Nach den 2268 Gräbern auf dem Sowjetischen Garnisonfriedhof am Rande von Dresden zu urteilen, hat es in der Sowjetarmee keine Vor- und Vatersnamen gegeben. Ein Alexander Iwanowitsch, für seine Familie nur Sanja, Sascha, Saschenka, wurde hier zu A.I. verkürzt. Das könnte auch für Alexej Igorewitsch oder Anton Iljitsch stehen. Es hat etwas Unpersönliches und Bürokratisches an sich.
Vor und nach 1952
Aber vielleicht sollte man mit den Sentimentalitäten auf einem Soldatenfriedhof nicht ausgerechnet bei den Namen anfangen. Das Schicksal von A-Punkt-I-Punkt und all den anderen ist traurig genug. Die einen haben den Zweiten Weltkrieg überlebt, aber sind in den Jahren danach an dessen Folgen gestorben. Die anderen gehörten bereits zu DDR-Zeiten der in Dresden stationierten sowjetischen 1. Panzergardearmee an und kamen bei Unfällen, durch Krankheiten und dergleichen mehr ums Leben. Begraben sind sie Tausende Kilometer von der Heimat entfernt – ein Alptraum für die Angehörigen.
Der Friedhof wurde auf Geheiß der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) ab 1946 angelegt. Quer durch das 1,7 Hektar große Gelände verläuft eine unsichtbare beziehungsweise bei genauer Betrachtung sehr sichtbare Grenze. Etwa zwei Drittel der Gräber bilden die sogenannte Hauptanlage. Wurden sie vor dem 31. März 1952 angelegt, zählen sie als Kriegsgräber. Ihre Pflege obliegt den deutschen Behörden.
Evolution der Steine
Doch der Friedhof erfuhr mit den Jahren mehrere Erweiterungen. Wehrpflichtige, die von ihrem Dienst in der DDR nicht mehr nach Hause kamen, Frauen und Kinder von Offizieren – 678 Gräber werden dem Nordflügel zugerechnet. Auch dort nahmen die Begräbnisse Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre stark ab, Tote wurden nun meist in die Sowjetunion überführt. Das letzte Grab datiert von 1987.
Bis zur Auflösung der sowjetischen Garnison im Sommer 1992 hat es für den Zustand keine Rolle gespielt, wer in welchem Flügel begraben war. Der Nordflügel gewann sogar sichtlich durch eine Rekonstruktion in den 1970er Jahren. Der Cottaer Sandstein der Gräber wurde dort nämlich durch Löbejüner Quarzporphyr aus einem Steinbruch bei Halle ersetzt. Das Vulkangestein ist nicht nur extrem langlebig und zäh, sondern mit seiner rötlichen Farbe auch optisch ansprechend.
Pläne und Proteste
Doch nach der Wende kam es schon bald zu einer Unterteilung, die zu Lasten des „Zivilteils“ ging. Während Kriegsgräber verpflichtend gepflegt werden müssen, fiel der Rest quasi in die Verantwortung der Angehörigen. Und es wurden auch Stimmen laut, die für den Nordflügel die deutsche Liegezeit von 25 Jahren ins Spiel brachten. Als das Land Sachsen 1996 die Trägerschaft von der Stadt Dresden übernahm, rückten Kostenaspekte immer mehr in den Vordergrund. Sie gipfelten 2009 in dem Vorhaben, die Grabanlagen im nördlichen Teil zu Gunsten einer parkähnlichen Grünfläche einzuebnen und sie mit Namensstelen an den Rändern zu versehen.
Doch der Vorteil einer Zivilgesellschaft ist, dass die Pläne auf den entschlossenen Widerstand von Dresdner Bürgern stießen. Daraus entwickelte sich der Freundeskreis Sowjetischer Garnisonfriedhof und ging später der Verein Denk Mal Fort! hervor. Die Journalistin Jane Jannke erstellte eine umfangreiche Webseite zu dem Friedhof. Was genau aus dem werden sollte und wie man selbst mit dem russischen Kriegsgedenken umgehen wollte, das war allerdings auch für die Aktivisten ein Thema, bei dem die Meinungen teils unversöhnlich auseinandergingen.
Sanierung im Gange
Doch sie erreichten, dass 2010 der Denkmalschutz auch auf den Nordflügel ausgeweitet und 2019 die Trägerschaft wieder an die Stadt übertragen wurde. Seitdem hat man nicht nur die Thujahecke entfernt, die beide Teile blickdicht trennte, als hätten sie nichts miteinander zu tun. Anfang dieses Jahres begann auch eine groß angelegte, 250.000 Euro teure Sanierung und Restaurierung des Nordflügels. Die Kosten trägt der russische Staat.
Ein erster Abschnitt wurde im Oktober bereits fertiggestellt. Die Dresdner Steinmetz- und Steinbildhauer GmbH von Sven Schubert, auch am Wiederaufbau des Berliner Schlosses und anderen prominenten Projekten beteiligt, reinigte, reparierte und stellte Grabsteine wieder auf, die nur noch auf dem Boden gelegen hatte. Das Bild der Verwahrlosung weicht einem menschenwürdigen Anblick. Der Satz „Wir werden dich nie vergessen“, mit denen sich Eltern auf den Gräbern im Kinderhain von ihren Kleinen verabschiedeten, er gilt allmählich für den gesamten Garnisonfriedhof in Dresden.
Tino Künzel