Hat Erdgas noch Zukunft?: Warum Siemens die Produktion von Turbinen einstellt

Siemens beendet die Produktion von Gasturbinen. Das Unternehmen begründet seine Entscheidung damit, dass es in Erdgas nicht mehr den Energielieferanten der Zukunft sehe. Gleichzeitig erhöht Gasprom seine Kapazitäten in Deutschland. Was steckt also wirklich hinter der Entscheidung von Siemens?

Gas

Gasturbinen von Siemens gehören bald der Vergangenheit an./ Foto: flickr/Arbeitgeberverband Gesamtmetall

Ende Januar radelten drei Dutzend Siemens-Arbeiter in pinken Gewerkschaftswesten quer durch Deutschland, vom sächsischen Görlitz bis nach München, zur Zentrale des Technologiekonzerns. Die Arbeiter protestierten gegen die Schließung ihres Gasturbinenwerks, die Konzernchef Joe Kaeser mangels Nachfrage beschlossen hatte.

Diese Begründung nehmen ihm die Siemensianer nicht ab. Schickt sich nicht der russische Energieriese Gasprom an, die Kapazität der Ostseepipeline „Nord Stream“ zu verdoppeln? Das Elf-Milliarden-Euro-Projekt soll ab Ende 2019 zusätzlich Gas nach Deutschland pumpen, das für die Versorgung von 23 Millionen Haushalte reichen würde.

Wieso fabuliert Kaeser also von mangelnder Nachfrage? Wenn mehr Gas nach Deutschland strömt, müssten dann nicht im Gegenteil auch mehr Gasturbinen nachgefragt werden? Doch so offensichtlich der Widerspruch scheint – es gibt keinen Widerspruch: Stand jetzt und heute, haben beide Konzerne Recht.

Erdgas ist weiterhin wichtiger Energielieferant

Erdgas spielt in Deutschland eine große Rolle bei der Versorgung von Industriebetrieben. Ein Großteil der hierfür benötigten Turbinen lieferte Siemens. Die Anlagen laufen effizient, und dies im Zweifel für lange Zeit. Es gibt aktuell kaum Bedarf an Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen. Im Turbinengeschäft wächst Siemens vor allem außerhalb Deutschlands – unter anderem auch in Russland.

Am Heimatmarkt kommt noch ein Problem hinzu: Große Gaskraftwerke, die zur Energieversorgung ganzer Städte gebaut wurden, stehen meistens still. Sie werden nur bei Nachfragespitzen hochgefahren: Energieversorger wie Uniper oder RWE können wählen, aus welchem Brennstoff sie ihren Strom produzieren, nur zur Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen sind sie gesetzlich verpflichtet.

Dabei ist die Verstromung billiger Stein- oder Braunkohle schlicht günstiger als die von Gas. Und die deutsche Politik traut sich bislang nicht, die Versorger zum Abschalten der die Umwelt verpestenden Kohlemeiler oder zur Verstromung des CO²-ärmeren Erdgases zu zwingen. Darum verzichten die Energiekonzerne auf den Bau teurer Gaskraftwerke.

Die Gasimporte steigen weiter

Derweil steigen die Gasimporte. Die Internationale Energieagentur IEA rechnet in den kommenden 20 Jahren mit einer zusätzlichen Einfuhr von 190 Milliarden Kubikmeter pro Jahr – rund 40 Prozent des heutigen EU-Verbrauchs. Die Importe nehmen zu, da sich die Gasfelder europaweit leeren und die Wirtschaft wächst. Zudem könnte Erdgas etwa in der Schiffsbetankung eine größere Rolle als Treibstoff spielen, denn der Brennstoff ist bei Weitem schadstoffärmer als Schweröl.

Gasprom spekuliert auf diese steigende Nachfrage – und vertraut gutgläubig darauf, dass höhere Gaslieferungen zu steigenden Gewinnen führen. Doch so einfach ist die Rechnung nicht. Denn der EU-Gasmarkt wurde in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich liberalisiert. Gasversorger dürfen nicht mehr Eigentümer der Netze sein.

Dies bedeutet, dass unabhängige Netzbetreiber Gas aus vielen Quellen zu so genannten Hubs wie dem österreichischen Knotenpunkt Baumgarten transportieren. Gas wird zunehmend nicht mehr über langfristige Lieferverträge zu festen Preisen verkauft, sondern nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage frei gehandelt. Je mehr Gas auf den Markt kommt, desto geringer ist der Preis.

Die Zahl der Anbieter ist stark gewachsen

Zusätzlich strömt immer mehr Gas auf den EU-Markt, nicht nur aus Russland. Entlang der Küsten sind in den vergangenen Jahren viele Anlagen zur Anlandung von Flüssiggas (LNG) entstanden. Neuerdings schicken sich auch die USA an, neben Lieferanten aus Katar, Australien oder Algerien am LNG-Markt teilzunehmen. In Russland fertigt Nowatek seit Dezember die ersten Flüssiggas-Lieferungen ab.

Gasprom unterschätzt den LNG-Trend und setzt stattdessen stoisch auf Pipeline-Gas, um die riesigen Gasvolumina aus Sibirien abtransportieren. Ganz gleich, in welcher Molekülform das Gas nach Europa kommt: Unter dem Strich ist also davon auszugehen, dass das Angebot an Gas stärker steigt als die Nachfrage – und die Preise sinken.

Wenn Gas aber billiger wird, dürfte sich eines Tages der Betrieb von Gasturbinen wieder mehr lohnen – seien es großen Kraftwerke der Versorger oder kleinere Flüssiggasanlagen, die Regionen dezentral bestromen.

Dies führt zurück zu Siemens-Chef Kaeser, der seine radelnden Arbeiter in Görlitz durchaus für den Bau von Flüssiggas-Kraftwerken einsetzen könnte. Wäre er ehrlich, würde er zugeben: Die angekündigte Schließung der Werke ist eine Entscheidung gegen den Standort Deutschland, wo ihm die Lohnkosten schlicht zu hoch sind.

Florian Willershausen

Der Autor

Florian Willershausen, 35, ist Direktor der CREON Group, ein auf Themen rund um die Verarbeitung von Öl und Gas spezialisiertes Beratungsunternehmen in Moskau. Der frühere Wirtschaftsjournalist (Handelsblatt, WirtschaftsWoche) lebt in Moskau und ist einer der Manager des Luxemburger CREON Energy Fund, der in Industrieprojekte in Russland und der GUS investiert.

 

 

Newsletter

    Wir bitten um Ihre E-Mail: