Ein Dolmetscher über seinen Beruf und deutsch-russische Beziehungen

Die geopolitischen Ereignisse heute lassen den Beruf eines Dolmetschers wohl in ein neues Licht rücken. Er ist immer bei den zukunftsbestimmenden zwischenstaatlichen Verhandlungen, geschäftlichen und kulturellen Gesprächen mit dabei. Ein Interview mit dem Dolmetscher und Übersetzer Michail Firstow.

Michail Firstow mit Gerhard Schröder in Moskau (Foto: Aus dem Archiv von Michail Firstow)
Die Frage ist auf den ersten Blick einfach und zugleich aber kompliziert: Was ist Deutsch für Sie?

Ich habe in meinem Leben Menschen getroffen, die die Sprache selbstlos lieben. Die bereit sind, die Struktur der Sprache, Phonetik usw. zu studieren. Ich kann mich nicht als einen dieser Menschen betrachten. Für mich ist Sprache ein Mittel zur Kommunikation. Selbstlose Liebe zur Sprache – das habe ich nie verstanden. Interessant ist für mich eher der Inhalt als die Form, in der sie zum Ausdruck kommt.

Sie sind in Berlin zur Schule gegangen. Haben Sie damals schon daran gedacht, Dolmetscher zu werden? Schließlich ist dies einer der wenigen Berufe, die Jugendliche interessieren.

Ich kann nicht sagen, dass ich bis zu meinem letzten Schuljahr überhaupt über einen Dolmetscher-Beruf nachgedacht habe. Ab der 5. Klasse etwa habe ich mich auf ein Geschichtsstudium vorbereitet. Als ich aber im Jahr 1993 nach Moskau zurückkam und bereits im letzten Schuljahr war, stellte es sich heraus, dass ich die Sprache und die Geschichte gut beherrschte und alles andere eher durchschnittlich.

Das Jahr 1994, als ich mein Studium antrat, war nicht das einfachste, und ich war nicht sicher, ob ich mit dem Fachbereich Geschichte überhaupt Arbeit finden werde. Daher habe ich mich für ein Sprachstudium entschieden.

Können Sie sich noch erinnern, wie der Dolmetscher-Markt während Ihres Studiums aussah, etwa was den Wettbewerb, die Nachfrage nach Spezialisten betrifft?

Die Nachfrage war damals recht groß. Unsere Absolventengeneration hat im Allgemeinen einen Nachfragehöchststand erreicht. Denn als in den 90er Jahren westliche Unternehmen nach Moskau kamen, brauchten sie Leute mit der Sprache. Und viele Dolmetscher verließen gerne den damals noch nicht vollständig etablierten freien Markt, um dort eine Festanstellung anzunehmen.

Als wir dann die Universität abschlossen (ich tat dies 1999), war deshalb ein gewisses Vakuum entstanden. Denn die Nachfrage war groß und die auf dem Markt tätigen Menschen gehörten bereits der mittleren bis älteren Generation an. Dabei handelte es sich um erfahrene Fachleute mit einem großen Auftragsvolumen, von denen viele ihre Tätigkeit als Dolmetscher mit einem Job woanders kombinierten. Als die Absolventen der 90er Jahre auf den Markt kamen, füllten sie diese Lücke. Diese Situation hielt bis etwa 2008 an. Und dann hörte das Marktwachstum auf. Das heißt nicht, es gab weniger Arbeit – mehr davon aber auch nicht.

Hat sich Ihre Wahrnehmung vom Dolmetschen auf hohem Niveau im Laufe der Zeit verändert?

Einer unserer Kollegen sagte: Erstens müsse man früh mit dem Dolmetschen beginnen, wenn die kindische Unverschämtheit noch nicht verflogen ist. Und da wir schon recht früh und ernsthaft damit begonnen haben, kann ich nicht behaupten, dass es sich um schreckliche Nervosität handelte. Hinzu kommt, dass bei hochrangigen Veranstaltungen nicht so sehr die fachlichen Angelegenheiten besprochen werden. Zwar sind die Kosten eines Fehlers und die damit verbundene Verantwortung tatsächlich hoch, aber die Situation ist durchaus vorhersehbar.

Natürlich ist es psychisch anstrengend, vor einem großen Publikum auf die Bühne zu treten und gemeinsam mit einem mehr oder weniger hochrangigen Redner eine Art Begrüßungsrede zu halten.

Michail Firstow bei der Arbeit (Foto: privat)
Ist es einem Dolmetscher möglich, Emotionen während des Dolmetschens komplett abzuschalten, und sollte dies getan werden?

Ich denke, dass es nicht nötig ist, Emotionen völlig abzuschalten. Denn sonst wirkt es wie ein Dolmetschen durch künstliche Intelligenz. Das monotone Murmeln ist schwer wahrzunehmen. Oder wie eine Art Hörbuch, das von einer KI gesprochen wird. Das ist nicht interessant. Meiner Meinung nach sollten Emotionen immer noch vorhanden sein, sie sollten nicht ausufern und es sollte nicht mehr davon vorhanden sein, als der Sprecher hat.

In welchen Situationen halten Sie es für gerechtfertigt, auf einen Dolmetscher zu verzichten, wenn die andere Partei die Sprache des Gesprächspartners beherrscht?

Schauen Sie, die Frage kann man auch anders stellen. Wann halten wir eine Übersetzung für notwendig? Wenn die Parteien einander nicht verstehen. Wir können uns auch an die Zeiten vor dem Völkerbund erinnern, etwa an das 19. Jahrhundert, als die gesamte Diplomatie auf Französisch geführt wurde. Und dann, nach dem Ersten Weltkrieg, benötigte der Völkerbund eine Übersetzung im englisch-französischen Sprachpaar.

