30 Jahre DRKI: Wie ein Dresdner Verein das Verbindende feiert

Die Türen der Villa, in der das Deutsch-Russische Kulturinstitut (DRKI) zu Hause ist, stünden allen offen, seien es nun Deutsche, Russen oder Ukrainer, heißt es bei dem Verein. Der ist gerade 30 Jahre alt geworden. Ein Ortstermin.

Beim Jubiläum wurde in Erinnerungen an die 30 Jahre Vereinsgeschichte geschwelgt. (Foto: Vitaliy Kolesnyk)

„Sehen Sie das Zwiebeltürmchen auf dem Dach? Der Architekt muss gewusst haben, dass das Haus mal etwas mit Russland zu tun haben wird“, scherzt Wolfgang Schälike mit Blick auf die Gründerzeitvilla im Preußischen Viertel von Dresden. Der knapp 86-jährige Vereins­chef ist bester Laune. Heute wird gefeiert, auch wenn die Zeiten hart sind. 30 Jahre gibt es das Deutsch-Russische Kulturinstitut in Dresden jetzt, Dr. Schälike hat es 1993 mitgegründet. An einem Samstag Anfang Juni haben sich daher mehrere Dutzend Gäste im Garten der stattlichen Villa bei Eierschecke, Erdbeertorte und Baltika-Bier versammelt und lauschen den Ausführungen zur Vereinsgeschichte.

Vereinssitz in russischem Eigentum

Etwa 130 Jahre steht die Villa mit ihren Gauben und Erkern schon, vor genau 30 Jahren zog hier der russischsprachige Leseclub von Schälikes Frau Walerija ein. „Sie hatte als gebürtige Moskauerin einen guten Draht zu den Sowjets“, erinnert sich Schälike, dem es nach dem Ende der DDR und dem Zerfall der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) wichtig war, ein Stück kulturelles Erbe zu erhalten. Dafür brauchte es einen Ort – warum also nicht das heruntergewirtschaftete Domizil der Sowjetarmee nutzen? Das Haus selbst ist seit 1948 – und bis heute  – russisches Eigentum. Vor dem Verfall bewahrt haben es Dresdner Enthusiasten in vielen Stunden ehrenamtlicher Arbeit.

„30 Jahre“, sagt Schälike, „das sind drei Jahrzehnte Kulturdialog und lebendiger deutsch-russischer Austausch.“ Die ersten zehn Jahre standen ganz im Zeichen der Rettung des Hauses. Das zweite Jahrzehnt war die Blütezeit des Vereins mit namhaften Besuchern, hochkarätigen Veranstaltungen und Verstetigung der Präsenz in Dresden im – dann auch mit russischem Geld – umfangreich sanierten Haus. Hier befindet sich bis heute eine von drei russischen Bibliotheken in Deutschland – mit mehr als 25.000 Werken und Medien eine Besonderheit, die öffentlich nutzbar ist.

Heute kommen neben den weniger werdenden Slawistikstudenten und Russischlehrern immer mehr ukrainische Geflüchtete, auf der Suche nach Büchern und Zeitschriften aus der Heimat, Kindergeschichten und Weltliteratur, Fantasy, Historie oder Krimis. Die Bibliothek ist eine Nische, die das Institut am Laufen hält. Jetzt, wo in Deutschland alles Russische verpönt ist, sogar als gefährlich gilt.

„Historische Chance verpasst“

„Wir wollen nicht auffallen, aber wir sind da, helfen und unterstützen, wo es nötig ist“, sagt Vitaliy Kolesnyk. Der Ukrainer kam 2002 als jüdischer Kontingentflüchtling von Charkiw nach Dresden. Als stellvertretender Vereinschef hält er die Fäden beim Deutsch-Russischen Kulturinstitut zusammen, organisiert und fotografiert, vernetzt und versöhnt. Nationalität spielt hier an der Zittauer Straße eigentlich keine Rolle, hier docken viele an, seit Jahrzehnten. Früher waren alle Sowjetbürger, heute ist es kompliziert.

In den vergangenen zehn Jahren, so Schälike in seiner Ansprache, gehe es stetig bergab mit den Beziehungen. „Aber so dramatisch schlecht wie jetzt ist es noch nie gewesen“, sagt der langjährige Vereinsvorsitzende. Und er muss es wissen. Mitten im Kalten Krieg, in den frühen 1980er Jahren, war er als Verbindungsoffizier der NVA im Kommando der Warschauer-Vertrags-Staaten in Moskau. Das war die Zeit des Wettrüstens und des Kampfes der Systeme. Das politische Tauwetter mit Glasnost und Perestroika hätte man nutzen sollen, um die Militär­blöcke auf beiden Seiten aufzulösen, meint Schälike. „Diese historische Chance hat man damals verpasst, das Ergebnis sehen wir jetzt. Wir verurteilen hier alle den Krieg, aber es kommt nicht von ungefähr“, sagt Schälike.

