Russland streitet über „Drückeberger-Steuer“

Es klingt wie die Schnapsidee eines Schatzmeisters, der nicht mehr weiß, wie er die immer größeren Haushaltslöcher stopfen soll: In Russland wird die Einführung einer Abgabe diskutiert, die Berufstätige ohne Beschäftigungsverhältnis trifft. Jetzt ist die Aufregung groß. Doch die Idee ist gar nicht so abwegig.

Der Schriftsteller und Literaturkritiker Sergej Schargunow hat in seinem Blog auf der Webseite des Radiosenders Echo Moskwy kürzlich berichtet, wie es um Russland  bestellt ist. Die soziale Lage sei „düster“ und werde „immer finsterer“, schreibt der 36-Jährige, der für die Kommunisten in der Staatsduma sitzt. Viele seiner Wähler im Altai hätten seit Jahren keine Arbeit, meldeten sich aber auch nicht arbeitslos, denn das lohne ja den Aufwand nicht. Und nun sollen die klammen Kassen ausgerechnet auf ihre Kosten aufgebessert werden? „Grotesk“ sei das.

Der Text ist mit „Bezüglich einer Initiative“ überschrieben. Konkreter musste Schargunow nicht werden. Im Russland dieses Herbstes ist es nahezu unmöglich, dass jemand nicht versteht, worauf hier angespielt wird. Russlands Regierung denkt laut darüber nach, Millionen Menschen zur Kasse zu bitten, die bisher weder Steuern noch Abgaben gezahlt haben. Wer im berufstätigen Alter ist, aber keiner sozial­versicherungspflichtigen Arbeit nachgeht und auch nicht beim Arbeitsamt gemeldet ist, der soll einen bestimmten Betrag pro Jahr abführen müssen. Seitdem steht der Vorwurf im Raum, dass bei der Suche nach neuen Einnahme­quellen an der dünnsten Stelle gebohrt wird.

Steuer

Ein Sowjetplakat agitiert gegen Drückebergerei: „Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen.“

Die Idee ist nicht neu und hat schon das eine oder andere Mal ein lebhaftes Echo hervorgerufen. Wann immer sie durch die Me­dien geistert, dann bevorzugt als „Drückeberger-Steuer“, denn viele fühlen sich dabei an die Sowjet­zeiten erinnert. Nicht zu arbeiten beziehungsweise seinen Lebensunterhalt aus Einkünften zu bestreiten, die nicht aus regulärer Arbeit stammten, war damals eine Straftat. 1961 beschloss das Präsidium des Obersten Sowjets der Russischen Sozialistischen Sowjet­republik einen Erlass mit dem malerischen Titel „Über die Verstärkung des Kampfes gegen Personen (Herum­treiber, Schmarotzer, Parasiten), die sich vor gesellschaftlich nützlicher Arbeit drücken und einen asozialen Lebenswandel an den Tag legen“. Wer mehr als vier Monate im Jahr nicht arbeitete, konnte sogar hinter Gittern landen. Erst 1991 wurde die Verordnung abgeschafft.

Das heutige Russland garantiert  seinen Bürgern per Verfassung ein Recht auf Arbeit, verpflichtet sie aber nicht dazu, zumal Vollbeschäftigung ohnehin der Vergangenheit angehört. Die Befürworter der jetzt diskutierten Abgabe wollen Menschen ohne offizielle Arbeit nicht verurteilen und auch nicht bestrafen. Im Kern geht es um etwas anderes: Die gesetzliche Krankenversicherung ist in Russland kostenlos. Den Beitrag zahlt bei Berufstätigen der Arbeitgeber, bei Arbeitslosen die jeweilige Re­gion. 2015 schrieb der Krankenversicherungsfonds rote Zahlen in Höhe von 65,3 Milliarden Rubel, umgerechnet etwa 900  Millionen Euro. Zu den Gesamteinnahmen steuerten die Regionen etwa 40 Prozent bei.

Offiziell waren dabei im September landesweit nur 900.000  Menschen arbeitslos, also vom Arbeitsamt erfasst. Doch die Dunkelziffer ist erheblich höher, und nicht nur deshalb, weil das Arbeitsamt von den wenigsten in Anspruch genommen wird, da es nicht viel zu bieten hat, nämlich maximal 4500 Rubel (etwa 65 Euro) Stütze pro Monat, nach Ablauf eines Jahres nur noch 850 Rubel (12 Euro).

Die Krankenversicherungszahlungen aus den Haushalten der Regionen lassen vermuten, dass Millionen „Arbeitslose“ durchaus arbeiten, ihren Lohn jedoch unter der Hand erhalten oder aber von Einkünften wie etwa der privaten Wohnungsvermietung leben. Somit leisten sie keine Beiträge in die öffentlichen Kassen, nehmen aber Sozialleistungen in Anspruch, da ihnen eine kostenlose medizinische Versorgung zusteht und bei Erreichen des Rentenalters eine Grundrente. Nun mehren sich auf politischer Ebene die Stimmen, dass das ungerecht ist. Ende September gab die stellvertretende Ministerpräsidentin Olga Golodez bekannt, ein Gesetzesentwurf sei in Arbeit. Golodez hatte die Zahl derjenigen, die in Russland „wer weiß was tun“, einmal auf 38 Millionen beziffert. Der staatliche Statistikdienst Rosstat taxiert diese Grauzone auf 15 Millionen.

Arbeitsminister Maxim Topilin hat sich bereits Gedanken gemacht, wie hoch die neue Abgabe ausfallen könnte, und die Zahl von 20.000  Rubel (285 Euro) pro Jahr in die Runde geworfen. Er erklärt das so: Beim gesetzlichen Mindestlohn fallen 11.700 Rubel Einkommenssteuer an, plus 8000 bis 9000 Rubel, die aus dem Regionalhaushalt in die Krankenkasse fließen.

Im Volke sind die Meinungen geteilt. Bei einer Umfrage des staatlichen Instituts WZIOM sprachen sich 45 Prozent der Befragten für das Vorhaben aus. Doch ob damit die Richtigen getroffen und die Falschen nicht getroffen werden können, daran sind die Zweifel groß. Bei der Tageszeitung „Moskowskij Komsomolez“ hieß es zuletzt, Präsident Wladimir Putin werde wohl kaum nachkommen, die vielen sozialen Brandherde zu löschen.

Tino Künzel

Newsletter

    Wir bitten um Ihre E-Mail: