Der Elch, der kein Wildschwein war: Besonderheiten der russischen Jagd

Der Moskauer Parteichef der Kommunisten hat Ärger mit dem Gesetz: Walerij Raschkin droht wegen des Abschusses eines Elches eine Geld- oder Gefängnisstrafe. Er ist längst nicht der erste mehr oder weniger hochrangige Politiker, den das Jagdfieber in die Bredouille bringt.

Die Jagd hat in Russland viele Anhänger. Aber nicht alle halten sich an die Regeln. (Foto: kuban-tv.ru)

Letztes Jahr hat Wladimir Lja­ljuschkin, ein Familienvater aus Nordrussland, zwei Wölfe zur Strecke gebracht. Alles legal, wie er betont. Weil die Raubtiere oft genug Schaden anrichten, wird ihr Abschuss – innerhalb der pro Saison festgelegten Quoten – sogar speziell honoriert. Ljaljuschkin darf nun außer der Reihe einen Bären oder einen Elch erlegen, wenn es ihm beliebt.

Auf die Jagd zu gehen, ist für ihn ein „echtes Männerhobby“ und „wie eine Sucht“. Der ökonomische Aspekt der Selbstversorgung mit Wildfleisch, das somit nicht im Laden gekauft werden muss, spielt dabei zwar eine Rolle, aber nicht die wichtigste. „Vor allem zieht es mich und meine Freunde mit unseren Laika-Hunden in die Natur. Man streift bis zur Erschöpfung in der Taiga herum, auch in Dreck und Nässe. Herrlich!“ Das „sportliche Interesse“ des Jägers ergebe sich daraus, wer wohl wen überliste – das Tier in seiner natürlichen Umgebung und mit seinen Instinkten den Menschen oder umgekehrt. Im Vordergrund stehe aber letztlich die Entspannung. Für viele gehöre dazu auch Alkohol, der Kultfilm „Die Besonderheiten der nationalen Jagd“ von 1995 handelt nicht zuletzt davon. „Der Wodka hat schon so manchem Tier das Leben gerettet“, grinst Ljaljuschkin. Sein Fall sei das nicht.

Breschnew lud Genossen zur Jagd

Die Russen sind ein Volk der Jäger und Sammler. Zumindest ein Teil des Eigenbedarfs an Lebensmitteln wird selbst gedeckt. Und wenn es die politische Prominenz auch nicht so mit dem Pilze- oder Beerensammeln hat wie das gemeine Volk, so stand die Jagd doch immer hoch im Kurs. Ein bekannter Liebhaber dieses Zeitvertreibs war beispielsweise Leo­nid Breschnew (1906-1982). Als der erste Mann im Staate noch besser zu Fuß war als in seinen letzten Lebensjahren, machte er sich bei erstbester Gelegenheit mit Gefolge, zu dem manchmal auch ausländische Parteichefs wie etwa Walter Ulbricht zählten, in den Nationalpark Sawidowo 150 Kilometer nordwestlich von Moskau auf. Dort schoss er am liebsten auf Wildschweine, die ihm teilweise regelrecht vor die Flinte getrieben worden sein sollen. Breschnew wurde aber auch nachgesagt, er habe stundenlang im Hochstand auf sein Jagdglück warten können. Auf alten Fotos sieht er mit Tannenzweig im Hut putzig aus. Das Fleisch wurde an Ort und Stelle beim Bankett im Grünen verzehrt.

Nach allem, was man weiß, teilt Russlands Präsident Wladimir Putin solche Vorlieben für die Pirsch nicht. Eher schon ist er als Tierschützer in Erscheinung getreten. Doch im Dunstkreis der Macht gibt es genügend Feierabend-Waidmänner, deren Freizeitvergnügen gern mal im Skandal endet. Jüngstes Beispiel: der Duma-Abgeordnete und Moskauer Parteichef der Kommunistischen Partei Russlands Walerij Raschkin. Ende Oktober wurde er in der Nähe von Saratow nachts mit einem zerstückelten Elchkadaver in seinem Lada Largus gestellt. Er log zunächst, das Tier habe er „gefunden“. In einem Youtube-Video erklärte der 66-Jährige das später quasi mit einem Affekt: Er sei müde gewesen und überrumpelt vom plötzlichen Auftauchen einer Gruppe von Leuten, deren Identität ihm unklar gewesen sei und die ihm ins Gesicht geleuchtet hätten. Außerdem habe er seinen Freunden, bei denen er zu Besuch war, Unannehmlichkeiten ersparen wollen.

Abschusslizenz für kleines Geld

Nach Raschkins Worten hätten ihm die Freunde im Vorhinein fälschlicherweise versichert, über sämtliche Genehmigungen für die Jagd zu verfügen. Obligatorisch wäre neben Jagd- und Waffenschein eine Lizenz für den Abschuss bestimmter Tiere gewesen. Die kann bei der jeweiligen Jagdgesellschaft erworben werden, heutzutage bietet auch das staatliche Bürgerportal Gosuslugi einen solchen Service an. Die Kosten sind offline wie online nicht der Rede wert. Zu einer Grundgebühr von umgerechnet nur wenigen Euro kommt noch ein Betrag hinzu, der je nach Tierart variiert. Für einen Bären beispielsweise wird eine Summe fällig, die umgerechnet weniger als 40 Euro entspricht, für einen Elch noch mal die Hälfte davon, für ein Wildschwein rund fünf Euro und für einen Auerhahn etwa ein Euro.

