Guten Tag, ich bin ein Arbeitsmigrant

In Russland kennt man Menschen wie Manutschechr Jakubow vor allem als Billigarbeitskräfte: auf Baustellen, Märkten oder bei der Stadtreinigung. Ansonsten sind Zentralasiaten wie er – überwiegend junge Männer aus Tadschikistan, Usbekistan und Kirgistan – im Alltag so gut wie unsichtbar. Aber wie lebt es sich als Arbeitsmigrant in Moskau? Ein Erfahrungsbericht.

Ich heiße Manutschechr Jakubow und bin 24 Jahre alt. Meine Heimatstadt Istarawschan liegt im Norden von Tadschikistan. Vor zwei Jahren bin ich nach Moskau gekommen, das ungefähr 200 Mal so groß ist. Ich weiß noch, dass ich am Anfang den Eindruck hatte, den ganzen Tag nur in der Metro zu sitzen, so riesig sind hier die Entfernungen.

Arbeitsmigrant

Zwei Wahrzeichen von Moskau: der Kreml und Migrant Manutschechr Jakubow / Foto: Privat.

Momentan arbeite ich in Moskau bei Plov.com, einem Lieferservice für Plow und andere Speisen aus Zentralasien. Aber genau genommen bin ich kein typischer Arbeitsmigrant. Meine Eltern haben mich zum Studieren nach Moskau geschickt, nicht zum Geldverdienen. Ich hatte bereits einen Masterabschluss der Filiale der Moskauer Staatlichen Universität in Duschanbe in der Tasche, auch mein Russisch war sehr gut.

Bei meinen Landsleuten läuft das normalerweise anders. Sie machen nach der Schule keine Ausbildung, sondern gehen direkt nach Russland, um sich als Ungelernte zu verdingen. Damit macht man im Schnitt 30.000 Rubel im Monat (Anm. d. Red.: knapp 500 Euro), etwa drei Mal so viel wie in Tadschikistan. Die Leute arbeiten wirklich hart: 50, 60 Stunden die Woche. Sie teilen sich eine Wohnung, gehen nicht aus, leisten sich nur das Allernotwendigste. Denn von ihrem Lohn lassen sie in der Regel 60 Prozent ihren Familien zu Hause zukommen. Und dann wird auch noch gespart: für ein eigenes Haus in Tadschikistan, für Medizin, für die Hochzeit. Reich wird man hier jedenfalls nicht.

Man darf auch nicht vergessen, dass pro Monat ein „Patent“ bezahlt werden muss, also eine Arbeitserlaubnis. In Moskau kostet das 4200  Rubel. Und eigentlich würden auch noch 13 Prozent Einkommenssteuer fällig. Aber unter uns: Die wird oft durch Schwarzarbeit umgangen. Das ist bei den Einheimischen allerdings auch nicht anders.

Geldsegen für Tadschikistan

Tadschikistan gilt als eines der ärmsten Länder der GUS. 2015 betrug das Durchschnittsgehalt nach Angaben der Weltbank ca.  165  Euro. Rund 40 Prozent aller Männer bis 30 Jahre arbeiteten demnach im Ausland. In Russland waren Anfang 2016 laut Migrationsdienst 863.000  Tadschiken gemeldet, also mehr als zehn Prozent der Bevölkerung Tadschikistans. Ihre Geldüberweisungen in die Heimat beliefen sich 2015 der russischen Zentralbank zufolge auf umgerechnet 614 Millionen  Euro. Das waren 36 Prozent des tadschikischen Bruttoinlandsprodukts.

Da es meinen Eltern finanziell gut geht, sind sie nicht auf meine Unterstützung angewiesen. Zudem bin ich glücklicherweise günstig bei meinem Onkel untergekommen, der seit Langem in Moskau lebt. Im Vergleich zu anderen verdiene ich mit meinen 50.000 Rubel auch relativ viel. Irgendwann würde ich hier gern mein eigenes Gewerbe eröffnen. In Moskau ist das schon mit wenig Geld möglich. Ich sehe also eine Perspektive für mich. Was mich wundert, ist etwas anderes: Kommt man aus dem Westen nach Moskau, ist man ein Expat. Kommt man aber aus Tadschikistan, ist man ein Migrant. „Gastarbeiter“, wie es oft heißt, klingt auch nicht besser.