Geburtsort: Moskau

Er ist faktisch ein Kind der Sowjetunion. 1937 als Sohn deutscher Kommunisten in Moskau geboren, wuchs er in der internationalen Community des berühmten „Dom Lux“ an der Moskauer Gorki-Straße auf. Als die Wehrmacht auf Moskau marschierte, wurde er ins Kindererholungslager aufs Land geschickt. „Da war ich vier und stand plötzlich ohne meine Eltern da. Aber meine große Schwester kümmerte sich rührend um meinen jüngeren Bruder und mich“, so Schälike. Für die Komintern-Steppkes war die Kinderlandver­schickung ein Abenteuer. Hatten sie zu Hause bisher immer Deutsch gesprochen, lief nun alles auf Russisch. 1944 wurde Schälike in Moskau eingeschult, 1946 zog die Familie zurück nach Deutschland.

Schälike ist immer ein Mittler zwischen den Welten gewesen. Er spricht perfekt Russisch, wurde „in den Trümmern von Berlin“ groß, machte in der DDR Abitur und studierte in Moskau Flugzeugbau. Er kennt die Listen mit den Namen seiner Eltern und der zehnjährigen Schwester, die im Jahr seiner Geburt aus Deutschland ausgebürgert wurden und einige Jahre später auf der Sonderfahndungsliste der Gestapo wieder auftauchten, damit explizit zu Feinden erklärt wurden. Als junger Ingenieur wollte er bei den Flugzeugwerken in Dresden anfangen, dort wurde aber gerade umstrukturiert. Der Traumjob – gestrichen. So sei er bei der NVA gelandet, sagt der promovierte Luftfahrtexperte fast lakonisch. Eine Karriere, die nach der Wende nicht gerade imagefördernd war. Dennoch reichten Schälikes Verbindungen bis in die höchste sächsische Landespolitik, seit 1999 wird das DRKI in Dresden von der Stadt finanziell unterstützt. Aber das Erbe von DSF und Sowjet­union wird es nie ganz los.

Nicht alle zum Feiern aufgelegt

Dabei gibt es hier an der Zittauer Straße Hochkultur – Tschingis Aitmatow und Christa Wolf, Dostojewski, Puschkin, Rachmaninow und Jewgeni Jewtuschenko. „Als wir Bulat Okudschawa hier zum Konzert in Dresden hatten, kamen die Leute sogar von der Botschaft in Berlin angefahren. Da haben die Russen erkannt, dass wir doch eine russische Seele haben“, sagt Schälike nicht ohne Stolz. Auch wenn das Verhältnis nicht immer einfach war.

Zum Jubiläum, freut sich der Vereinschef, sind alle wichtigen Honoratioren vertreten – vom Konsulat in Leipzig, russische Kulturdiplomatinnen aus Berlin, der Botschafter hat ein Glückwunschschreiben in edler roter Mappe mit Wappen übermittelt und die russische Kulturministerin schickte aus Moskau eine gerahmte Dankesurkunde. Beim Festakt will lieber keiner öffentlich sprechen. Zu groß die Verstimmung, finster die Mienen. Diesen Gästen ist nicht nach Feiern zumute, das sieht man.

Integration und Miteinander

Der Stimmung tut das keinen Abbruch. Hier wird vor allem zurückgeschaut, was alles geworden ist. Hier sitzen Russen und Ukrainer gemeinsam mit Kasachstandeutschen und jüdischen Kontingentflüchtlingen. „Wir haben im Verein Menschen aus allen Teilen der ehemaligen Sowjetunion mit allen möglichen politischen Ansichten, auch wenn das nicht im Vordergrund steht“, sagt Schälike. Es geht um Kultur. Konzerte und Buchvorstellungen, Erinnerungs- und Gedenkkultur, Kinderchor und Sprachkurse, so wie seit 30 Jahren.

Verstärkt kümmern sie sich jetzt um Geflüchtete, Kinder und Frauen aus der Ukraine, aber auch politisch Verfolgte aus Russland. „Uns ist wichtig, dass wir unsere Inte­grationskompetenz der letzten 30 Jahre nutzen“, betont Schälike in seiner Rede. Bestes Beispiel ist die Opernsängerin Anna Sax-Palimina. Die gebürtige Moldawierin kam 2001 zum Studium nach Dresden und war seither am DRKI ehrenamtlich tätig. Als vergangenes Jahr der erste große Flüchtlingsstrom aus der Ukraine kam, unterstützte sie ihre Mutter bei Sprachkursen – sie sang und reimte mit den Kindern, während deren Mütter Grammatik paukten und Vokabeln. Ganz nebenbei entdeckte sie dabei junge ukrainische Gesangstalente, die jetzt im Kinderchor der berühmten Dresdner Semperoper mitsingen. So gelingt Integration und das DRKI ist froh über das Miteinander, das es ermöglicht. Wenn auch eher unter dem Radar.

Anastassia Müller

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