Das Dolmetschen ist nicht nur zum Verständnis nützlich, sondern auch, um über die Antwort nachzudenken. Ich war in Situationen, in denen ich als Dolmetscher anwesend war, aber nichts tun musste.

Also haben Sie einfach geschwiegen?

Ja. Das ist besonders schön zum Mittagessen. Man kann essen. Anders als beim Mittagessen mit einer Übersetzung, wo dies nicht möglich ist. Wenn sich die Gesprächsteilnehmer dazu entschließen, Englisch zu sprechen oder sich plötzlich herausstellt, dass einer der Gesprächsteilnehmer die Sprache des anderen gut beherrscht. Am 9. Mai etwa flog Aleksandar Vučić nach Moskau. Er wandte sich auf Russisch an den Präsidenten, als Zeichen des Respekts gegenüber dem Gastgeber. Obwohl es einen Simultandolmetscher gab.

Es kommt vor, dass man versucht, die Sprache seines Gegenübers zu sprechen, aber das Wort entfällt einem. Und der Dolmetscher fungiert dann als eine Art Wörterbuch.

Was empfindet ein Dolmetscher normalerweise in solchen Momenten? Entsteht da nicht das Gefühl, überflüssig zu sein?

Das kann einerseits sein, wenn man gerade zu arbeiten anfängt. Andererseits kann es sich auch um eine Absicherung handeln. Es gibt Veranstaltungen, bei denen Übersetzungen in mehrere Sprachen organisiert werden, und wenn man beispielsweise nicht aus dem Englischen und nicht ins Englische dolmetscht, kommt der Gedanke auf: Hört sich jemand die Übersetzung an? Denn es gibt Fälle, in denen jemand Englisch spricht, und die meisten Deutschen können Englisch.

Lassen Sie uns jetzt über die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland sprechen. Wie stark hat sich der Übersetzungsmarkt seit Februar 2022 verändert?

Nach 2021 gab es viele Veranstaltungen – sogar mehr als geplant, weil es Covid gab und sich herausstellte, dass vieles online stattfinden kann. Dann änderte sich alles ziemlich schlagartig. Es war wie zu Beginn der Corona-Pandemie, als wir dachten, es werde keine Arbeit geben – eine Zeit lang war dem in der Tat so, aber dann stellte sich heraus, dass es doch welche gab.

Jetzt hat sich der Übersetzungsmarkt verengt. Denn viele Bereiche der Zusammenarbeit wurden eingefroren. Aber dennoch blieb etwas übrig. Wir haben immer noch deutsche Unternehmen oder Unternehmen mit deutschen Wurzeln. Auf jeden Fall besteht eine Art von Kommunikation, es werden Dokumente übersetzt und es finden russisch-deutsche Veranstaltungen statt.

Vor einiger Zeit wurde bekannt, dass Trumps Sondergesandter Steve Witkoff bei seinem Treffen mit Wladimir Putin die Dienste eines Kreml-Dolmetschers in Anspruch nahm, wofür ihm ein Verstoß gegen das Protokoll vorgeworfen wurde. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Da es sich hier immerhin um einen Sondergesandten handelt, scheint es mir, dass es eher ein Arbeitstreffen als ein Gipfeltreffen war. Wenn es für sie praktisch war, einen Dolmetscher des Kremls zu nutzen, ist das keine Tragödie. Der Dolmetscher hat seine Arbeit gemacht – und ich bin sicher, es war eine gute Arbeit, denn das Außenministerium beschäftigt sehr kompetente Mitarbeiter. Ich halte die Kritik in diesem Fall für unbegründet. Schauen wir uns lieber den Inhalt des Treffens an und nicht, was für ein Dolmetscher das war.

Wie sehen Sie die Zukunft zwischen Deutschland und Russland?

Aus langfristiger Sicht ist der Kommunismus, wie man so schön sagt, unvermeidlich. Für Deutschland gibt es keinen anderen Weg der wirtschaftlichen und kulturellen Expansion als den nach Osten. Aus diesem Grund war Deutschland schon immer aktiv an der Zusammenarbeit beteiligt, und zwar schon seit der Zeit der Hansekaufleute, für die der Osten eine sehr wichtige Region darstellte. Da wir in Europa praktisch Nachbarn sind, scheint es mir, als gäbe es keine Alternative zum Aufbau von Beziehungen.

Es ist wie in einer WG: Ja, es kann zu Konflikten kommen. Manchmal können dies sehr langfristige Konflikte sein. Es ist also nur eine Frage des Wann. Natürlich würde ich mir wünschen, dass sich die Beziehungen so früh wie möglich verbessern würden.

Das Gespräch führte Viktoria Nedaschkowskaja


Zur Person:Michail Firtsow

Dipl. Konferenzdolmetscher für Russisch und Deutsch,

Dipl. Übersetzer für Russisch, Deutsch und Englisch.

Seit 1999 als freiberuflicher Konferenzdolmetscher für Russisch und Deutsch insbesondere im außen-, kultur-, und sozialpolitischen sowie im geschäftlichen und technischen Bereich aktiv tätig.

Seit 1999 Sprachdozent im Fachbereich „Deutsch / Übersetzen und Dolmetschen“ an der Linguistischen Universität Moskau.

Im Zeitraum zwischen 2002 und 2020 mehrfach Gastdozent im Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft der Universität Mainz in Germersheim.


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