Umfrage: Die beste Zeit zum Leben in Russland ist heute

Russische Meinungsforscher sind der Frage nachgegangen, was heutige Russen von der Oktoberrevolution halten und wie sie die Ereignisse vor 100 Jahren zu ihrem eigenen Leben in Beziehungen setzen. Die Antworten verraten gemischte Gefühle. Aber eine neuerliche Revolution will so gut wie niemand.

Russlands Schicksalsjahr 1917: 100 Jahre später ist der Zeitpunkt gekommen, darüber zu sprechen. / openclipart.org

Wenn die Oktoberrevolution sich vor ihren Augen abspielen würde, was würden Sie tun? Ja, Sie! Die Koffer packen und nach Deutschland flüchten, wäre eine naheliegende Antwort. Die vom renommierten Lewada-Zentrum bereits im Frühjahr befragten Russen wählten aus vorgegebenen Antworten mehrheitlich (33  %) folgende Variante aus: Ich würde mich raushalten und abwarten. Immerhin 28 Prozent würden „aktiv“ oder „hier und da“ die Bolschewiken unterstützen, 14  Prozent lieber das Land verlassen.

Können sich die damaligen Ereignisse aber realistischerweise im Russland von heute wiederholen? 59 Prozent meinen „ganz gewiss nicht“ oder „eher nicht“, 28  Prozent – „ja“ oder „eher ja“.

Und dann durften sich die Umfrageteilnehmer noch die russische Epoche aussuchen, in der sie sich am liebsten wiederfinden würden, könnten sie ihr Leben noch einmal von vorn beginnen. Beliebteste Antwort (33  %): „im Heute, unter Präsident Wladimir Putin“. Auf den zweiten Platz kamen die windstillen Breschnew-Jahre, deren Bleischwere und Doppelzüngigkeit sich die Russen in der Perestroika unter Michail Gorbatschow doch scheinbar mit so großem Enthusiasmus entledigten, die aber im Rückblick als Hort der „Stabilität“ offenbar eine enorme Anziehungskraft entfalten. Umgekehrt erscheint es nur drei Prozent verlockend, in die Perestroika-Zeit versetzt zu werden. Sowohl das Russland vor 1917 als auch die Stalin-Ära schneiden mit vier Prozent allerdings kaum besser ab. Immerhin elf Prozent der Russen würden gern im Ausland leben.

Das staatliche Meinungsforschungsinstitut WZIOM fand in seiner kürzlich veröffentlichten Umfrage heraus, dass die Russen Revolutionen nicht generell ablehnen. Für 57 Prozent sind sie eine „historische Notwendigkeit, die Vor- und Nachteile mit sich bringt“. 25 Prozent finden dagegen, dass die „Erschütterungen und Opfer“ einer Revolution „durch nichts zu rechtfertigen“ sind.

61 Prozent der Befragten können auch der Oktoberrevolution durchaus positive Aspekte abgewinnen. Sie habe der sozial-ökonomischen Entwicklung des Landes einen Schub gegeben, glauben 38 Prozent, immerhin elf Prozent mehr als noch 2012. Eine „neue Ära in der Geschichte Russlands“ sei mit ihr angebrochen, sagen 23 Prozent. Ob die Oktoberrevolution aber den Willen der Völker Russlands zum Ausdruck gebracht hat? 45 Prozent meinen „ja“, 43 Prozent nein.

Insgesamt scheinen die Russen mit dem Abstand der Jahre ein relativ emotionsloses, neutrales und differenziertes Verhältnis zur Oktoberrevolution entwickelt zu haben. Nahezu Einigkeit herrscht der WZIOM-Umfrage zufolge allerdings in der Frage, ob Russland heute eine neue Revolution braucht. 92 Prozent – 14 Prozent mehr als 2012 – gaben an, das dürfe man auf keinen Fall zulassen, „was auch immer passiert“.

Tino Künzel

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