Wie halten Sie‘s mit Schmiergeld?

In Russland wurden in diesem Jahr neun Prozent mehr Fälle von Schmiergeldzahlungen registriert. Das meldete die Generalstaatsanwaltschaft Anfang Dezember. Wir haben das zum Anlass genommen, bei gewöhnlichen Russen nachzufragen, welche Erfahrungen sie eigentlich mit Schmiergeld machen. Ist es gang und gäbe? Oder eher die große Ausnahme? Die Namen der Betroffenen wurden von der Redaktion vorsorglich geändert.

Aus einer anderen Welt? Schmiergeld scheint in der Bevölkerung eher Seltenheitswert zu besitzen. © Pixabay

Alexej Sorokin, Ingenieur aus einer Stadt bei Moskau

Ich bin gegen Schmiergeld und habe nie welches gegeben oder angenommen. Bis wir vor Kurzem in die Nähe von Moskau umgezogen sind, wohnten wir in einer Kleinstadt. Dort bin ich nie mit dem Problem konfrontiert gewesen. Und dasselbe gilt, soweit ich weiß, für meine Freunde, Bekannten und Verwandten. Die Leute helfen sich eher gegenseitig, anders kommt man auch nicht über die Runden. Um es auf einen einfachen Nenner zu bringen: Schmiergeld zahlen die, die es sich leisten können. Der Großteil der Bevölkerung hat gerade genug, dass es fürs Essen und die Wohnungskosten reicht. Ich denke auch nicht, dass das System Menschen dazu nötigt, irgendwen zu schmieren. Für mich ist das eine Sache von Bildung und Erziehung.

Unlängst hat das Thema aber nun doch meine Familie erreicht. Ich wollte unseren elfjährigen Sohn am neuen Wohnort in einer bekannten Fußballschule anmelden. Man hat ihn auch genommen und mir gesagt, er sei besser als die Hälfte der alteingesessenen Mitspieler. Trotzdem wurde er nach hinten durchgereicht: zweite Mannschaft, dritte Mannschaft. Er war nahe dran, die Lust zu verlieren. Und dann hat sich unser Verdacht bestätigt: Es ging gar nicht nach Leistung. Aufgestellt wurden jene Kinder, deren Eltern dem Trainer Geld dafür zugesteckt haben, sprich Schmiergeld. Unser Sohn hat da nur gestört und war weder den Eltern noch dem Trainer willkommen. Selbst zu zahlen, kam für mich nicht in Frage, da habe ich meine Prinzipien. Deshalb spielt unser Sohn jetzt für einen anderen Klub. Der ist leider weiter weg, was lange Anfahrten zum Training bedeutet. Dafür aber ist die Mannschaft viel stärker und unser Sohn einer der Leistungsträger. Neulich wurde er sogar in die Stadtauswahl berufen. Und das hat er alles selbst erreicht – ganz ohne Schmiergeld.


Noch vor wenigen Jahren seien die häufigsten Empfänger von Bestechungsleistungen Lehrer und Ärzte gewesen, und die Initiative dazu sei von „einfachen Bürgern“ ausgegangen. Das sagte der Leiter des Nationalen Antikorruptionskomitees (NAK), Kirill Kabanow, in einem Radio­interview. Die Situation habe sich „stark verändert“. Heute fließe Schmiergeld vor allem auf der Ebene von Behörden und Business. Die Durchschnittssumme wird von der Generalstaatsanwaltschaft aktuell mit 609.000 Rubel (rund 8100 Euro) angegeben. Die wegen Korrup­tion verurteilten Straftäter seien laut einer eigenen Studie in der Regel männlich, fleißig und zielstrebig, stressresistent und kommunikativ, hätten einen Hochschulabschluss, Familie und Kinder.


Maxim Iwanow, Selbstständiger aus einer Stadt in Sibirien

Mit Schmiergeld bin ich eigentlich nur zwei Mal in Berührung gekommen, beide Fälle sind schon einige Jahre her. Beim ersten Mal hatte ich einen kleinen Betrieb und deshalb Besuch von einem Prüfer aus dem Stromwerk. Der hat sich unseren Stromkasten zeigen lassen und einen Moment später moniert, dass daran ja die Plombe fehle. Ich bin bis heute der Meinung, dass er sie selbst entfernt hat, aber ich hatte auf die Plombe auch nicht groß geachtet und hätte ihm ohnehin nichts nachweisen können. Jedenfalls hat er von einem Protokoll gesprochen, das nun aufgesetzt werden müsse, und von einer sechsstelligen Geldstrafe. Ich habe ihm geantwortet, dann könnten wir den Laden auch gleich dicht machen und beide nach Hause gehen. Da hat er einige Nullen von der Summe gestrichen. Von dieser Zahl habe ich ihm dann einen Teil in die Hand gedrückt und gesagt, mehr wäre bei der wirtschaftlichen Lage des Betriebs nicht drin.

Beim zweiten Fall bin ich in eine Verkehrskontrolle geraten. Der Verkehrspolizist hat in Aussicht gestellt, dass mein Auto abgeschleppt würde und mich ein Verfahren erwarte. Da habe ich dann angefangen, mit ihm zu handeln. Wir haben gefeilscht wie auf dem Basar und uns letztlich auf 5000 Rubel (heute umgerechnet etwa 65 Euro) geeinigt, die er von mir bekommen hat.

Ilja Axjonow, Politologe aus einer westrussischen Stadt

Man wird das Gefühl nicht los, dass bei uns der gesamte Staatsapparat von Korruption durchsetzt ist. Das heißt aber nicht, dass man da irgendwie mitmachen muss. Man kann sich davon durchaus isolieren und trotzdem sein Leben leben, wenn auch nicht so gut. (Lacht) Ich bin in einer Funktion tätig, die gern mit Schmiergeldzahlungen in Verbindung gebracht wird, hatte damit aber noch nie etwas zu schaffen.

Was ich von Bekannten höre, ist, dass häufig in der Fahrschule Schmiergeld fließt, speziell bei der praktischen Prüfung. Die einen sagen, dass die Prüfer sie sonst durchfallen lassen würden. Andere wollen einfach keinen Finger krumm machen. Oder aber sie sind sich als Fahrschüler ihrer Sache nicht sicher.

Zusammengestellt von Tino Künzel.

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