„The Voice Kids“ auf Russisch: viel Talent, wenig Spaß

Noch bis Ende November läuft im russischen Staatsfernsehen die zwölfte Staffel der Talentshow „Golos.Deti“, wie „The Voice Kids“ auf Russisch heißt. Als Lizenzprodukt basiert die Sendung auf demselben Grundprinzip wie in rund 40 anderen Ländern. Der Ausländer ist aber eher erstaunt, wie anders sie sich im Vergleich zum deutschen Pendant anfühlt.

Parallelen und Unterschiede: „Golos.Deti“ (Foto) ist nicht gleich „The Voice Kids“. (Foto: Perwy Kanal)

Ich liebe „The Voice Kids“, das gleich vorweg. Manche Videos von den Darbietungen habe ich auf Youtube Dutzende Male gesehen. Aber nicht nur das: Ich habe die Originale der Lieder für mich entdeckt und so manchen Disney-Film als Quelle (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, um nur einige zu nennen).

Es wird emotional

Nicht nur im Adlershofer Studio, auch bei mir ist schon die eine oder andere Träne geflossen, weil es einem einfach nahegehen muss, wie die Kinder und ihre Familien diesen großen Moment durchleben, den sie wahrscheinlich nie vergessen werden. Und es ist nicht nur das phänomenale Talent derer, die es beim Casting bis vor die Kamera geschafft haben. Viele denkwürdige Augenblicke entstehen aus der Interaktion mit den Coaches, zu denen in Deutschland über die Jahre unter anderem der spanisch-deutsche Weltstar Alvaro Soler, Deutschpop-Sänger Wincent Weiss, Eurovision-Song-Contest-Gewinnerin (2010) Lena und Silbermond-Frontfrau Stefanie Kloß gehörten.

Die Art und Weise, wie sie sich auf die Kinder einlassen, bei deren Auftritten mitgehen und sich selbst nicht so wichtig nehmen, sorgt für herzerwärmende Szenen (1, 2, 3, 4, 5, 6) und eine ansteckende Freude (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9). Bei „The Voice Kids“ wurde auch schon Russisch gesungen. Und die 12-jährige Anna berichtete der Jury in der jüngsten Staffel, dass sie zwar in Deutschland geboren wurde, ihre Eltern aber aus Russland stammen und sie in einem russischen Orchester singen gelernt hat, das übrigens „Druschba“ heißt.

Zuschauen nur mit VPN

Kurz zum Hintergrund: „The Voice Kids“ startete 2012 in Holland als Ableger von „The Voice“. Ein Jahr später ging das Format in Deutschland bei Sat.1 auf Sendung, 2014 dann auch in Russland unter dem Namen „Golos.Deti“. Während die 13. Staffel der deutschen Version bereits im Frühjahr ausgestrahlt wurde, hat die 12. Staffel der russischen Ausgabe Anfang September begonnen, das Finale findet am 29. November statt. Bis dahin überträgt der „Perwy Kanal“, der erste Kanal des Staatsfernsehens, die verschiedenen Stufen des Wettbewerbs jeden Freitagabend – gleich nach der 45-minütigen Hauptnachrichtensendung „Wremja“ mit ihren Erfolgsmeldungen zur russischen Innen- und Außenpolitik.

Sich ein Bild von „Golos.Deti“ zu machen, ist gar nicht so einfach. Die Webseite des „Perwy Kanal“ nicht nur auf dem Mobiltelefon, sondern auch am PC aufzurufen, setzt eine russische IP-Adresse und aus dem Ausland also einen VPN-Dienst voraus (zum Beispiel diesen, den es auch als kostenlose Erweiterung für Google Chrome gibt). Auf Youtube, das Russland schon lange durch eine eigene Plattform zu ersetzen versucht, sind die neuesten Videos der Talentshow drei Jahre alt. Dabei erfreut sie sich einer ungebrochenen Beliebtheit. Allein im sozialen Netzwerk VK.com hat die offizielle Gruppe der Show mehr als eine Million Abonnenten. Zimperlich geht es in den Kommentaren nicht zu, während die Talente mitlesen und sich hin und wieder zu Wort melden. Vielleicht sind es auch ihre Eltern, aber jedenfalls haben selbst die achtjährige Lisa aus Moskau und der zehnjährige Stjopa aus dem sibirischen Tjumen bereits einen Account.

Bühnenerfahrung sehr unterschiedlich

Die beiden sind in der Sendung vom 17. Oktober als erste dran und schaffen es in die nächste Runde. Zum Vortrag von Stjopa mit einer Coverversion des Alla-Pugatschowa-Songs „Etot mir“ (Diese Welt) von 1978 lautet der beliebteste Kommentar auf VK: „Er hat das ganze Lied verhunzt.“ Viel wichtiger für den Jungen ist aber natürlich, dass Popsänger Dima Bilan für ihn „gebuzzert“ hat. Bei den sogenannten „Blind Auditions“ sitzen die Coaches mit dem Rücken zur Bühne, weil sie nur die Stimme beurteilen sollen. Wollen sie das jeweilige Talent in ihr Team holen und auf die weiteren Etappen vorbereiten, drücken sie den roten Knopf und drehen damit ihren Stuhl um. Tun das mehrere Coaches, dürfen die Jungen und Mädchen wählen, für welches Team sie sich entscheiden. Bilan, Sieger des Eurovision Song Contests von 2008, ist der Einzige aus der vierköpfigen Jury, der sich zu Stjopa umdreht.

