Bedingt große Sportfeste

Internationale Wettkämpfe haben für russische Sportler wegen weitgehender Sperren seit über zwei Jahren Seltenheitswert. Nun veranstaltet Russland selbst internationale Wettkämpfe. Doch das Echo auf die als Großereignisse angekündigten Sportfeste ist mäßig.

Vor dem Hintergrund der Kul-Scharif-Moschee im Kasaner Kreml: Hochspringerin bei den BRICS-Spielen (Foto: bricskazan2024.games)

Die Millionenstadt Kasan hat Erfahrung mit der Ausrichtung von Sportwettkämpfen. 2013 fand hier die Sommer-Universiade statt, auch als Welthochschulspiele bezeichnet. 2015 war die Stadt Gastgeber der Schwimm-WM, 2018 der Fußball-WM. Die sportliche Infrastruktur wird in Russland höchstens noch von Moskau übertroffen, wenn überhaupt.

Russland hamstert Medaillen

In diesen Tagen wird in Kasan wieder ein hochrangiges Sportfest veranstaltet, sollte man meinen. Bei den BRICS-Spielen kämpfen nach offiziellen Angaben fast 5000 Sportler aus 90 Ländern in 27 Sportarten um Medaillen. Das sportliche Niveau scheint dabei eher Richtung Spartakiade zu tendieren. Nach zehn von zwölf Tagen sieht der Medaillenspiegel, gelinde gesagt, ungewöhnlich aus. Russland hat fast die Hälfte aller vergebenen Medaillen gewonnen und bei den Goldmedaillen sogar über 70 Prozent. Die Nationenwertung führt der Gastgeber mit haushohem Vorsprung an. Mit großem Abstand auf den folgenden Plätzen: Belarus, China und der Iran. Zwei Drittel aller Teilnehmerländer blieben bisher ohne Medaille.

In der öffentlichen Wahrnehmung scheinen die BRICS-Spiele keine große Rolle zu spielen. Die Berichterstattung der populärsten Sport­medien wird von der Fußball-EM in Deutschland dominiert. Kasan kommt höchstens am Rande vor.

Olympia-Ersatz wie 1984

Aber vielleicht steht der Leistungsgedanke bei dieser Veranstaltung auch nicht unbedingt im Vordergrund. Bei den „Weltspielen der Freundschaft“, für den September in Moskau und Jekaterinburg angekündigt, ist das anders. Präsident Wladimir Putin hat sie höchstselbst per Dekret ins Leben gerufen. Auch wenn offiziell bestritten wird, dass es sich um alternative Olympische Spiele handelt, gelten sie doch als Pendant dazu. Russische Sportler, die derzeit nicht an Olympia teilnehmen können oder höchstens in einem neutralen Status ohne Flagge und Hymne, sollen dort die Gelegenheit bekommen, sich mit Weltklasse-Konkurrenz zu messen. Für Medaillen sind Prämien ausgelobt, die denen bei Olympischen Spielen in nichts nachstehen. Und ausgetragen werden sollen die „Freundschafts-Spiele“ im olympischen Vier-Jahres-Rhythmus. Nach den Sommerspielen wären 2026 die ersten Winterspiele in Sotschi fällig.

Ganz ohne historisches Vorbild ist das nicht. Im Sommer 1984 fanden die „Wettkämpfe der Freundschaft“ – auf Russisch „Druschba-84“ – in jenen Ländern statt, die die Olympischen Spiele in Los Angeles boykottiert hatten. Dabei wurden reihenweise Weltrekorde aufgestellt. Die Nationenwertung gewann die Sowjetunion überlegen vor der DDR.

Medien vermelden Absage

Ob es diesmal wieder gelingt, zumindest ein schlagkräftiges Teilnehmerfeld zu versammeln, ist ungewiss. Wohl deshalb wurde zuletzt in russischen Medien unter Berufung auf verschiedene Quellen über eine Verschiebung der Veranstaltung um ein Jahr berichtet. Eine offizielle Bestätigung steht allerdings noch aus. So hoch, wie die „Weltspiele der Freundschaft“ im Vorfeld gehängt worden waren, dürfte es nicht leicht werden, dabei das Gesicht zu wahren.

Als Wettkampfstätte bei den Freundschafts-Spielen vorgesehen: die Sporthalle „Druschba“ in Moskau. Gebaut in den 1970er Jahren, war sie bei Olympia 1980 Schauplatz des Volleyball-Turniers der Frauen. Erst vor Kurzem wurde eine bereits 2017 begonnene Rekonstruktion abgeschlossen. (Foto: Tino Künzel)

Ursprünglich sollten an diesem geplanten Saison-Höhepunkt Sportler aus über 100 Ländern teilnehmen, wie es hieß. Mitte März sprach Alexej Sorokin als Chef des Organisationskomitees von Zusagen aus „ungefähr 30 Ländern“. Zuvor hatte das Internationale Olympische Komitee die Veranstaltung scharf kritisiert und seine Mitglieder vor einer Teilnahme gewarnt. Das würde als Verstoß gegen internationale Sanktionen gewertet. Gut möglich, dass viele deshalb davon Abstand genommen haben.

„Wer erklärt es dem Präsidenten?“

Wie der „Sport-Express“ berichtete, solle als Grund für eine Verschiebung keinesfalls internationaler Druck genannt werden. Stattdessen würde auf „Empfehlungen der Internationalen Vereinigung der Freundschaft“ verwiesen. In einem Artikel auf Sports.ru heißt es dazu: „Jetzt fragen Sie sich: Was ist eigentlich die Internationale Vereinigung der Freundschaft? Sie wurde im April durch einen Erlass von Putin gegründet, um die Spiele der Freundschaft voranzubringen. Einige Wochen später rät diese Vereinigung davon ab, das Turnier 2024 auszurichten.“

Auf Championat.com wird die Entwicklung als das „Beste“ bezeichnet, was dem „russischen Äquivalent zur Olympiade“ passieren konnte. Es sei von Anfang an klar gewesen, dass nach Olympia in Paris keine Weltklasse-Athleten nach Russland kämen. In einem Jahr sähe das vielleicht anders aus. „Bleibt nur eine Frage: Wer erklärt dem Präsidenten, dass sein Dekret zum jetzigen Zeitpunkt nicht umsetzbar ist?“

Tino Künzel

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