Lauter kleine Nationalmannschaften

So erging es den Russlanddeutschen bei der Minderheiten-EM in Südtirol

Von Julia Larina

Spielerkreis der russlanddeutschen Mannschaft. / Julia Larina

Spielerkreis der russlanddeutschen Mannschaft. / Julia Larina

Für einige Teilnehmer der europäischen Volksgruppen-Fußballmeisterschaft „Europeade“ ist das Wort „Minderheit“ noch nicht klein genug: Sie sind „kleine Minderheiten“. Wie zum Beispiel die Zimbern aus Italien. Sie sind sozusagen deutscher Abstammung, weil ihre Vorfahren im Mittelalter aus Bayern kamen. Und über die Okzitanier, eine französische Volksgruppe, heißt es in der russischsprachigen Wikipedia sogar, dass sie nicht mehr existieren. Bei der Europeade schafften sie es immerhin ins Finale.
Um die Aufmerksamkeit auf den sprachlichen und kulturellen Reichtum Europas zu lenken, organisiert die Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) alle vier Jahre parallel zur Fußball-EM die Europeade, ein Fußballturnier für Auswahlmannschaften von europäischen Minderheiten. Dieses Jahr fand das Turnier Ende Juni in Südtirol in Italien statt.
Ilja Stein aus Tomsk war dieses Jahr mit sechs Treffern der erfolgreichste Torschütze der Russlanddeutschen. Seine Familiengeschichte ist typisch: Die Eltern kommen aus Kasachstan, wohin einst die Großeltern aus dem Wolgagebiet deportiert worden waren. Nach dem Zerfall der UdSSR wanderten viele Verwandte Iljas nach Deutschland aus, einschließlich der Urgroßmutter.
Weniger typisch ist allerdings, dass die Urgroßmutter das Alter von 102 Jahren erreichte. Für Russlanddeutsche ihrer Generation bot das 20. Jahrhundert in seiner Mitte so manchen Schrecken: Repression, Deportation und Arbeitslager. Nach der Auflösung ihrer Republik wurde die Bewahrung von Sprache und Kultur für die Russlanddeutschen zur Herausforderung. Dass sie seither über das ganze Land zerstreut sind, wirkt sich wohl auch auf ihren Erfolg im Fußballspielen aus: Unter den 23 Mannschaften des Turniers nahmen sie nur den fünften Platz ein, wobei sie sich zuvor selbst zum engeren Kreis der Favoriten zählten. Im Viertelfinale war gegen die Auswahl der Kärntner Slowenen Schluss. Das ist zwar die größte autochthone Minderheit Österreichs, allerdings ist sie mit ihren 13 000 Mitgliedern doch recht übersichtlich im Vergleich zu den über 400 000 Deutschen in Russland. „Die Kärntner Slowenen leben recht kompakt“, sucht der Cheftrainer der Russlanddeutschen Andrej Rotermehl nach einer Erklärung. „Diese Jungs spielen daher wahrscheinlich sehr oft zusammen.“ Wie übrigens auch die 330 000 Isländer, deren Mannschaft bei der echten EM so begeisterte.
Nach ihren eigenen Spielen auf der Europeade verfolgten die Teilnehmer im Fernsehen die große Fußball-EM in Frankreich. In fast allen Teams gab es dort Spieler mit unterschiedlichen Migrationshintergründen. Auf der Europeade war das nur bei der Mannschaft aus Estland der Fall. Doch die Aufgabe dieses Turniers ist auch eine andere. Ihre Organisatoren haben begriffen: Eine nationale Minderheit wird mit der Zeit schrumpfen, wenn sie von der Mehrheit bedrängt wird und ihre Kultur und Sprache nicht bewahren kann. Wenn es ganz schlimm kommt, bis auf weniger als die elf Spieler einer Fußballmannschaft.

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