Haftung für Kündigung im Vorrentenalter: Wie hoch sind die Risiken des Arbeitgebers?

Die MDZ-Kolumne der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Rödl & Partner

Am 4. Oktober 2018 hat der Präsident der Russischen Föderation ein Gesetz unterzeichnet, das eine strafrechtliche Haftung für die Verweigerung der Einstellung oder unbegründete Kündigung der Mitarbeiter im Vorrentenalter vorsieht. Als Vorrentenalter wird der Zeitraum von bis zu fünf Jahren vor der Altersrente betrachtet.

Welche bestimmten Risiken entstehen für Unternehmen im Zusammenhang mit diesem Gesetz? Das Gesetz wurde aktiv besprochen, viele Fragen bleiben indes offen:

  • Wer trägt das Risiko?
  • Wird der Arbeitgeber belangt, falls der Mitarbeiter im Vorrentenalter einen Verstoß begangen hat, der zur Kündigung führt?
  • Wird das Gesetz nicht zur Verringerung der Möglichkeiten führen, einige Jahre vor dem im Gesetz aufgeführten Vorrentenalter Arbeit zu finden?

In das Strafgesetzbuch der Russischen Föderation (StrafGB RF) wird jetzt der neue Artikel 144.1 eingefügt, der insbesondere den Begriff des Vorrentenalters definiert, der ein Tatbestandsmerkmal darstellt. Gemäß dem Entwurf des Artikels wird „die unbegründete Verweigerung der Einstellung bzw. Kündigung einer Person im Zusammenhang damit, dass diese Person im Vorrentenalter ist, mit

  • einer Geldstrafe in Höhe bis zu 200 000 Rubel
  • oder in Höhe des Gehalts bzw. anderer Einkünfte des Bestraften für den Zeitraum bis zu 18 Monaten
  • oder mit gemeinnützlichen Arbeiten von bis zu 360 Stunden bestraft“.

Der Straftatbestand besteht in der Verweigerung des Abschlusses oder der Beendigung des Arbeitsvertrages mit dem Opfer, weil dieses im Vorrentenalter ist. Sonstige Beweggründe bzw. Absichten des Arbeitgebers sind strafrechtlich nicht relevant. Bestraft werden können Personen, die berechtigt sind, Personalentscheidungen zu treffen: zum Beispiel der Generaldirektor oder der Leiter der Personalabteilung. Dabei ist nicht von Bedeutung, ob die Verweigerung mündlich oder schriftlich, persönlich, telefonisch oder per E-Mail erfolgt.

Es ist nicht klar, wie zu beweisen ist, dass die Nichteinstellung oder die Kündigung wegen des Alters und nicht wegen fehlender Erfahrung oder Qualifikation erfolgt.

Falls der Arbeitgeber direkt erklärt, dass er die Einstellung verweigert, weil der Bewerber im Vorrentenalter ist, dient das als ausreichender Beweis. Die unbegründete Verweigerung kann auch durch eine schriftliche Benachrichtigung an den Bewerber nachgewiesen werden.

Ein solches unvorsichtiges Verhalten des Arbeitgebers ist jedoch kaum zu erwarten. Deswegen wird in den meisten Fällen die unbegründete Verweigerung der Einstellung fast nicht nachweisbar sein. Der Arbeitgeber kann die Verweigerung der Einstellung immer formell einwandfrei begründen, indem er fehlende Erfahrung, Ausbildung oder Kenntnisse als Gründe angibt und sich dabei auf die Oberste Rechtsprechung stützt Unter Ziffer 10 des Beschlusses des Obersten Gerichts der Russischen Föderation zur Anwendung der arbeitsrechtlichen Normen wird darauf hingewiesen, dass die Verweigerung der Einstellung wegen fehlender berufliche Eignung des Arbeitnehmers als begründet (nicht willkürlich) zu betrachten ist. Dabei ist unter der beruflichen Eignung des Arbeitnehmers die Fähigkeit einer natürlichen Person zu verstehen, eine bestimmte Funktion unter Berücksichtigung ihrer beruflichen Qualifikation – u.a. ein bestimmtes Bildungsniveau, Arbeitserfahrung im definierten Bereich und persönlichen Eigenschaften, u.a. der Gesundheitszustand – auszuüben.

