Lenin, Stalin und die Unabhängigkeit
In dem Gebäude, das heute das Lenin-Museum in Tampere beherbergt, traf der zukünftige Führer des Weltproletariars, Uljanow-Lenin, zum ersten Mal auf Josef Stalin. Im Arbeiterhaus von Tampere trafen sich 1905 die Mitglieder der bolschewistischen Untergrundpartei zur „Generalprobe“ für die Revolution. Ein Jahr später versprach Lenin hier, die Unabhängigkeit Finnlands anzuerkennen, sollten die Bolschewiki an die Macht kommen. Und er hat sein Versprechen gehalten.
Nach der Machtübernahme durch die Bolschewiki erklärte die Regierung Lenins in einem ihrer ersten Dekrete das „Recht der Völker auf Selbstbestimmung“. In diesem Zusammenhang verabschiedete die finnische Regierung am 6. Dezember 1917 eine Erklärung über die staatliche Unabhängigkeit Finnlands, das bis dahin als Großfürstentum Finnland zum Russischen Reich gehörte. Das proklamierte zwar die Regierung, aber es hatte wenig Bedeutung. Die USA und die europäischen Länder erklärten, sie seien nicht bereit, die Unabhängigkeit Finnlands anzuerkennen, bevor Russland dies tut. Russland war das erste Land der Welt, das die Unabhängigkeit Finnlands anerkannte. Dies geschah am 18. Dezember 1917. Nach Russland erkannten in der ersten Woche des Jahres 1918 sieben weitere Länder das unabhängige Finnland an: Frankreich und Schweden am 4. Januar, Griechenland am 5. Januar, Deutschland am 6. Januar, Norwegen und Dänemark am 10. Januar und die Schweiz am 11. Januar. Die USA und Großbritannien hatten es überhaupt nicht eilig. Sie erkannten die Unabhängigkeit Finnlands erst 1919 an. Und Afghanistan und Albanien erkannten die finnische Unabhängigkeit erst 1928 an.
Elektriker aus Tampere
Der Vorschlag für ein Museum wurde bereits in den 1920er Jahren gemacht, kurz nachdem das Land seine Unabhängigkeit erlangt hatte. Aus verschiedenen historischen Gründen dauerte es jedoch mehr als 20 Jahre, bis das Museum eröffnet werden konnte. Die Notwendigkeit eines Lenin-Museums trat Ende 1944 erneut in den Vordergrund. Es war die Zeit einer radikalen Wende in der finnischen Politik: In Moskau wurde ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet, das den sowjetisch-finnischen Krieg von 1941-1944 beendete, und der damalige finnische Regierungschef Juho Kusti Paasikivi begann, eine völlig neue, freundschaftliche Beziehung zur Sowjetunion aufzubauen. Zur gleichen Zeit nahm die „Gesellschaft für finnisch-sowjetische Freundschaft“ ihre Arbeit auf, welche für viele Jahre der Hauptakteur im „Freundschaftsspiel“ (wie finnische Historiker es heute nennen) zwischen den beiden Ländern werden sollte.
Wie dieselben finnischen Historiker bezeugen, hat die Sowjetunion die Einrichtung eines Lenin-Museums in Finnland nach Kriegsende keineswegs erzwungen. Dieses Projekt war eine lokale Initiative. Laut Pia Koivunen, einer Forscherin für sowjetische und russische Geschichte an der Universität Turku, wurde das Museum am 20. Januar 1946, dem Todestag von Lenin, auf Initiative eines gewissen V. Vahlman, einem Elektriker aus Tampere, eröffnet. Vahlman war ein aktives Mitglied der Zweigstelle der „Gesellschaft für finnisch-sowjetische Freundschaft“ in Tampere.
Obligatorischer Bestandteil des „Kulturprogramms“
Die Sozialdemokraten, die das Arbeiterhaus in Tampere verwalteten, wollten nicht ein kommunistisches Projekt in ihrem Gebäude verwirklicht sehen. Die Gründe dafür waren sowohl ideologischer als auch wirtschaftlicher Natur. In einer Wohnung im dritten Stock des Arbeiterhauses befand sich ein Billardzimmer, dessen Einnahmen eine gute Geldquelle für die Gewerkschaft darstellten.
Dennoch wurde gegen den Willen der sozialdemokratischen Verwalter im Haus das Lenin-Museum eingerichtet. In den ersten Jahren wurde die Arbeit des Museums durch begrenzte Mittel behindert. Die Sowjetunion stellte dem Museum Ausstellungsmaterial zur Verfügung und leistete nur wenig finanzielle Unterstützung. Tatsächlich arbeitete das Museum auf freiwilliger Basis.
Zwei von Lenins Nachfolgern besuchten das Museum: Nikita Chruschtschow im Jahr 1957 und Leonid Breschnew im Jahr 1960. Michail Gorbatschow lehnte die Einladung ab. Er erfüllte 1989 seine „leninistische Pflicht“, indem er die Wohnung des roten Kommandanten Kustaa Rovio in Helsinki besuchte. Die Wohnung war eines der Verstecke von Lenin in Finnland.
Das erfolgreichste Jahrzehnt in der Geschichte des Museums waren die 1970er Jahre, als die Zahl der Besucher pro Jahr 20 000 überstieg. Zu dieser Zeit wurden Touristengruppen aus der Sowjetunion in das Museum gebracht, für die es ein obligatorischer Bestandteil des „Kulturprogramms“ war.
Neuer Anfang
Im April dieses Jahres wurde bekannt gegeben, dass das Lenin-Museums am 3. November schließen würde. Die Ausstellung wird abgebaut und an ihrer Stelle soll im kommenden Februar das neue Museum „Nootti“ („Die Note“) eröffnet werden. Nach Angaben des Museumsdirektors Kalle Kallio ist die Umstrukturierung in erster Linie auf „Finanzierungsschwierigkeiten“ zurückzuführen und stellt keinen Versuch dar, den Namen Lenins zu streichen, der Finnland 1917 zu einem unabhängigen Staat machte. Ihm zufolge wird das neue Museum der gemeinsamen Geschichte der beiden Länder gewidmet sein, von der russischen Revolution über die finnische Unabhängigkeit bis hin zur NATO-Ära. Der Schwerpunkt des erneuerten Museums wird sich vom Politischen auf das Zwischenmenschliche verlagern und die Geschichten finnischer Familien erzählen, deren Schicksale eng mit der Geschichte der UdSSR und Russlands verwoben sind.
Alexej Karelski