freiwillig zur Wehrmacht: Ich wollte so schnell wie möglich meine Wehrpflicht erfüllen. Wir wurden an 37-mm-Panzerabwehrkanonen ausgebildet. Später an der Front nannten wir sie „Panzer-Abklopfgerät“. Die Granaten prallten an die Panzerung des T-34-Panzers wie Erbsen.
Das Gefühl, dass wir für einen ernsthaften Einsatz ausgebildet werden, fehlte völlig. Den Beginn des Krieges empfand ich mit Verdruss: Ich wollte nach Hause zurückkehren, es gab bereits Pläne zum Heiraten. Das hieß nicht, dass ich gegen den Krieg an sich war. Die Siegerländer des Ersten Weltkriegs, die von den Reparationen Deutschlands profitierten, hatten alle Möglichkeiten, ihn zu verhindern. Sie hätten nur einer Revision des Versailler Vertrages zustimmen müssen. Sie haben dem nicht zugestimmt, uns blieb nur eines übrig: unsere Rechte mit den Waffen in der Hand zu verteidigen. Es gab keinen anderen Ausweg.
Wir kämpften fast die ganze Zeit in der Ukraine. Es fällt mir schwer, heute über jede einzelne Episode zu sprechen: Vieles ist aus meinem Gedächtnis verschwunden. Ich sage das nicht, weil ich etwas zu verbergen hätte. Wenn ich irgendwelche Verbrechen zu verantworten hätte, wäre ich nicht aus der Gefangenschaft zurückgekehrt. Die Russen wussten alles ganz genau.
Vor dem Krieg wusste ich nichts über die Ukraine. Null. Ich war überrascht von der Begeisterung, mit der uns die Bevölkerung begrüßte: Brot, Salz, Fahnen, manche sogar auf Deutsch. Es kam vor, dass einige Leute uns hinterherriefen: „Hitler kaputt!“ Wir schenkten ihnen keine Beachtung.
Wir empfanden keinen Hass gegenüber den einfachen Soldaten: Sie schossen auf uns, aber wir schossen auch auf sie. Das ist es, worum es im Krieg geht. Gegen die Kommissare aber waren wir stark verbittert. Manchmal haben wir sie nicht gefangen genommen, sondern gleich umgebracht.
Ich persönlich hatte seit Stalingrad den Glauben an den Sieg verloren. Die Zweifel kamen schon früher auf. Hier war alles viel schwieriger als in Europa. Entfernungen, Wetter, Straßen, Sprache.
Wir sind bei den Einwohnern untergekommen. Natürlich haben uns manche Leute wahrscheinlich nicht ganz freiwillig reingelassen, sie hatten Angst. Ich weiß es nicht. Ich musste nie Beschwerden über die Soldaten von der lokalen Bevölkerung anhören.
Einheimische Frauen haben uns nicht angezogen, sie waren unattraktiv. Ihr Äußeres hatte nichts Weibliches an sich: schmutzige Telogreikas und Schals: nur eine Nase ragte heraus. Vielleicht wäre es anders gewesen, wenn sie anders gekleidet gewesen wären.
Die Russen behandelten die Gefangenen unterschiedlich: Einige waren misstrauisch und vorsichtig, aber die meisten waren recht freundlich. Offensichtliche Feindseligkeit konnten wir nicht feststellen. Niemand hat uns beleidigt oder gedemütigt.
Nach meiner Rückkehr bekam ich eine Stelle in einer Sparkasse in Born, wo ich bis zu meiner Pensionierung im Jahr 1985 gearbeitet habe.
Zusammengestellt von Igor Beresin