Über eine solche Erlaubnis verfügte Raschkin jedoch nicht. So wie er den Vorfall schilderte, wurde er nachts auf einer Lichtung des Elchs gewahr, den er bei schlechter Sicht und durch das Wärmebildvisier seines Gewehrs allerdings für ein Wildschwein gehalten habe. Er drückte zweimal ab und „die Silhouette fiel um“. Raschkin holte einen seiner Freunde, um Hilfe beim Zerkleinern und Verladen des toten Tiers zu haben. Bei der Fahrt aus dem Wald machte der Motor des Autos plötzlich schlapp. Und dann tauchten auch schon die Fremden auf, die Auto und Insassen umringten.

Abgeordneter verliert Immunität

Der Kommunist ist sich keiner Schuld bewusst und sieht sich als Opfer einer Provokation. Auch seine Partei wittert Rache für ihr gutes Ergebnis bei den Parlamentswahlen im Herbst, als erst die Zahlen der Online-Abstimmung doch noch für klare Verhältnisse zugunsten der Regierungspartei Einiges Russland gesorgt hatten. Raschkin war damals einer derjenigen gewesen, die am lautesten von Manipulation gesprochen und zu Straßenprotesten aufgerufen hatten.

Die Ermittlungsbehörde wirft ihm nach Artikel 258, Absatz 2 des Strafgesetzbuchs nun illegale Jagd unter Ausnutzung seiner Stellung oder im Komplott oder mit besonders hohem Schaden vor. Darauf steht eine Geldstrafe zwischen einer halben und einer Million Rubel (ca. 6000 bis 12.000 Euro) oder Freiheitsentzug von drei bis fünf Jahren. Als die Duma ihm Ende November die Immunität entzog, spottete Raschkin, mehr Aufregung habe wohl nur „die Ermordung von Kennedy“ ausgelöst.

Ein Foto mit 178 toten Gänsen

Gezielte Falle oder nicht – der Jagdfreund reiht sich ein in eine lange Liste von Politikern und Funktionären, die mit ähnlichen Vorfällen ins Zwielicht gerieten. Im Frühjahr wurde auf Instagram ein Foto veröffentlicht, auf dem ein Jäger inmitten des Schriftzugs „Tschukotka 2021“ in einer verschneiten Landschaft posiert. Die Buchstaben setzten sich dabei aus 178 toten Gänsen zusammen, was für reichlich Empörung im Netz sorgte. Nachdem die „Nowaja Gaseta“ von Friedensnobelpreisträger Dmitrij Muratow eine Belohnung für sachdienliche Informationen ausgelobt hatte, stellte sich heraus, dass es sich bei dem Mann um Alexander Kramarenko handelt, der für die Regierungspartei Einiges Russland in der Stadtduma von Magadan sitzt. Die Partei setzte daraufhin seine Mitgliedschaft vorerst aus. Ende Juni gab die Ermittlungsbehörde von Tschukotka – dem Autonomen Kreis der Tschuktschen im äußersten Nordwesten von Russland, wo das Foto entstanden war – bekannt, ein Strafverfahren nach besagtem Artikel 258, Absatz 2 eingeleitet zu haben. Es war die bisher letzte Meldung in diesem Fall.  

Ein Jäger und seine Beute: Für dieses Foto legte sich Alexander Kramarenko schwer ins Zeug. (Foto: instagram.com/hunting_in_siberia)

Wildhüter ziehen im Kampf gegen die illegale Jagd oft genug den Kürzeren. Zu ausgedehnt die Flächen, die sie zu überwachen haben, zu bescheiden die personellen und finanziellen Mittel. Nach russischen Medienberichten gehen die staatlichen Inspektoren verbreitet für einen Hungerlohn von 10.000 bis 20.000 Rubel (120 bis 240 Euro) ihrer Arbeit nach. Dafür müssen sie mehr oder weniger rund um die Uhr einsatzbereit sein und sich im Fall des Falles praktisch im Alleingang den Wilderern entgegenstellen. Der Idealismus ist kaum irgendwo so groß wie in dieser Branche. Immerhin scheint sich nach den Schlagzeilen der jüngeren Vergangenheit auch in Moskau die Erkenntnis durchzusetzen, dass sie chronisch unterfinanziert ist. Es gibt Anzeichen dafür, dass sich die Ausrüstung langsam verbessert.

Waffe weg bei Fahren unter Alkohol

Gleichzeitig verschärft Russland permanent seine Waffengesetze. Im Sommer wurde das Mindestalter für Waffenbesitz von 18 auf 21 Jahre angehoben. Ab 1. März 2022 ist ein Gesundheitscheck mindestens alle fünf Jahre vorgeschrieben, um vor allem Geisteserkrankungen bei Waffenbesitzern aufzudecken, bevor es zu spät ist. Außerdem soll die Nationalgarde das Recht erhalten, Waffen einzuziehen, wenn etwa Trunkenheit am Steuer auf mögliche psychische Probleme hindeutet.

Doch die staatlichen Maßnahmen werden dadurch konterkariert, dass es auch Staatsdiener mit den Gesetzen nicht so genau nehmen. Wildhüter klagen schon lange, dass gerade höhergestellte Personen häufig glaubten, sich alles erlauben zu können und im Zweifelsfall am längeren Hebel zu sitzen. Nach Medienberichten wurden Mitte Oktober unter anderem der Vize-Gouverneur und der Vize-Bürgermeister von Rjasan wegen Wilderei in einem Naturschutzgebiet festgesetzt. Besonderes Aufsehen erregte auch ein Fall im Jahr 2009. Nach dem Absturz eines Hubschraubers mit elf Menschen an Bord kam heraus, dass die Passagiere, darunter der bei dem Crash getötete Bevollmächtigte des Präsidenten in der Duma Alexander Kossopkin, aus der Luft auf geschützte Tiere geschossen hatten. Drei Überlebende wurden angeklagt, doch das Gerichtsverfahren verlief im Sande.

Tino Künzel

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