Gas – aber um welchen Preis?

Die russischen Gasexporte nach Westeuropa hätten mit der Inbetriebnahme der Ostseepipeline Nord Stream 2 neue Höchststände erreichen sollen. Stattdessen sind sie auf ein Minimum gesunken. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass nun mehr Gas für die eigene Bevölkerung zur Verfügung steht?

Gasrohre am Stadtrand von Nowosibirsk (Foto: Alexander Krjaschew / RIA Novosti)

Das staatliche Gasversorgungsprogramm

Die Buchhalterin Galina Stogowa besitzt im Dorf Dawydowskoje im Moskauer Umland eine Datscha. Vor einigen Jahren baute ihr Mann ein neues Haus auf dem Grundstück. Anfangs beheizten sie es mit Holz, nur selten mit elektrischem Strom. „Im Winter war es natürlich sehr unbequem. Abends heizt du schön ein und es ist sehr warm, aber morgens ist es schon wieder frostig.“

Im Herbst 2021 stellte die Familie einen Antrag auf Teilnahme am staatlichen Gasversorgungsprogramm. Das nahm damals gerade seinen Anfang. Das Programm sieht vor, die Gasleitung bis an die Grundstücke in den Siedlungen heranzuführen, die zuvor an das Gasnetz angeschlossen worden waren. Das alles ohne finanzielle Beteiligung der Bewohner. Sie müssen nur für die Arbeiten auf dem eigenen Grundstück und die Ausrüstung bezahlen.

Der Gasanschluss kostete die Familie Stogow 300  000 Rubel (ca. 4000 Euro). Ohne staatliche Unterstützung hätten sie weitere 350 000 Rubel für den Anschluss an die Gasleitung, die durch das Dorf führt, hinlegen müssen. Deshalb konnten sich Galina und ihr Mann nicht früher dazu entschließen, auf Gas umzusteigen. „Ich finde, dass das Sozialprogramm der Gasversorgung ein Segen für die Menschen ist“, sagt Galina. Im Juni 2022 hatten sie Gas im Haus.

Gasanschluss ohne Programm

Die kinderreiche Familie Dering aus Krasnodar hatte weniger Glück. Nach den Worten des Familienoberhauptes Dmitri, von Beruf Koch, „wurde das Nachbarviertel ins Programm aufgenommen, aber unsere Eigenheimsiedlung nicht“. Deswegen beschlossen die Derings, das sogenannte Mutterschaftskapital für die Beschaffung von Gas zu verwenden. Dieses Zertifikat, welches der Staat bei Geburt eines Kindes ausgibt, hat einen Wert von ungefähr einer halben Million Rubel (ca. 6700 Euro). So viel kosteten auch der Gasanschluss und die Ausrüstung.

Aber es hat sich trotzdem gelohnt. „Wir haben das Haus 2013 gebaut. Damals gab es in unserer Eigenheimsiedlung überhaupt keine Gasleitung, die kam erst 2015, mit privaten Geldern finanziert“, erzählt Veronika Dering, die als Deutschlehrerin arbeitet. „Am Anfang haben wir mit Dieselöl geheizt. Das war schrecklich. Und teuer. Das schwere Tragen und das Eingießen. Wenn das Dieselöl von schlechter Qualität ist, geht der Kessel kaputt. Einmal war das auch der Fall.“ Sie stellten einen Elektrokessel auf. Die Stromrechnung stieg in den Wintermonaten auf 20 000 Rubel an (ca. 270 Euro). Und das in der südlichsten Region Russlands, wo es keinen besonders strengen Winter gibt. „Wir mussten sparen, trugen im Winter auch im Haus Pullover.“ Das Durchschnittsgehalt betrug im vorigen Jahr im Gebiet Krasnodar 47 000 Rubel (ca. 630 Euro).

Im Januar 2022 nahmen die Derings den Anschluss an das Gasnetz in Angriff. Die Arbeiten dauerten acht Monate. „Nun können wir zu Hause im T-Shirt herumlaufen“, sagt die Hausherrin. Die Nebenkosten sind auf ein Zehntel gesunken, auf 2000–2500 Rubel im Monat.

Haushalte mit Gasanschluss

Beide Familien, sowohl die Stogows als auch die Derings, gehören zu jenen Russen, deren Häuser 2022 einen Gasanschluss erhielten. Im vergangenen Jahr stieg der Anteil der Haushalte mit Gasanschluss um ein Prozent auf jetzt 73 Prozent an. Diese Zahl wurde während einer Regierungssitzung Mitte Januar 2023 genannt. Zum Vergleich: In der Ukraine haben 78 Prozent der Haushalte Gas, in Armenien 96 Prozent, in Deutschland 47,5 Prozent.

In Russland sind 48 Millionen Haushalte (Wohnungen und Einfamilienhäuser) mit Gas versorgt. Dabei sind einige Regionen praktisch zu 100 Prozent an die Gasversorgung angeschlossen (z.B. das Moskauer Gebiet und Tatarstan), aber in einigen Gebieten liegt der Anteil noch weit unter 20 Prozent. Zu den „Unglücklichen“ gehören das Gebiet Altai und die Oblast Kemerowo in Westsibirien. Der Hauptgrund dafür ist eine ungenügende Finanzierung aus den regionalen Haushalten. Dazu kommt das Problem, dass weit auseinanderliegende Dörfer und Siedlungen schwerer anzuschließen sind als dicht besiedelte Gebiete.

Ideen für die Erhöhung der Gasversorgung

Die Regierung schlägt verschiedene Varianten der Entwicklung des Gastransportsystems im Land vor. Sie verspricht unter anderem, dass die Kapazitäten von Gaspipelines genutzt werden sollen. So soll zum Beispiel Nord Stream 2 für die Gasversorgung des Nordwestens Russlands genutzt werden, wo nach den Worten des Vizepremiers Alexander Nowak „die Kennziffern des Gasnetzes (57,3 Prozent) dem russischen Durchschnittswert hinterherhinken.“ Von der Gasleitung „Die Kraft Sibiriens 2“ in Richtung China wird die Gasversorgung der Regionen Krasnojarsk und Transbaikalien sowie auch Burjatiens abhängen. Aber es ist noch unklar, wann die Verlegung dieser Gasleitung beginnen soll.

Zusätzlich hat die Regierung ein langfristiges Programm zur Entwicklung der Produktion von natürlichem Flüssiggas bestätigt, welches die autonome Gasversorgung der Regionen und die Erweiterung von geringem Tonnageverbrauch an Flüssiggas vorsieht. Es gibt jedoch mehr Fragen als Antworten zu dem Programm. Es gibt in Russland im Moment nicht genügend kleine Werke zur Flüssiggasherstellung, die eine erweiterte Gasversorgung gewährleisten können. Und das Flüssiggas ist auch teurer als das gewöhnliche Gas. Können sich das die Bewohner entlegener Gebiete leisten?

Bis 2030 rechnet die Regierung mit einer Erhöhung der Gasversorgung bis zu 83 Prozent. Vielleicht wird sich dann die Anzahl der unzufriedenen Russen verringern, die meinen, dass „wir das Gas exportieren, Gasleitungen bauen, aber uns selbst nicht versorgen können“.

Olga Silantjewa

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