Zum Lachen in den (Comedy-)Keller?

Lachen über politische Witze. Das geht in Russland nicht überall. Stand-up-Comedy gilt als letzte Bastion für subversive Gags. Doch seitdem der belarussische Comedian Idrak Mirsalisade letztes Jahr zehn Tage hinter Gittern verbrachte, geht die Angst um. Oleg Denissow, Russlands international erfahrenster Stand-up-Comedian und Leiter des Comedy-Clubs „Steal the Show“ spricht im Interview darüber, wie es um die Szene in Russland steht und warum er dem Land den Rücken zukehrt.

Politische Comedy hat einen schweren Stand in Russland.
Oleg Denissow lacht, doch der Finger zeigt Richtung Ausgang. Bald zieht der Comedian nach Berlin. (Foto: Steal the Show Comedy)

Oleg, die russische Comedy-Szene gilt als sicherer Hafen für politische Witze und humoristische Kritik. Teilen Sie diese Einschätzung der Szene?
Bis vor ungefähr einem Jahr war es so, dass du in einem Comedy-Club Witze über alles machen konntest und dein einziger Richter das Publikum war. Sogar Comedians, die ihre komplette Karriere im Fernsehen gemacht haben, taten dies außerhalb des TV in ihren Live-Shows.

Der Fall von Idrak Mirsalisade war letztes Jahr ein sehr großes Ereignis für die Szene. Was genau geschah damals?
Idrak sprach in einer YouTube-Comedy-Show darüber, wie schwer es für Nicht-Russen wie ihn ist, in Moskau eine Wohnung zu mieten. Und er versuchte, auf Vorurteile hinzuweisen, indem er sagte: „Als ich in die neue Wohnung einzog, war die Matratze voller Scheiße, also musste ich sie rauswerfen. Und die Vormieter waren Russen, also bedeutet das, dass alle Russen auf ihre Betten scheißen?“ Diese Passage kam ohne Kontext in die Radiosendung des konservativen Moderators und Streamers Wladimir Solowjow, sodass es so klang, als würde Idrak sagen, „Alle Russen scheißen auf ihre Betten“. Solowjow machte Idrak in seiner Sendung fertig. Dann wurde er angezeigt und man wollte ihn des Landes verweisen.

Und was hat sich daraufhin in der Szene verändert?
Dieser Fall hat alle in einen Zustand der Selbstzensur versetzt. Obwohl ich denke, dass du in den Comedy-Clubs, gerade in kleineren, immer noch so gut wie alles sagen kannst. Es gibt aber keine Plattform, keine Community für die Comedians, über die sie bekannt werden können. Deswegen versuchen sie auf eigene Faust, sich einen Namen zu machen. Sie wollen so viel Content wie möglich schaffen, den sie ins Netz stellen können. Also versuchen sie, keine zu sensiblen Themen in ihren Programmen anzusprechen, um nicht wegen ihres Online-Auftritts ins Visier der Behörden zu geraten.

Was ist denn die rote Linie, die man nicht überschreiten sollte? Was bringt einen Comedian ins Visier der Behörden?
Das große Problem ist dasselbe wie mit den Demonstrationen. Dort hat die Polizei nicht einfach die Teilnehmenden festgenommen, die am gewalttätigsten oder am lautesten waren. Sie haben sich einfach zufällig Leute herausgepickt. Sodass sich keiner sicher fühlt. Für uns ist das ähnlich. Idrak sagte nichts, was andere Comedians nicht auch sagen. Und er wurde trotzdem aus dem Verkehr gezogen.

Wegen seines Falles beschlossen viele Comedians, bestimmte Videos mit kritischen Inhalten von ihren Kanälen zu nehmen. Weil es keine rote Linie gibt und jeder Comedian politisches Material hat. Die Comedians fingen an so zu denken, wie die Behörden es wollten.

Aber gibt es denn noch Themen, über die man ohne Sorgen vor Konsequenzen sprechen kann?
Ja, im Allgemeinen sind das Witze über die Polizei, Bürokratie und korrupte Politiker. Und ich glaube nicht, dass es da in Zukunft irgendwelche Einschränkungen geben wird. Denn es muss ein bestimmtes Ventil geben. Es geht darum, die Wut und Frustration des Volkes umzulenken. Sogar die Comedians im Fernsehen machen heute noch Witze über korrupte Parlamentarier. Es passt in das Narrativ: Putin ist gut und versucht sein Bestes, doch es gibt andere Politiker, die zum Teil Schlechtes im Schilde führen. Guter Zar, schlechte Bojaren.

