Die Grenzen in den Köpfen

Der russische Kosmonaut Sergej Rjasanskij fliegt am 28. Juli mit dem Raumschiff Sojus MS-05 ins All. Was ihn dort erwartet, weiß er ziemlich gut – er war 2013 schon einmal oben. Von den schönsten und den schwierigsten Seiten eines Raumflugs hat der 42-jährige Moskauer der MDZ während der Vorbereitungsphase auf dem Weltraumbahnhof in Baikonur erzählt.

Sergej Rjasanskij bei seinem ersten Raumflug vor vier Jahren. / NASA

Es gibt zwei Dinge, auf die ich mich besonders freue, wenn ich an meine bevorstehende Weltraummission denke. Da ist zum einen die Schwerelosigkeit. Ein Menschheitstraum! Das wird nie zur Routine, egal, wie viele Tage, Wochen oder Monate man im All verbracht hat. Wissen Sie, wir stehen ja mit unseren Familien praktisch in ständigem Kontakt, können E-Mails schreiben, einander anrufen. Und dann wird einmal pro Woche eine Videoverbindung hergestellt, also eine Art kosmisches Skype. Da sitzen meine beiden Zwillingstöchter also kichernd vorm Bildschirm und ich bewege mich in der Schwerelosigkeit zu ihren Kommandos: Papa, jetzt dreh doch mal eine Pirouette in dieser Richtung! Und jetzt in der anderen Richtung! Damit haben wir unglaublich viel Spaß.

Das Zweite, was einen Raumflug zu einem unvergleichlichen Erlebnis macht, ist der Blick auf die Erde. Von meiner ersten Expedition habe ich 65.000 Fotos mit Ansichten unseres Planeten nach Hause gebracht und dann in Sozial­netzwerken veröffentlicht oder auch auf Ausstellungen gezeigt. Diese Schönheit ist einfach überwältigend und lässt sich kaum in Worte fassen. Aber nicht nur das: Du schaust von oben auf die Erde und siehst keine Grenzen! In dem Moment begreifst du, dass wir uns alle Grenzen, die auf Landkarten  verzeichnet sind, selbst ausgedacht haben, dass sie unseren Köpfen entsprungen sind.

Beim Start von Sojus MS-04 am 20. April in Baikonur war Rjasanskij noch Zuschauer und gab Interviews. / Tino Künzel

Aber in den Weltraum zu fliegen, ist natürlich nicht nur Zuckerschlecken. Es ist eine große Belastungsprobe für Körper und Geist. Am meisten schlauchen die vielen Abstriche an dem Leben, wie wir es auf der Erde haben. Wir sind ja letztlich ganz normale Menschen, es fehlt uns, wenn wir uns nicht mit Freunden treffen, nicht mit ihnen Fußball schauen können. Wenn wir nicht unsere Frauen in den Arm nehmen und nicht mit unseren Kindern spielen können. Man macht sich Sorgen, wenn man den Eindruck hat, dass die Stimme der Ehefrau heute anders klingt als gestern. Vielleicht gibt es Probleme, über die sie aber nicht sprechen will, um dich nicht zu beunruhigen. Man fängt an, zwischen den Zeilen zu lesen, und leidet darunter, dass man seiner Familie nicht den Rücken freihalten kann, wie man das gewohnt ist.

Was man zur Sprache bringt und was nicht, wird am besten vorher vereinbart. 2007 habe ich als Bordkommandant an der Simulation eines Marsflugs in Moskau teilgenommen, das Projekt hieß Mars-500. Da kam eines Tages unser Arzt zu mir und sagte: Ich glaube, in meiner Familie ist etwas passiert. Er stand völlig neben sich. Seine Frau hatte ihm geschrieben, mit seinem Vater hatte er am Telefon gesprochen und war danach überzeugt, dass man ihm etwas verheimlichte. So war es auch. Es stellte sich heraus, dass seine geliebte Oma gestorben war. Das war schlimm für ihn, aber noch schlimmer war die Ungewissheit gewesen. Deshalb sollte man mit solchen Nachrichten nicht hinter dem Berg halten. Damit fertigzuwerden, ist nie leicht. Aber irgendwie muss es gehen.

Unsere Arbeit an Bord der Raumstation ISS besteht vor allem aus Experimenten. Chemischen, biologischen, medizinischen. Wir züchten zum Beispiel Plasmakristalle, beschäftigen uns mit Biokulturen. Mit Hilfe eines neuen Laboratoriums erforschen wir die Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf den Menschen. Darüber wissen wir zwar schon viel, aber die Prophylaxe, die Rehabilitation werden trotzdem weiter vervollkommnet. Daran arbeiten wir gemeinsam mit den Ärzten. Dabei wird auch Wissen gewonnen, das dann der Wissenschaft bei der Behandlung von Krankheiten auf der Erde zugutekommt. Mir wird also dort oben ganz bestimmt nicht langweilig werden.

Aufgeschrieben von Tino Künzel.

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