Am deutschen Stammtisch unweit des Kreml

Deutsche Stammtische gibt es schon seit Jahrzehnten in Moskau. Die Fragen, die den Stammtisch bewegen, spiegeln derzeit die Unsicherheit in der Deutschen Gemeinschaft in Moskau wider.

Nichts für Patriarchen: Alle Lokale an den Patriarchenteichen sind bis zum Anschlag gefüllt. (Foto: Igor Beresin)

Natalie ist eine Nürnbergerin, die eine Aufenthaltserlaubnis in der russischen Greencard-Lotterie gewonnen hat. Sie war mit den deutschen Coronarestriktionen unzufrieden und dachte, „sie macht mal mit“. Prompt gewann sie ihre „Vid Na Shitelstvo“ und machte sich im Januar auf den Weg nach Moskau. Kurz danach begann der Ukrainekonflikt. Natalie blieb noch ein bisschen in Moskau und beobachtet, wie sich die Sache hier entwickelt. Wir trafen uns am deutschen Stammtisch.

Postmeister

Der eher kleine Stammtisch im Postmeister, einem pseudo-deutschen Restaurant am Arbat (eine Fußgängerstraße im historischen Zentrum von Moskau – Anm. d. Red.), hatte vor dem 24. Februar eine eher überschaubare Zahl von Gästen. Die meisten waren Deutsche, die in der Nachbarschaft des Arbats leben. Das Bier im Postmeister ist in den letzten drei Monaten um 100 Rubel teurer geworden, was 25 Prozent gleichkommt. Auch im Supermarkt kostet Bier nun mehr und das betrifft nicht nur Importsorten. Viele davon gibt es sowieso nicht mehr. Generell sind die Preise in der Gastronomie um ca. 20 Prozent gestiegen. Die Moskauer Restaurantbetreiber würden die Preise gerne noch mehr anheben, aber im Moment akzeptieren die Gäste nicht mehr. Man behilft sich mit anderen Tricks, verwendet billigere Zutaten oder macht kleinere Portionen.

Der Postmeister ist für den deutschen Stammtisch immer bereit. (Foto: Igor Beresin)

Wenig Bier, weniger Gäste

Im Sous Sol, einer bei Ausländern und Russen gleichsam beliebten belgischen Bar, herrscht Biernotstand. Von über einhundert verschiedenen Sorten stehen nur noch knapp 15 auf der Karte. Von sechs deutschen Bieren gibt es nur noch eines. Besitzer Simon hat gleich am Anfang des Konflikts seinem Großhändler die Restbestände abgekauft. Andere Gastronomiebetreiber haben das Gleiche getan und schon am 25. Februar waren die Lager der meisten Großhändler leer. Damit kam er über die letzten Monate, aber jetzt gehen die Vorräte zu Neige. Simons Importeur kann noch deutsches Bier kaufen, aber die neue Lieferung steckt seit zwei Monaten im Zoll fest. Bei anderen Produkten verhält es sich ähnlich. Es gibt auch Lieferschwierigkeiten bei Ersatzteilen von Zapfanlagen oder Küchenmaschinen, weil die aus dem Ausland kommen. All diese Probleme sind beispielhaft für die gesamte Versorgung in Russland.

Simon hat noch andere Probleme. Ein Großteil seiner Gäste waren wohlhabende Expats. Darunter waren Geschäftsführer von großen internationalen Firmen, Banker, Investoren, Diplomaten, aber auch Korrespondenten von CNN oder der BBC. Viele haben mittlerweile das Land verlassen. Teilweise in Panik und Hysterie, gerade in den ersten zwei Wochen nach Beginn der militärischen „Spezialoperation“. Einige Gäste hätten ihren gesamten Hausstand zurückgelassen und wären nur mit ein paar Koffern geflüchtet, sagt Simon. Wovor sie weggelaufen sind, das kann er sich nicht so richtig erklären. Er zuckt mit den Schultern. Simon will in Moskau bleiben. Er kam in den wilden 90ern und hat schon die ein oder andere Krise erlebt. Es wird sicher nicht einfach, meint er, aber auch in Europa und den USA ziehen die Preise an und das Leben wird schwieriger.

Feiern bis zum Morgenlicht

Es ist Sonntagabend. Auf der Malaja Bronnaja, einer der Hauptstraßen der Patriarchenteiche, herrscht reger Verkehr. Vom Rolls-Royce-Geländewagen bis zum neuesten Lamborghini sieht man alles, was Moskaus Elite zur Schau stellen kann. Die Cafés und Restaurants sind bis zum Anschlag gefüllt. Auf der Straße ist kaum ein Durchkommen. Es herrscht Volksfeststimmung. Das Wochenende klingt aus, aber man ist immer noch in Partylaune. Von Krise keine Spur. Scharen von jungen Frauen flanieren in hohen Schuhen und engen Kleidern den Bürgersteig entlang. Das Leben floriert.

Auf der Malaja Bronnaja. (Foto: Igor Beresin)

Moskaus Nachtleben hat durchschnittlich 20-30 Prozent weniger Gäste, aber die beliebtesten Bars und Clubs sind Freitag und Samstagnacht immer noch proppenvoll. Im Kvartira, einem VIP-Club, kommt man kaum an die Bar, um sich ein Getränk zu bestellen. Man lacht und feiert ausgelassen bis in die Morgenstunden. Nur über die „Spezialoperation“ und eine etwaige Krise redet man nicht. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Man will sich nicht die Laune verderben. Das Publikum besteht aus Privatjet- und Yachtbesitzern sowie russischen Stars und Politikern.

Wenn auch Moskau zu eng wird

Maxim, einer von ihnen, sagt, dass er auch weiterhin auf Mykonos oder Ibiza Urlaub und Party machen wird. Seine Frau fliegt zum Einkaufen nach Mailand. „Wir haben Schengen-Visa und schon immer eine große Menge Bargeld zuhause“, meint er. Gleich am Anfang hätte er noch viel Euro und Dollar gekauft und buchstäblich unter die Matratze gelegt. Außerdem hat er einen Teil seines Vermögens in Kryptowährung umgewandelt, um nicht vom Rubel abhängig zu sein und reisen zu können. Den Privatjet muss er allerdings im Moment im Hangar stehen lassen und mit einer türkischen Airline fliegen, denn Flugzeuge mit russischer Registrierung dürfen nicht mehr in den europäischen Luftraum. „Wir Russen sind Krisen gewohnt und finden immer einen Weg, um die Sanktionen zu umgehen“, sagt er selbstbewusst. Maxim scheint es sportlich zu sehen. Viele seiner Freunde leben mittlerweile in Dubai, aber wenn es dort nun heiß wird, werden einige wieder zurückkommen, denn das Leben in Moskau sei doch „normal“, meint Maxim.

Als ob es keine Krise gibt. (Foto: Igor Beresin)

Eine Lösung ist gefragt

In der Noor Bar tobt das Leben. Auch hier kommt man kaum durch die Menschenmenge. Man trifft sogar Ausländer. Eine Gruppe Italiener sitzt an einem Tisch, mit einer Flasche Champagner. Die Anreise über Istanbul wäre langwierig und anstrengend gewesen, aber nun könne man das legendäre Moskauer Nachtleben genießen, meint einer von ihnen. Mit am Tisch sitzt Giovanni. Er lebt schon ein paar Jahre in Moskau und importiert Wein. Das Geschäft liefe nicht gut, sagt er. Dennoch bleibt auch er in Moskau und sucht nach neuen Geschäftsfeldern und Möglichkeiten, um Geld zu verdienen. Wein will er weiter importieren und nach Wegen für die Logistik suchen. Die Russen wären kreativ und würden schon eine Lösung finden, um weiterhin Produkte aus dem Ausland zu importieren. Sei es via Türkei, Kasachstan oder Armenien. Das Ganze würde allerdings teurer werden.

Alles wird gut

Zurück im Postmeister am Arbat. Am langen deutschen Stammtisch sitzen die Gäste eng aneinander. Die Leute diskutieren teils hitzig, darüber wie es nun weitergehen wird. Wer ist gegangen? Wer geht? Warum? Ist es in Deutschland besser oder schlimmer? Zeigen die Sanktionen Wirkung? Der Rubel steht im Moment so gut, wie schon seit Jahren nicht mehr. Die Supermarktregale sind voll, auch wenn die Produkte inzwischen teurer sind. Wann kommt der große Knall? Wird er überhaupt kommen? Viele in der Runde sind der Meinung, dass die „Spezialoperation“ bald abgeschlossen und danach alles zurück zur Normalität kommen wird. Andere erwarten Schlimmes und sind verunsichert. Sicher ist nur, dass keiner weiß, wie es weitergehen wird. Während das vielen Deutschen zu denken gibt, scheint es den russischen Gästen egal zu sein. Man hat in den letzten Jahrzehnten eben viel erlebt und durchgemacht, meint Leonid, einer von ihnen. Es gibt immer einen Weg und das Leben geht weiter, fügt er hinzu. Vsjo budet choroscho. Alles wird gut.

Chris Helmbrecht

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