Ein Jet im Kornfeld

Wie durch ein Wunder blieben 167 Menschen bei der Notlandung einer Passagiermaschine in einem sibirischen Weizenfeld unverletzt. Es ist bereits der zweite derartige Vorfall in den letzten Jahren. Und wieder sind die Meinungen über die Leistung der Piloten geteilt.

Seltenes Bild: Airbus auf einer landwirtschaftlichen Nutzfläche (Foto: Pressedienst Westsibirische Vekehrsstaatsanwaltschaft)

Auf den Äckern rund um das sibirische Dorf Kamenka sind normalerweise andere Maschinen zu sehen. Doch am Morgen des 12. September hat sich auch eine Passagiermaschine der Ural Airlines dorthin verirrt. Ihr war unterwegs der Treibstoff ausgegangen. Die Notlandung in einem Weizenfeld glückte, von den 167 Menschen an Bord des Airbus A320 wurde niemand verletzt.

Die Nachricht von dieser Sensation machte schnell die Runde. Beim Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok wurde sie mit Beifall aufgenommen. Die unbeschadet gebliebenen Passagiere lobten die Besatzung in den höchsten Tönen. Ein Wunder, eine Heldentat. Es gibt allerdings auch Zweifler. Denn wie hatte es überhaupt so weit kommen können?

Landbahn zu kurz, Umweg zu lang

Der 19 Jahre alte Airbus war in Sotschi gestartet und befand sich bereits im Landeanflug auf die Millionenstadt Omsk, als die Piloten Probleme mit der Hydraulik meldeten. Es drohte ein zumindest erheblich verlängerter Bremsweg. Deshalb entschied sich die Mannschaft zum Weiterflug ins 600 Kilometer entfernte Nowosibirsk, wo die Landebahn länger ist. Das Fahrwerk und die Landeklappen waren aber bereits ausgefahren und ließen sich nicht mehr betätigen. Wohl dieser Umstand und die niedrige Flughöhe mit entsprechend höherem Luftwiderstand haben den Kerosinverbrauch dermaßen erhöht, dass die Tanks bereits 180 Kilometer vor dem Ziel leer waren.

Aber hätten das die Piloten nicht wissen müssen? Natürlich, meint der Pilot und Luftfahrtexperte Juri Sytnik, den das Online-Magazin „Life“ zitiert. Es sei genug Zeit für eine realistische Lageeinschätzung gewesen. Man könne schwer nachzuvollziehen, dass die Crew eine Landung auf einem großen Flughafen für zu riskant erachtet habe, nur um am Ende auf einem Feld landen zu müssen. Die „zwei Idioten“ hätten scheinbar „ihren Kopf zu Hause vergessen“. Der glimpfliche Ausgang sei vor allem Glück gewesen.  

Ersatzteile sollen nicht schuld sein

Ural Airlines wies bereits kurz nach dem Vorfall den Verdacht zurück, die technischen Unzulänglichkeiten könnten das Resultat der Beschaffung von minderwertigen Ersatzteilen in Drittländern gewesen sein. Generaldirektor Sergej Skuratow sagte auf einer Pressekonferenz, alle Ersatzteile seien „zertifiziert“, auch wenn das „schwer“ und „ein Kampf“ sei. „Dafür stehe ich persönlich gerade.“ An der Wartung werde bei Ural Airlines „nie gespart“. Und wenn bestimmte Teile nicht verfügbar seien, dann bleibe das betreffende Flugzeug eben am Boden. Die Notlandung nannte Skuratow, der die Fluggesellschaft mit Sitz in Jekaterinburg seit ihrer Gründung vor 30 Jahren leitet, eine „Meisterleistung“.

Ural Airlines betreibt eine Flotte von 52 Flugzeugen, alle von Airbus. Bereits 2019 war ein A321 der Airline kurz nach dem Start in Moskau in einem Maisfeld notgelandet, nachdem die Kollision mit einem Möwenschwarm einen Leistungsabfall der Triebwerke verursacht hatte. Alle 233 Insassen blieben am Leben. Bereits am nächsten Tag verfügte Präsident Putin, dass den beiden Piloten der Ehrentitel „Helden Russlands“ verliehen wird. Doch die meisten Experten bewerteten ihre Handlungen kritisch: Erst mangelnde Professionalität habe überhaupt dazu geführt, dass das Flugzeug nicht die nötige Höhe erreichen konnte, um sicher zum Flughafen zurückzukehren. Auch im offiziellen Abschlussbericht der Untersuchungsbehörde MAK ist von zahlreichen Fehlern die Rede. Veröffentlicht wurde er nie, sein Inhalt aber trotzdem bekannt. Im Frühjahr dieses Jahres kam ein russischer Spielfilm in die Kinos, der die Geschichte nacherzählt.

Tino Künzel

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