Flaggschiff der deutschen Wirtschaft

Sie startete als Treffpunkt von Firmenvertretern, durchlebte die wilden 1990er Jahre und vertritt heute mehr als 900 Unternehmen: Die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer (AHK) ist seit 25 Jahren die Interessenvertretung der deutschen Wirtschaft in Russland. Ein Rückblick zum Jubiläum.

Hochmodern: Die AHK sitzt seit rund anderthalb Jahren im 17. Stockwerk des Moskauer Bürokomplexes Filigrad. (Foto: AHK)

Weit schweift der Blick in so gut wie alle Richtungen über Stadt und Land. Durch bodentiefe, deckenhohe Glasflächen im lichten, großzügig gestalteten Oval des 17. Stockwerks von Filigrad. Das imposante Hochgebäude als architektonischer Hauptdarsteller im aufstrebenden Ensemble eines neu auferstehenden Stadtteils. Filigrad im modernen Zentrum der russischen Kapitale Moskau versucht, eine eigenständige Atmosphäre zu schaffen, ein in sich ruhendes Bauwerk, in dem sich die Kräfte der Stadt konzentrieren. So markiert Sergej Tschoban, der international hochdekorierte Stararchitekt aus Berlin mit Wurzeln in St. Petersburg, die Intention seines Meisterstücks. Und vor genau diesem Hintergrund bündeln sich seit gut einem Jahr hier auch die Kräfte der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer. Die AHK als Flaggschiff der deutschen Wirtschaft in der Russischen Föderation hat dieses Domizil seit Dezember 2018 in ihren eigenen Besitz genommen – als sichtbares Zeichen für ihre über Jahrzehnte gewachsene Bedeutung für die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen, aber auch für ihre unbeirrbare Zukunftsorientierung. Trotz der und gerade in diesen an- und ausdauernden politischen wie wirtschaftlichen Eiszeiten.

Es begann mit einem Autokennzeichen

Die bewegte Geschichte der AHK als einflussreiche Mitspielerin im bilateralen Konzert der marktbestimmenden Kräfte hatte eigentlich schon früher, am Anfang der 1990er Jahre, begonnen und zwar mit dem sogenannten „Club M002“ – nach dem damaligen offiziellen Autokennzeichen für deutsche Firmenverteter in Russland. Das war erstmal nichts weniger als ein geselliger Treffpunkt deutscher Firmenvertreter, sozusagen der entsandten Pioniere von mutigen Unternehmern, die am Anfang des neuen Russland ihre potentiellen Chancen in diesem entstehenden Zukunftsmarkt witterten. Darüber hinaus hatte sich im März 1991 der „Arbeitskreis der deutschen Firmenvertreter in Moskau“, kurz „AK“, etabliert, eine Gruppe aus elf Branchen, die aus ihrer Runde einen Sprecher wählten. Die Schaffung einer offiziellen Wirtschaftsinstitution wurde beim Bundeswirtschaftsministerium, beim Deutschen Industrie- und Handelstag – damals noch als DIHT abgekürzt – sowie beim Ostausschuss dringlich eingefordert. Dem wurde im März 1993 Rechnung getragen, eine gewisse Andrea von Knoop, heute Ehrenpräsidentin der AHK und die Grande Dame der deutschen Wirtschaft in Moskau, vom DIHT zum Aufbau der Delegation der Deutschen Wirtschaft in Moskau eingesetzt. Zu diesem Zeitpunkt war die Einrichtung einer AHK in Russland aufgrund des wirtschaftspolitischen Umfelds, insbesondere der mangelnden rechtlichen Rahmenbedingungen, noch nicht möglich, aber durchaus bereits im Visier. Eine Task Force innerhalb des Delega­tionsbüros begann, an der Gründung einer Mitgliedervereinigung zu arbeiten. Am 15. März 1995 unterschrieben elf ausgewählte Einzelpersonen in Anwesenheit von Hunderten von Firmenvertretern den Gründungsvertrag, der Verband der Deutschen Wirtschaft in der Russischen Föderation wurde am 6. April registriert.

Der heimliche Osthandelsminister

Zum ersten Vorstand wurde eine unternehmerische Berühmtheit der Bundesrepublik, Otto Wolff von Amerongen, schon zu Lebzeiten als Wegbereiter des Osthandels und heimlicher Osthandelsminister geehrt. Andrea von Knoop übernahm zu ihrer Delegationsleitung den Vorsitz. Im November 1996 folgte der Einzug ins Haus der Deutschen Wirtschaft im Kasatchij Pereulok. Die hochoffizielle Einweihung fand dann im folgenden Frühjahr in Anwesenheit der beiden Wirtschaftsminister Günter Rexrodt und Jewgenij Jassin statt. Nur ein halbes Jahr später gab sich gar der damalige Bundespräsident Roman Herzog die Ehre. Im folgenden schweren Krisenjahr 1998 bekamen der Verband und seine Mitglieder moralische Unterstützung durch den Besuch des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Nur ein Jahr später setzte ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum ein und Anfang 2000 begannen die Präsidentenjahre des Wladimir Putin, der als erste ausländische Unternehmerdelegation bezeichnenderweise die deutsche empfing.