Ob der Arbeitgeber bereits in der Auswahletappe – der Sichtung der Lebensläufe, haften kann, ist auch ungewiss. Ein Mitarbeiter der Personalabteilung, der nicht berechtigt ist, Personalentscheidungen zu treffen, kann unter Umständen den Bewerber im Vorrentenalter überhaupt nicht zum Bewerbungsgespräch einladen, da er das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung fürchtet.

Auch bei der Kündigung des Arbeitsvertrages ist die Situation kompliziert.

Die strafrechtliche Verfolgung gemäß Artikel 144.1 StrafGB RF (neu) kann nicht ausgeschlossen werden, falls die Beendigung des Arbeitsvertrages mit einer Person im Vorrentenalter nicht auf Initiative des Arbeitgebers, sondern im Einvernehmen der Parteien, auf Initiative des Arbeitnehmers oder aus anderen durch die Arbeitsgesetzgebung vorgesehenen Gründen erfolgt. Alle diese Umstände können durch die Person, die eine Person im Vorrentenalter nicht als ihren Arbeitnehmer sehen möchte, künstlich geschaffen werden. So bleibt das Motiv des Täters immer schwierig zu beweisen. Fehlt dieses Spezialmotiv, liegt auch keine Straftat vor.

Höchstwahrscheinlich wird Artikel 144.1 StrafGB RF das Schicksal des Artikels 145 StrafGB RF teilen, in dem die Verweigerung der Einstellung oder die Kündigung einer Schwangeren unter Strafe gestellt wird. Die Norm wird praktisch relativ selten zur Anwendung kommen, weil dabei gravierende Probleme beim Nachweis der Unbegründetheit der Verweigerung bzw. Kündigung entstehen.

Wen können Risiken der strafrechtlichen Belangung mit der Verabschiedung des Gesetzes betreffen?

Als Täter kann eine Person in Betracht kommen, die zu Entscheidungen über die Einstellung und Kündigung berechtigt ist, zum Beispiel der Generaldirektor oder Leiter der Personalabteilung. Diese Kategorien von Spezialisten müssen ihre Politik der Zusammenarbeit mit dem Personal nach der Verabschiedung des Gesetzes gründlich überprüfen, um die oben aufgeführten Risiken zu vermeiden. Wie oben dargestellt, wird die Beweisführung für Ermittler kaum möglich, wenn Bewerber bereits in der Etappe der Lebenslaufsichtung bzw. der Kandidatenauswahl aus dem Auswahlverfahren ausgeschlossen wird.

Gegner der Norm befürchten, dass die Menschen auch vor Erreichen des Vorrentenalters wegen rechtlicher Risiken nicht eingestellt werden. Dabei verweist man auf das Misslingen einer solchen Regelung im Nachbarland Weißrussland, wo eine vergleichbare Norm abgeschafft wurde. Wie auch im Falle von Artikel 145 StrafGB liegt es nahe, dass kurzfristig Vorschläge zur Entkriminalisierung dieses Tatbestandes wegen fehlender Praxistauglichkeit geäußert werden, da Personen im Vorrentenalter ihre arbeitsrechtlichen Interessen auch im zivilrechtlichen Verfahren unter Anwendung von Artikel 3 und 64 Arbeitsgesetzbuch der RF angemessen schützen können.


Alexey Saposhnikov

Rechtsanwalt (Deutschland)

Partner, Leiter Arbeits- und Ausländerrecht, Restrukturierung

OOO Rödl & Partner

www.roedl.com/ru

 

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