Würden Sie sagen, dass Stand-up-Clubs eine Art Zufluchtsort für politisch Aktive sind?
Das würde ich nicht sagen. Poli­tische Elemente nehmen nur einen kleinen Teil der Shows ein. Ich zum Beispiel habe in meinem neuen Special nur zehn Minuten politisches Material. Und das ist vergleichsweise schon viel. Viele Leute konsumieren politische Inhalte. Sie schauen sich Videos von Nawalnyj* (Alexej, Anm. d. Red.) oder poli­tischen Bloggern an, sie kommen zu Comedy-Shows. Doch politisch aktiv im engeren Sinne sind sie nicht. Und ich denke nicht, dass Angst der Hauptgrund ist. Sie sehen einfach keinen Sinn darin. Wie in Belarus die Proteste niedergeschlagen wurden, das hat viele entmutigt.

Und wie sehen sich die russischen Comedians? Sind sie politische Akteure, die eine gewisse Agenda vertreten?
Nein, wir haben keine Comedians mit politischer Agenda wie zum Beispiel in den USA. Das poli­tische Element dient hier lediglich dazu, sich mit dem Publikum zu verbinden und zu zeigen, dass man die Probleme der Leute kennt. Die Comedians sehen sich nicht als politische Akteure, sondern als Witzemacher.

Und diese Zensur ohne rote Linie – sehen Sie die als etwas speziell Russisches oder eine gängige Strategie autoritärer Regime?
Ich weiß nicht, ob man sie speziell russisch nennen kann. Aber wenn man sich China anschaut, gibt es dort eine andere Politik in Bezug auf freie Meinungsäußerung. Dort wurde einfach alles dichtgemacht. Dafür braucht man eine Menge Ressourcen. Außerdem will man hier nicht komplett autokratisch rüberkommen. Man nutzt lieber minimale Ressourcen, wie bei den Demonstrationen eben. Deshalb glaube ich, dass diese Strategie für die Behörden einfacher ist, als alle festzunehmen, beziehungsweise alle zu zensieren.

Warum denken Sie, gibt es derzeit diesen Fokus der Behörden auf die Stand-up-Comedy-Szene?
Weil die Szene, besonders mit ihren Online-Videos, nun einen problematischen Grad an Popularität erreicht hat. Ihre Videos werden mittlerweile millionenfach geklickt. Vor fünf Jahren noch spielten die Stand-up-Comedians nicht in derselben Liga wie Videoblogger. Jetzt sind sie nah dran. Die Industrie entwickelt sich. Sie sind nun populär genug, um die Aufmerksamkeit der Behörden zu erregen.

Gemeinsam wird hier auch über Politisches gelacht, politisch aktiv sind jedoch die Wenigsten. (Foto: Steal the Show Comed)

Und wie denken Sie, wird das in der Zukunft weitergehen?
Es ist eine sehr instabile Umgebung. Das gilt jedoch für viele Branchen, die in Russland heranwachsen. Die Gesetze ändern sich ständig und beschützen dich nicht wirklich. Das ist kennzeichnend für das Klima für Unternehmen und eben auch für das Unterhaltungsbusiness. Ich sehe viele Leute, die sehr kreative Dinge tun, bis sie dann an die Behörden geraten. Die Stand-up-Szene ist nur ein aktuelles Beispiel dafür.

Glauben Sie also, die Freiheiten auf der Bühne werden weiter eingeschränkt?
Ich denke ein Grund für den jet­zigen Erfolg der Szene ist eben diese Freiheit. Vor allem die jüngeren Leute zieht das an. Das wird auch erst mal so bleiben. Obwohl nun auch beispielsweise schon Shows des russischen Stand-up-Pioniers Ruslan Belyj abgesagt wurden. Obwohl er nicht wirklich politischer als andere Comedians ist. Wenn also die Behörden einmal die ein oder andere Person oder die ganze Szene als unerwünscht ansehen, dann kann es für die Comedians sehr eng werden. Im Moment trifft es nur einzelne Personen. Aber auch bei den Demonstrationen waren es anfangs nur wahllose Festnahmen.

Jetzt werden politische Organisationen geschlossen und jeder wird zum Terrorist erklärt. In der Comedy wird es nicht dazu kommen, wenn sich die Szene genügend selbst zensiert. Doch wenn der Staat es als nötig ansieht, wird er eine härtere Strategie auffahren.

Sie ließen schon vor dem Gespräch anklingen, dass Sie Russland in Richtung Berlin verlassen werden. Hängt das auch mit der politischen Lage des Landes und im Speziellen Ihrer Situation als Stand-up-Comedian zusammen?
Ich kann hier nicht tun, was ich tun möchte. Ich wollte eine Community aufbauen und damit Comedians unabhängiger vom Fernsehen machen. „Steal the Show“ ist der am besten bewertete Comedy-Club Moskaus. Für eine gewisse Zeit schien es, als ob unsere Szene von der Zensur verschont bleibt. Aber jetzt sieht es anders aus. Aus geschäftlichen und politischen Gründen ist es jetzt schwer geworden, mein Vorhaben umzusetzen. Und das Leben ist zu kurz. Deshalb gehe ich.

Die Fragen stellte Emil Herrmann.

*Alexej Nawalnyj steht auf der Liste von Terroristen und Extremisten von Rosfinmonitoring.

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