Stimme der deutschen Wirtschaft in Moskau

Aus dem Verband der Deutschen Wirtschaft ging dann Ende 2007 die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer (AHK) hervor, im globalen Netz der heute 144 Auslandshandelskammern Deutschlands. Der erste Vorstandsvorsitzende der AHK wurde Michael Harms. Er blieb es acht lange Jahre und ist seither Geschäftsführer des Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der deutschen Wirtschaft (OAOEV) in Berlin. So gut wie jedes Jahr habe man die Mitgliederzahlen mit neuen Beratungsleistungen und dem Ruf als respektierte Stimme der gesamten deutschen Wirtschaft erheblich steigern können. Auch der sozialen Komponente, der Förderung des menschlichen Zusammenhalts der Mitgliedergemeinschaft, misst er hohe Bedeutung bei.

Ein deutscher Lebenslauf in Russland

Von Anfang an dabei und die AHK vor 25 Jahren mitentscheidend aus der Taufe gehoben hat eine Frau. Jene Andrea von Knoop. Sie ist inzwischen längst im Pensionsalter, aber immer noch unermüdlich für die AHK aktiv. Ihr persönlicher russischer Lebenslauf hatte schon viel früher, während der 1970er Jahre in der Sowjet-Ära begonnen – als Austauschwissenschaftlerin an der Moskauer Staatsuniversität. Dann arbeitete die ­promovierte Osteuropa-Historikerin und gelernte Bankerin aus Köln hierzulande für deutsche Großbanken und eine Wirtschaftsprüfungs- und Unternehmensberatungsfirma. Von 1993 bis 2007 war sie die Delegierte der Deutschen Wirtschaft in der Russischen Föderation und in Personalunion Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Deutschen Wirtschaft – der Vorläuferorganisation der AHK. Ihre Verdienste um den Aufbau der russischen Wirtschaft veredelte Präsident Wladimir Putin später mit der Zuerkennung der russischen Staatsbürgerschaft. „Die größte Ehre, die mir je widerfahren ist“, bekennt sie.

Heimat für den Mittelstand

Aus anfänglich rund Hundert konstituierenden Mitgliedern sind im Jubiläumsjahr über 900 geworden, überwiegend deutsche Mittelständler mit ihren eigenen Niederlassungen oder im Joint Venture mit russischen Partnern und seit Jahren auch immer mehr Unternehmen mit mehrheitlich russischem Kapital, derzeit 236. Unter dem Motto „Für die Wirtschaft. In Russland vor Ort.“ vertrauen auch gut aufgestellte Global Player wie die Volkswagen-Gruppe in Russland auf die erprobte Kompetenz, gebündelte Einflussstärke, einigende Kompromissfähigkeit und soziale Verbundenheit der AHK. Marcus Osegowitsch, hiesiger VW-Generaldirektor und seit acht Jahren im Präsidialrat der AHK: „Wir sehen uns im Verbund mit der gesamten deutschen Industrie und unterstützen die Effizienz durch den gemeinsamen Auftritt durch den Verband. Die AHK bietet unter ihrer lobbystarken, konstant verlässlichen Führung ein dichtes Netzwerk mit zahlreichen Ressourcen und Beziehungen in alle Regionen.“

Gebündelte Stärke überzeugt

Dazu zählen zum Beispiel die Deutsch-Russische Initiative für Digitalisierung (GRID), Germantech, eine Initiative zur Förderung einer auch umweltschützenden Abfallwirtschaft, duale Ausbildungskonzepte, Unterstützung von Start-ups sowie die Klassiker: Markteintritt, Lokalisierung, Personalsuche und HR-Dienstleistungen sowie rechtliche Dienstleistungen. Nicht weniger als 23 Komitees und Arbeitsgruppen – vier davon im St. Petersburger AHK-Domizil angesiedelt: von Agrar- und Ernährungswissenschaft über Digitalisierung und Lokalisierung bis hin zu Zoll-, Transport- und Logistikfragen. Gebündelte Stärke schafft eben Überzeugungskraft.
Welche Störfeuer von Sanktionen über Konjunktureinbrüche bis hin zu Währungsschwankungen auch immer wieder dazwischenfunken mögen und für sensible, widrige Umfeldbedingungen sorgen: Deutsche Technologie, Innovation und Tatkraft gepaart mit russischer Kreativität, Leistungsfähigkeit und Entwicklungsbedarf sind eine große Erfolgsgeschichte.

Investitionen trotz Kriegsvergangenheit

Unter nachweisbarer und zielgerichteter Mitwirkung der AHK rangiert Deutschland bei Handel und Investitionen in die Wirtschaft des neuen Russlands fortgesetzt auf den obersten Plätzen. Und das, trotz aller so schrecklich dunklen Zeiten. Deutsche und Russen waren gegenseitig schon immer so etwas wie befreundete Fremde. Das letzte Wort dem rührigen Vorstandsvorsitzenden Matthias Schepp, der der AHK Russland seit vier Jahren vorsteht und sie „noch wirtschaftsnäher, noch entscheidungsfreudiger, noch schneller und wirtschaftspolitisch noch gewichtiger“ machen will. Mit viel spürbarem Herzblut zeigt der hartnäckige und erfolgreiche Modernisierer dafür die initiative Stoßrichtung im Zeitalter von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz: Von „Wir haben es immer so gemacht“ zu „Wir haben es noch nie so gemacht“ will Schepp nichts wissen. Gratulation und viel Glück. Weiter so, AHK.

Frank Ebbecke

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