Fürchtet euch nicht, kommt nach Moskau

Mischa Nossow ist im Nord­kaukasus geboren, aber schon als Kind mit seiner Mutter nach Moskau umgezogen. Heute arbeitet der 27-Jährige als Fashion Stylist bei einem Onlineversand für Mode und geht offen mit seiner Homosexualität um. Moritz Gathmann hat ihn diesen Sommer im Park Sarjadje getroffen und ihm zugehört, wie es sich als Schwuler in Russland lebt.

Im Park Sarjadje, wo sich Moskau wahrscheinlich am wenigsten beengt anfühlt, und vis-à-vis vom Kreml: Mischa Nossow. © Christian Frey

Ich habe einige Freunde in Deutschland und England, die hier schon zu Besuch waren. Natürlich kamen vorher Fragen: Ist es denn gefährlich als Schwuler in Moskau? Ich habe ihnen gesagt: Wenn du mit High Heels und abgefahrenen Klamotten kommst, dann gibt es Probleme. Aber wenn du dich casual style anziehst, dann nicht.

Ich selber bin auch nicht in langweiligen Klamotten unterwegs, aber eben nicht in High Heels und mit einem Plakat in der Hand. Wenn ich so herumlaufe wie jetzt, höre ich manchmal schon eindeutige Kommentare hinter meinem Rücken. Aber dann drehe ich mich um und sage: Na und? Man sollte sich nicht fürchten. Natürlich können wir nicht Händchen haltend durch die Straßen laufen oder draußen knutschen. Aber das muss man auch nicht auf der Straße machen, dafür gibt es intimere Orte – ich finde, dass das auch für Heteros gilt.

Clubleben wie anderswo auch

Wir haben hier seit Jahren unser halbes Dutzend Clubs, ein paar davon reine Schwulenclubs. Der bekannteste ist die „Zentralnaja Stanzija“. Meine ausländischen Freunde sind sehr zufrieden wieder nach Hause gefahren. Sie waren davon überrascht, dass es in den Clubs genauso freizügig zugeht wie in Europa, und wie viel die russischen Schwulen saufen. Am meisten hat sie gestört, dass die Russen so wenig lächeln.

Bei meiner Arbeit ist meine sexuelle Orientierung überhaupt kein Problem. Es ist kaum vorstellbar, dass sich jemand über mich lustig machen könnte deswegen. Aber ich verstehe schon, dass Moskau und etwa meine nordkaukasische Heimatstadt Pjatigorsk zwei verschiedene Welten sind. Ich war jetzt 15 Jahre nicht dort. Wenn ich da mal hinfahre, werde ich mich ganz sicher anders anziehen. Auch mein Freund kommt aus einer Kleinstadt. Nur seine engsten Verwandten wissen, dass er mit mir zusammenlebt. Ich stelle zwar Bilder von uns beiden auf Instagram, aber er bittet mich darum, ihn darauf nicht zu markieren. Meine Mama kennt meinen Freund, fragt immer, wie es ihm geht. Mein Stiefvater, naja, der versteht, was los ist, aber darüber wird nicht groß gesprochen.

Internet unter Beobachtung

Als ich mit 13 langsam verstand, dass ich schwul bin, konnte ich mit Hilfe des Internets alles Mögliche darüber lesen. Jetzt versucht man, das zu verbieten, aber mit Proxies und so weiter ist das alles leicht zu umgehen. Ja, ich finde auch, dass man die Jugend vor bestimmten Dingen schützen sollte, zum Beispiel vor zu viel Gewalt. Aber mal ehrlich: Mach mal den Fernseher an! Da zeigen sie dir Mord und Totschlag, Polizisten, die mit Banditen zusammenarbeiten, und Frauen, die dadurch erfolgreich werden, dass sie sich an irgendwelche Reichen ranschmeißen. Dieser Scheiß ist viel gefährlicher für Kinder als die verbotenen Seiten!

Mit Schwulenparaden kann man derzeit gar nichts erreichen, das ist doch klar. Die Leute sind noch nicht bereit dafür. Da kommen wieder die Kosaken und die Babuschkas mit ihren Ikonen und dann wird in Europa ein weiteres Mal  gezeigt, wie schrecklich und gefährlich es hier ist. Was bringt das?

Keine schwulen Vorbilder im Lande

Es mangelt auch an Persönlichkeiten, hinter denen wir uns vereinigen könnten. Diejenigen, die es gibt, sind ein Witz. Ein Problem ist auch das Wort „Parade“: In Russland wird das assoziiert mit den Militärparaden zum 9. Mai oder den Maiparaden von früher. Das kommt schlecht an, wenn wir dieses Wort benutzen.

