Warum der Rubel seit dem Zerfall der Sowjetunion ein Sorgenkind ist

Der Rubel gerät unter Druck. Neue Sanktionen und Währungsabwertungen in anderen Schwellenländern lassen den Kurs der russischen Währung sinken. Im Interview erklärt Wirtschaftsprofessor Marek Dombrowksi wie Krisen entstehen und welche Parallelen es zur großen Rubelkrise von 1998 gibt.

Im Taumel: Die US-Sanktionen setzen dem Rubel zu. /Foto: Ria Novosti.

Experten sagen, der Auslöser für die Russlandkrise 1998 sei der Vertrauensverlust in den Rubel gewesen. War der Rubel nach dem Zerfall der Sowjetunion überhaupt vertrauenswürdig?

Große Haushaltsungleichgewichte waren hauptsächlich für die russische Währungskrise im August 1998 verantwortlich. Die Krise kann deshalb vollständig im Rahmen des sogenannten Währungskrisen-Modells der ersten Generation – die Literatur unterscheidet zwischen drei Generationen – erklärt werden. Wenn ein Staat sein Politik expansiver ausrichtet und gleichzeitig den Wechselkurs der Währung stabil hält, muss er im Endeffekt Währungsreserven aufwenden. Bei Unvereinbarkeiten kann eine Krise folgen.

Auch die zeitliche Nähe zu der sehr hohen Inflation im Zeitraum 1992 bis 1994 und der vorhergehende Zusammenbruch des Rubels (der „Schwarze Dienstag“ am 11. Oktober 1994) spielten eine wichtige Rolle.

Zuvor ließ die Asienkrise Investoren vor weiteren Verlusten zurückschrecken.

Der Einfluss der Asienkrise kann ebenfalls nicht vernachlässigt werden, aber sie spielte nur eine sekundäre Rolle. Staaten, die sich mit einer Krise angesteckt haben, leiden normalerweise unter eigenen innerstaatlichen Schwachstellen, die durch eine negative Stimmung der internationalen Märkte nur verschlimmert werden.

Russland erlebte seine schwärzeste Zeit, als der Staat zahlungsunfähig wurde. Hätte die Währungskrise verhindert werden können?

Aus wirtschaftlicher Sicht: ja. Beispielsweise durch eine vernünftigere Finanzpolitik und schnellere Reformen, die dabei geholfen hätten die Haushaltsungleichgewichte zu reduzieren und die Erholung der Produktion zu beschleunigen.  Allerdings war das aus politischer Sicht sehr schwierig. Es gab einen permanenten Konflikte zwischen Jelzins Regierung und der von Kommunisten dominierten Duma.

Welche langfristige Auswirkung hatte der Staatsbankrott für Russland?

Auf der einen Seite untergrub er das öffentliche Vertrauen in den Rubel, stärkte die eigenständige „Dollarisierung“ – wenn der US-Dollar als Ersatz für die nationale Währung eingeführt wird – der russischen Wirtschaft und motivierte Kapitalflucht. Auf der anderen Seite erlaubte der Staatsbankrott das Aufkommen eines politischen Konsenses bezüglich einer vernünftigeren Finanzpolitik in der Zeit nach der Krise und – was noch wichtiger ist – während des Ölbooms in den 2000er Jahren.

Aktuell erleben viele Russen ein Déjà-vu. Vor 20 Jahren wurde der Rubel entwertet. Wäre eine Währungskrise in Russland wieder möglich oder hilft die Zinspolitik der russischen Zentralbank, dieses Szenario zu verhindern?

Die Zinspolitik der russischen Zentralbank half, Panik an den Märkten Ende 2014 und Anfang 2015 zu verhindern, um dann den Rubel zu stabilisieren. Allerdings, wie der Verlauf der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 bis 2009 und die andere Krise 2014 bis 2016 zeigen, ist die Gefahr einer Währungskrise nicht gebannt, auch wenn die Finanz- und Geldpolitik in den 2000er und 2010er Jahren im Vergleich mit den 1990er Jahren viel umsichtiger geworden ist.

Ein Auslöser für eine Krise kann von den Rohstoff- und Finanzmärkten oder aus der politischen Sphäre kommen. Ein Beispiel wäre die Angliederung der Krim und die Unterstützung der Rebellen im Donbass sowie die daraus resultierenden Sanktionen seitens des Westens und die russischen Gegensanktionen.

Das heißt, lieber aussitzen oder in Panik ausbrechen?

Eine Krise zu verhindern, inklusive einer Ansteckung durch andere Länder, erfordert eine umsichtige makro- und mikroökonomische Politik. Allerdings kann solch eine Politik nie hundert Prozent schützen. Das ist wie bei Gesundheitsprophylaxen, wie etwas Impfung, ein gesunder Lebensstil oder Hygienemaßnahmen: Man kann die Widerstandsfähigkeit steigern, aber man kann das Risiko, zu erkranken nicht komplett ausschließen.

Russlandkrise 1998

Am 17. August 1998 gab der russische Staat den Rubel frei: vom „harten“ zum frei schwankenden Wechselkurs. Im Verlauf eines Jahres wertete sich die russische Währung von fünf Rubel pro US-Dollar auf 29 Rubel ab. Mit verheerenden Folgen für das Land: Die Wirtschaftsleistung sank um fünf Prozent, die Armut stieg um zehn Prozent auf 30 Prozent an und viele Russen verloren ihre Ersparnisse. Ab dem Jahr 2000 erholte sich die Wirtschaft wieder Dank der wachsenden Rohstoffexporte.

Das Gespräch führte Katharina Lindt. Mitarbeit: Christopher Dietl

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