Der fegt währenddessen über die Bühne, hat neben dem Gesang eine Menge Tanzschritte einstudiert. Aber das entgeht den Jurymitgliedern nun größtenteils. Und sie wissen auch nicht, was er dem Fernsehpublikum über sich erzählt hat und was davon zeugt, dass er mit seinen zehn Jahren ein volleres Tagesprogramm hat als die meisten Erwachsenen. Schon vor der Schule geht es zum Schwimmtraining, der gesamte Nachmittag ist mit Singen und Choreografie ausgefüllt, bevor am Abend noch Badminton ansteht – Stjopa ist in seiner Altersklasse Regionalmeister. Sein Ziel sei es, sagt er mit großer Ernsthaftigkeit, die Olympischen Spiele zu gewinnen und auf dem Siegerpodest die russische Nationalhymne zu singen. Vor allem aber träumt der Viertklässler von einer Künstlerkarriere. Gewissermaßen ist sie schon im Gange. Er hat nämlich bereits an 75 Gesangswettbewerben teilgenommen, erzählt er in einem Video. Unlängst fand sein erstes Solokonzert statt.

Von überwältigt bis sehr cool

Das ist der erste gravierende Unterschied zu „The Voice Kids“ in Deutschland. Während der Großteil der deutschen Kinder wenig bis keine Bühnenerfahrung hat oder höchstens im Chor auch mal vor Leuten singt, sind in Russland viele kleine Profis am Werk. Das zeigt sich bereits bei der Kleidung. Im Gegensatz zum Alltagslook der meisten deutschen Bewerber sind die russischen häufig durchgestylt. Stjopa zum Beispiel könnte mit seiner Mütze auf dem Hinterkopf, dem absichtlich zerschlissenen weißen Sweatshirt und den schwarzen Hosen aus Leder auch bei einer Modenschau auftreten. Um die Aufmachung habe sich seine Mutter gekümmert, sagt er.

Nun ist gegen eine so durchorganisierte Herangehensweise gar nichts zu sagen. Man kann den Kindern und ihren Eltern schlecht verbieten, früh zu üben, um Meister zu werden. Das gibt es natürlich auch in Deutschland, wenngleich vielleicht nicht so oft und nicht ganz so generalstabsmäßig.

Bei „The Voice Kids“ sind sehr viele Talente nach ihren Auftritten in den „Blind Auditions“ völlig aufgelöst und überwältigt, wenn sie die Coaches überzeugt und das Publikum von den Sitzen gerissen haben (1, 2, 3, 4, 5). Vor Glück, Aufregung und Erleichterung müssen sie sich erst einmal sammeln, denn für sie ist das etwas Ungewohntes. „Ich kann es gar nicht fassen, dass ich überhaupt hier stehe“ oder „Als ich reinkam, dachte ich, ich falle gleich um“, sind Sätze, die dann fallen. Bei „Golos.Deti“ wundert sich der zwölfjährige Lew gar nicht erst, dass er für seine originelle Performance von den Zuschauern gefeiert und den Coaches gelobt wird. Selbstbewusst und routiniert erklärt er, das habe er doch „gleich gesagt“.

Kindergeburtstag vs. Leistungssport

Es sind nicht die Kinder, die hier den Ton angeben, sondern kleine und große Erwachsene. Man siezt sich und hält auch sonst Distanz. Spontanität, Humor und Selbstironie vermisse ich schmerzlich, die Show lässt mich seltsam kalt. Und wenn es doch einmal emotional zu werden droht, sagt die Moderatorin zwischendurch einfach die nächste Werbebotschaft auf: „Unsere jungen Talente glänzen auf der Bühne. So glänzen auch die Zähne mit der Kinderzahnpasta President.“ Die Kinder werden für die Werbung des Hauptsponsors, einer Kosmetikfirma, gleich mit eingespannt.

Von zehn Liedern an diesem Abend sind sieben auf Russisch. Für mich, der in dieser Kultur nicht zu Hause ist, stellt sich kein Wiedererkennungseffekt ein. Für die Leute im Saal und vor dem Fernseher ist das garantiert anders und auch der Eindruck deshalb ein anderer. Aber hier geht es ja um meinen. Und wenn „The Voice Kids“ für mich wie Kindergeburtstag ist und das Studio wie ein Wohnzimmer, fühlt sich „Golos.Deti“ nach Leistungssport und der Drehort auf dem Moskauer Mosfilm-Gelände nach einer Arena an.

Nicht, dass ich etwas gegen Leistungssport hätte. Aber ich halte es mit der damals elfjährigen Georgia aus Bremerhaven, die bei der 10. Staffel von „The Voice Kids“ mitmachte und sagte: „Ich wollte schon immer mal mein Talent zeigen. Das Wichtigste war, dass ich da auch Spaß habe. Es war mir egal, ob ich weiterkomme oder nicht.“ Begeistert hat das Mädchen mit der Wahnsinnsstimme aber trotzdem – und ihre Staffel am Ende sogar gewonnen.

Tino Künzel

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