Alles braucht seine Zeit. Wir haben eben bis vor drei Jahrzehnten hinter dem Eisernen Vorhang gelebt. Erst in den 90er Jahren gab es mehr Freiheit. Im Kreml ist man heute der Meinung, dass es zu wenig Geburten gibt und man deshalb die Schwulen verbieten muss. Aber dann gebt doch lieber den jungen Familien mehr Geld! Die Schwulen sind die Erbauer dieser Kultur – bis 1918 war Russland ein Zentrum der Mode, der Kunst. Das ist zerstört worden, als die Intelligenzija das Land verlassen hat. Na gut, nicht die ganze Intelligenzija war homosexuell. Aber der Anteil in dieser Gruppe ist schon höher.

Ich bin dafür, immer so zu sein, wie du wirklich bist. Aber darüber streite ich auch mit meinem Freund. Er sagt: Was für Klamotten du dir da wieder gekauft hast! Oder wenn ich ihn auf der Straße streichele, sagt er: Mach das nicht. Man muss verstehen: Wenn du dich besonders verhältst, dann wird es auch eine besondere Reaktion geben.

Im Fernsehen kommt das Thema Homosexuelle in den letzten Jahren nicht mehr so viel vor. Wozu ist denn unser Fernsehen da? Um die Leute von den wirklichen Problemen abzulenken. Deshalb geht es immer um die Ukraine, darum, wie schlecht es in Amerika und Europa und wie gut es bei uns ist. Ich glaube, die da oben verstehen, dass es inzwischen so viele Probleme gibt, dass man den Menschen nicht auch noch mit den Schwulen kommen sollte.

Ich habe zwei Freunde, die in die USA ausgewandert sind, unter anderem, weil sie freier leben wollten. Das ist in Ordnung. Aber wenn ich von Russen höre, die Asyl in Europa beantragen – das nervt mich. Wenn du ins Ausland willst, dann geh als vollwertiger Bürger. Diese Geschichten, dass jemand da und dort beleidigt wurde – da ist doch viel Blabla dabei.

Ich fühle mich hier nicht in meinen Rechten beschnitten. Mein Freund und ich können zusammen leben. Aber ein Problem ist, dass wir unsere Partnerschaft nicht registrieren können: Wenn du ins Krankenhaus zu deinem Freund willst, musst du dir irgendeine Geschichte ausdenken.

Plötzlich eine Knarre am Kopf

Richtig gefährlich war es nur einmal vor ein paar Jahren: Da kamen wir morgens um sechs aus dem Club Propaganda, standen draußen herum, und plötzlich kommt ein Typ, fängt an zu streiten und hält mir eine Knarre vors Gesicht. Ich weiß überhaupt nicht mehr, worum der Streit ging, ob es etwas damit zu tun hatte, dass ich schwul bin. Vielleicht war der auch einfach nur durchgeknallt oder besoffen. Meine Freunde haben Panik bekommen und sind schnell weggehuscht. Aber ich hab ihm gesagt: Was ist los, schieß doch! Dir gefällt mein Leben nicht, also töte mich! Hat er natürlich nicht gemacht. Schlappschwanz. Gibt einfach viele Idioten.

Einer meiner Freunde wurde vor ein paar Jahren leider umgebracht. Es gab da so eine Zeit, als es unter Schwulen in Mode war, im Internet Männer aus dem Kaukasus kennenzulernen und dann mit ihnen ins Bett zu gehen, weil sie als so wilde, männliche Typen galten. Aber das war sehr riskant: In vielen Fällen endete das mit Prügeln, Diebstahl, Erpressung oder sogar mit Mord. Mein Freund hat auch so einen zu sich nach Hause eingeladen. Später hat ihn seine Mutter mit 15   Messerstichen gefunden. Der Polizei hat der Kaukasier als Verteidigung gesagt: Aber das war doch ’ne Schwuchtel! Das ist schon übel, dass er dachte, damit irgendwie das Strafmaß mildern zu können. Aber jede dieser Bekanntschaften über das Internet ist eine Lotterie. Ich bin da sehr vorsichtig, spreche erst mal mit den Leuten am Telefon und sortiere sorgfältig aus.

Auf der Schwulen-App „Hornet“ sehe ich 18- oder 19-Jährige, die sehr offen, aber gleichzeitig sehr unerfahren sind. Die tun so, als wüssten sie schon alles. Alle möglichen Sexpraktiken, Bareback, Gruppensex, Drogenkonsum, sie machen alles. Aber bei diesen Partys wird selten verhütet. Und die verstehen überhaupt nicht, was das für Folgen haben kann.

P.S.: Im Spartacus Gay Travel Index für 2018 teilt sich Russland Platz 157 unter 197 Staaten mit Ländern wie Äthiopien, Haiti und dem Irak.

Eine Weltkarte der sexuellen Gleichberechtigung. Russland ist farblich irgendwo im Mittelfeld zwischen Grün und Rot. © ILGA.org 

 

 

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