Auf Usedom: Gorki-Haus in der Gorki-Straße

Maxim Gorki war auf dem Höhepunkt seines Ruhms, als er 1922 mehrere Monate auf Usedom an der deutschen Ostseeküste verbrachte. Ein Ortstermin.

Ort mit Geschichte: die Literaturwissenschaftlerin Karin Lehmann vor der Villa Irmgard im Ostseebad Heringsdorf auf Usedom (Foto: Tino Künzel)

Gorki ist nicht da. Er kann aber nicht lange weg sein, denn in der Villa Irmgard sieht es so aus, als hätte er einfach nur alles stehen und liegen gelassen. Vielleicht macht er ja wieder einen Spaziergang am nahen Strand und schaut den Fischern zu. Selbst für Gorki mit seiner kranken Lunge ist das keine große Anstrengung. Die Heringsdorfer haben ihn oft genug bei seinen Spaziergängen beobachtet. Nur wirkte er auf sie mit Schlapphut, Bart und weitem Mantel immer ein wenig unnahbar.

Vielleicht ist Gorki aber auch wandern gegangen. Zum Buchfinksberg oder dem Gothensee zum Beispiel, bei seiner Liebe zur Natur wäre das keine Überraschung. Oder ist er gerade in den Pilzen?

Gorki kommt den ganzen Nachmittag nicht. Dafür kommt Karin Lehmann. Die Literaturwissenschaftlerin könnte eine gute Pressesprecherin für den berühmten Russen abgeben, so viel, wie sie über ihn weiß. 1984 hat sie in der damaligen Maxim-Gorki-Gedächtnisstätte angefangen, die in der Villa Irmgard 1947 eingerichtet worden war. Später leitete sie das Haus lange Jahre. In Gorkis Abwesenheit hält sie auch heute mal wieder hier die Stellung.

99 Jahre weg und doch gegenwärtig

Der Schriftsteller (Nachtasyl, Die Mutter) wollte im Ostseebad Heringsdorf auf Usedom ein Lungenleiden lindern, das ihn seit einem Selbstmordversuch in seiner Jugend plagte. Damals hatte man ihm, der aus einfachen Verhältnissen stammte, die Aufnahme an die Universität von Kasan verwehrt. „Da hat er das soziale Gefälle mit voller Wucht gespürt, das hat ihn sehr verletzt“, sagt Karin Lehmann. Mit einem billigen Revolver schoss Gorki einmal vorbei, der zweite Schuss ging in die Brust, verletzte ihn aber nicht tödlich. In einem Abschiedsbrief hatte er gebeten, Heinrich Heine für seinen Tod verantwortlich zu machen, denn: „Er hat das Seelengemüt in mir geweckt.“

Alexej Peschkow alias Maxim Gorki (1868-1936) hielt sich in Heringsdorf von Mai bis September 1922 auf, ist aber auch 99 Jahre später noch ziemlich präsent. In der Villa Irmgard sind die von ihm bewohnten Räumlichkeiten so erhalten, wie er sie verlassen hat, als er nach Bad Saarow weiterreiste.

Die Villa gehörte damals dem Rechtsanwalt Becher, der sie nach seiner Frau Irmgard benannt hatte. 1907 gebaut, wurde das Haus als Pension betrieben. Seine Lage in einer ruhigen Nebenstraße abseits der mondänen Ortsmitte gefiel Gorki. Der war zwar ein Mann von Weltruf, ein Jahr zuvor hatte er mit seiner ganzen Autorität an die internationale Gemeinschaft appelliert, der Sowjetunion bei der Bekämpfung einer schweren Hungersnot im Wolgagebiet zu helfen. Doch in Heringsdorf vermied er jegliches Aufsehen und widmete sich, wenn er nicht gerade an der frischen Seeluft unterwegs war, vor allem der Arbeit. Umgeben unter anderem von seinem Sohn Maxim und dessen Frau, schrieb er an seiner Autobiografie und führte eine umfangreiche Korrespondenz. Der Heringsdorfer Briefträger Erich Meier bekam viel zu tun.

Eifriger Briefeschreiber, schlechter Verlierer

Gorki, der in seinem Leben rund 20.000 Briefe verfasst haben soll, war in seinen Zeilen liebenswürdig und scharfsinnig, aber auch ehrlich bis zur Schonungslosigkeit. Einen Kollegen ließ er wissen: „Es ist sehr traurig für mich zu sehen, dass Sie immer schlechter, sorgloser und kälter schreiben.“ Aber auch diese Kritik sei nur der „Achtung und Liebe vor Ihrem unbestrittenen Talent“ geschuldet.

Gorki empfing in der Villa Irmgard den Opernsänger Fjodor Schaljapin und den Schriftsteller Alexej Tolstoi. An den Abenden spielte er gern Karten. Er soll ein schlechter Verlierer gewesen sein.

Karin Lehmann glaubt, dass Gorki nicht nur aus gesundheitlichen Gründen in Heringsdorf war. Sie spricht von einer „inneren Emigration“. Es gebe ausreichend Anhaltspunkte dafür, dass einer der bekanntesten Vertreter des sozialistischen Realismus in der Kunst gleichwohl von der Entwicklung in Sowjetrussland nach der Oktoberrevolution enttäuscht gewesen sei.

Auch Lehmann hat vor vielen Jahren eine Krankheit in den Norden geführt. Wegen der asthmatischen Bronchitis ihres Sohnes zog sie von Potsdam an die Ostsee. Zum 50. Todestag Gorkis hat sie 1986 die Ausstellung im Museum neu gestaltet. Seitdem gibt es dort nur noch wenig Texte. „Ich wollte ein Museum zum Anfassen und Begreifen“, sagt sie.

„Menschen werden wie Brüder leben“

Nach der Wende hat es Stimmen gegeben, Gorki passe nun nicht mehr in die Zeit und damit auch das Museum. „Von solcher Bilderstürmerei halte ich gar nichts“, sagt Karin Lehmann.

Als Kompromiss wurde der Name in Museum Villa Irmgard geändert, das Haus erinnert heute nicht nur an Gorki, es ist ein Kultur- und Begegnungszentrum. Doch die Adresse ist immer noch wie zu DDR-Zeiten die Maxim-Gorki-Straße 13. Und viele Besucher kommen nicht zuletzt wegen Gorki. Der hatte bei seiner Abreise ins Gästebuch geschrieben: „Und dennoch und trotz alledem werden die Menschen eines Tages wie Brüder leben.“ Neulich hat sich ein älteres Ehepaar aus Konstanz im Gästebuch auf den Satz bezogen. Er sei „eine ewige Hoffnung, ohne die das Leben trostlos wäre“, heißt es in dem Eintrag.

Tino Künzel

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