Aber wer es hier aushalten will, der sollte generell nicht empfindlich sein. In Moskau wird dir nichts geschenkt. Die Leute geben dir Ratschläge, aber helfen selten einfach so, wie das in meiner Heimat üblich ist. Es gibt solche, die nichts gegen uns haben, es gibt aber auch Vorurteile, Schimpfwörter, viele denken schlecht über uns, dass wir dumm und gewalttätig sind. In jeder zweiten Wohnungsanzeige steht „Nur für Slawen“ oder „Nur für russische Staatsbürger“.

Kommt man aus dem Westen nach Moskau, ist man ein Expat. Kommt man aber aus Tadschikistan, ist man ein Migrant.

Ich selbst bin noch nie beleidigt worden oder dergleichen, was nicht heißt, dass man nicht benachteiligt wird, aber eben in anderer Form. Ich komme zum Beispiel selten an den Türstehern von Nachtklubs vorbei, auch nicht in Gruppen mit russischen oder europäischen Freunden. Nach meiner Herkunft gefragt, habe ich mich deshalb sogar schon als Südkoreaner ausgegeben. Ein bisschen Ähnlichkeit besteht ja doch, oder? Selbst das hat seine Wirkung allerdings verfehlt. Danach musste ich selbst lachen. Aber vielleicht hat man mich auch einfach nur abgewiesen, weil ich eher schlicht gekleidet bin. Die Moskauer Türsteher sind ja nicht nur mir ein Rätsel.

Als Ausländer mit dunklerer Hautfarbe wird man auch häufiger angehalten und muss sich ausweisen: Pass, Migrationskarte, Registrierung, Arbeitserlaubnis. Die Polizisten schauen sich alles genau an und lassen dich gehen. Es ist immer dasselbe. Doch einmal kam es anders. Sie nahmen mich mit aufs Revier. Dort musste ich verschiedene Fragen beantworten, was ich in Moskau mache und wo ich arbeite. Dabei war mit meinen Papieren alles in Ordnung. Am Ende stellte sich heraus, dass man mir nur Geld aus der Tasche ziehen wollte. Ich sagte, dass ich ein armer Student sei. Als die Polizisten begriffen, dass bei mir nichts zu holen war, hatte sich die Sache schnell erledigt.

Was mir noch aufgefallen ist: Weil Russen in der Metro meistens schweigend nebeneinandersitzen, Ausländer – nicht nur unsereiner, auch Europäer oder Chinesen – sich aber oft lebhaft unterhalten, scheint es so, als redeten wir sehr laut. Es sind einfach verschiedene Gepflogenheiten, die da manchmal aufeinanderprallen. Aber ich fühle mich insgesamt in Moskau sehr wohl. Wenn nicht als Expat, so doch als Arbeitsmigrant.

Aufgeschrieben von Christopher Braemer.

 

Das gehört sich (nicht) in Moskau

Die Stadt Moskau hat unlängst ein Handbuch für Migranten herausgegeben (Link zum PDF). Es ist ungefähr 100 Seiten dick und enthält in erster Linie alle möglichen Hinweise und Ratschläge, Adressen und Telefonnummern, die für Arbeitssuchende aus dem sogenannten „nahen Ausland“ nützlich sein könnten. Weiter gibt das Heft eine Einführung in die Geschichte von Moskau und seine Sehenswürdigkeiten, sogar ein Kreuzworträtsel ist vertreten.

Im Handbuch wird vor Gaunern gewarnt, die Schwarzarbeit anbieten.

Für Irritationen in der Öffentlichkeit sorgte der Ton, in dem die Texte abgefasst sind und der eher den Eindruck macht, sie richteten sich an Kinder. Auch der comichafte Stil unter Einsatz von russischen Märchenfiguren geht in diese Richtung. Am lebhaftesten  diskutiert wurden jedoch drei Seiten Benimmregeln, die selbst bei Einheimischen für das eine oder andere Aha-Erlebnis sorgten. Auszüge:

– Man isst nicht draußen. Wenn Sie hungrig sind, gehen Sie in ein Restaurant oder einen Imbiss. Betreten Sie den Bus, den Trolleybus, die Straßenbahn oder die Metro auf keinen Fall mit einem Eis in der Hand.

– Kommen Sie nie zu spät, wenn Sie ein Treffen vereinbart haben. Machen Sie sich das zur Regel. Respektieren Sie anderer Leute Zeit!

– Drehen Sie sich nicht um und schauen weiblichen Passanten hinterher.

– Wenn Sie auf der Straße etwas gefragt werden, antworten Sie höflich, kurz und klar. Verstricken Sie sich nicht in langwierige Erklärungen.

 

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