Kolchosstraße 4 klingt nicht unbedingt nach Kunst und Kultur. Eher nach Kuhstall und Kartoffelernte. Aber damit ist man gleich doppelt auf der falschen Fährte. Denn wo vielleicht einmal Landwirtschaft betrieben worden sein mag, haben sich längst vierzehngeschossige Wohnblocks breitgemacht. Und wo es bisher nicht viel zu sehen gab, da sind vor wenigen Monaten gleich reihenweise Wandbilder entstanden. Mit dem Streetart-Festival „Urban Morphogenesis“ ist nun auch in einem typischen sowjetisch-russischen Mikrorajon östlich von Moskau angekommen, wie Kunst noch sein kann: nicht hinter Glas und gegen Eintritt zu besichtigen, sondern Alltag vor der eigenen Haustür.
Im Verlaufe mehrerer Wochen kam Farbe in ein Viertel von Schelesnodoroschny, einen Bezirk der Moskauer Vorstadt Balaschicha, und Leben in die Fassaden von 37 Häusern. In der Kolchosstraße 4 war es der Italiener Mauro Patta, der ein sogenanntes Mural schuf, das die gesamte Hauswand bedeckt. Nebenan in der Kolchosstraße 8 verwirklichte sich der Mexikaner Farid Rueda, der in seiner Heimat zu den namhaftesten Vertretern seines Faches gehört.
Insgesamt sechs Straßen wurden von 60 Straßenkünstlern aus zehn Ländern in die Arbeit einbezogen. Neben Wohnblocks machten die sich auch über andere Objekte wie zum Beispiel einen Kindergarten her. Stilistisch wie thematisch sind die Wandmalereien ganz verschieden: Es geht auch mal um den Kampf gegen Aids, aber gesellschaftskritische oder gar politische Aussagen sind höchstens in Ansätzen zu erkennen.
Das Festival „Urban Morphogenesis“ wird von staatlichen Stellen maßgeblich mitorganisiert und mitfinanziert. Es tourt seit 2019 durch Russland. Frühere Schauplätze waren unter anderem Tscheljabinsk, Kasan und Nischni Nowogorod.
Tino Künzel