Steilpass Richtung WM in der Deutschen Botschaft

Mit fußballerischen Vorlieben hat man es nicht immer leicht im Leben. Zum Beispiel der Deutsche Botschafter in Russland, Rüdiger von Fritsch: Von Kindheit an Fan von Fortuna Düsseldorf, hat er sich damit wahrscheinlich eine Leidensfähigkeit antrainiert, wie man sie sonst den Russen nachsagt. Solche und andere wichtigste Nebensachen der Welt wurden beim „Deutsch-russischen Fußballabend“ in der Deutschen Botschaft zu Tage gefördert, der Fußballtheoretiker und -praktiker ins Gespräch brachte und für die Erkenntnis sorgte, dass Boateng nicht Cacau ist.

„Mannschaftsfoto“ nach der Plauderstunde in der Deutschen Botschaft. Von links: Botschafter Rüdiger von Fritsch, Russlands Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow, Lok-Moskau-Sportdirektor Erik Stoffelshaus, Ex-Nationalspieler Cacau und Schiedsrichter-Legende Walter Eschweiler. © Tino Künzel

Der Einfluss von Fortuna Düsseldorf auf die Stimmungslage im deutsch-russischen Verhältnis sollte vermutlich nicht überschätzt werden, aber für die Stimmung des ranghöchsten deutschen Diplomaten in Russland kann der Zweitligist durchaus etwas tun und hat es gestern auch getan. Mit 3:0 gewann der Tabellenführer im viertletzten Punktspiel der Saison gegen den FC Ingolstadt und kam dem Aufstieg noch ein bisschen näher. Wie sehr der Deutsche Botschafter Rüdiger von Fritsch im fernen Moskau solche Ergebnisse verfolgt und sich deshalb über den Ausgang des Spieltags gefreut hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Dass Fritsch sich aber der Fortuna ganz grundsätzlich eng verbunden fühlt und das schon seit seiner Kindheit, ist Fakt. Er hat es der MDZ selbst erzählt, am Rande des „Deutsch-russischen Fußballabends“, für den er diese Woche Gastgeber in der Botschaft war. „Im Ausland zu leben und für Bayern München zu sein, wäre ja auch zu billig“, meinte Fritsch schmunzelnd, es klang schon fast wie ein Bekenntnis.

Fritsch wollte Jaschin nacheifern

In seiner Begrüßungsansprache bei der Veranstaltung sagte er, in Deutschland seien sechs Millionen Menschen Mitglied in einem Fußballverein. „Die übrigen 75 Millionen sind Fans“ – und dazu zähle er sich auch. Die erste Weltmeisterschaft, an die Fritsch sich erinnert, war 1966, die habe er, damals zwölf Jahre alt, mit seinem älteren Vetter in der Kneipe geschaut. Das Tor der sowjetischen Nationalmannschaft wurde bei dem Turnier in England vom berühmten Lew Jaschin gehütet. Da wollte dann sogar Fritsch am liebsten selbst Torhüter werden. Aber so, wie für die Sowjetunion die WM 1966 eher unglücklich mit Platz vier endete, nachdem die „Sbornaja“ im Halbfinale ausgerechnet Deutschland unterlag (dem im Finale das „Wembley-Tor“ eingeschenkt wurde), so gingen auch für den heutigen Botschafter im Fußball nicht alle Träume in Erfüllung. Über die Grenzen seines Viertels zu Hause in Schwäbisch Gmünd, wo er als Junge kickte, kam er nicht hinaus, scheint aber bis heute gern über den Sport zu reden. Als ihn kürzlich der Erzbischof von Berlin, Heiner Koch, in der Residenz besuchte, stellte Fritsch eine Porzellanfigur auf den Tisch: den Radschläger, ein Wahrzeichen von Düsseldorf. Koch ist nämlich in Düsseldorf geboren – und ebenfalls Fan der Fortuna.

Von zwei Sportjournalisten aus Deutschland und Russland befragt: die Expertenrunde auf dem Podium. © Tino Künzel

Der „Deutsch-russische Fußballabend“ an der Botschaft war nun auch für die geladenen Gäste der Veranstaltung eine schöne Möglichkeit, knapp zwei Monate vor dem WM-Auftakt über den Fußball zu fachsimpeln – oder anderen dabei zuzuhören. So ganz sattelfest bei dem Thema waren nämlich nicht alle. In der Schlange vorm Eingang rätselten einige über ein Plakat, das an einem der höchsten Gebäude der Botschaft angebracht und auch von der Straße aus zu sehen ist. Es zeigt vier aktuelle deutsche Nationalspieler, sie stehen für „Ди Манншафт“, wie es in kyrillischen Buchstaben heißt. Links auf dem Bild ist Jerome Boateng abgebildet. Doch in der Schlange fielen andere Namen: Cacau? Odonkor? Frühere Nationalspieler, die ihre aktive Laufbahn inzwischen bereits beendet haben, im weiteren Verlauf des Abends aber noch eine Rolle spielen sollten.

Schulleiter hat sogar den Trainerschein

Drinnen in der Botschaft erwartete die Gäste ein Quiz, das gewissen Fußballsachverstand verlangte. Wer die richtigen Antworten ankreuzte, der wurde am Ende auf die Bühne gerufen und mit diversen Preisen beschenkt. Zu den Gewinnern gehörte unter anderem Dietrich Möller, der Chef von Siemens in Russland. Auf sein fußballerisches Fachwissen angesprochen, hielt er jedoch den Ball betont flach und bemühte das Bild vom blinden Huhn und dem Korn. In Sachen WM in Russland hat Siemens derweil bereits gewonnen und ist mit diverser Produktion aus eigenem Hause vertreten. Möller hat auch schon eine Einladung zum Finale. 2006, bei der Weltmeisterschaft in Deutschland, war er sowohl beim Eröffnungs- als auch beim Endspiel im Stadion.

Nicht nur Fußballtheoretiker ist der Schulleiter der Deutschen Schule Moskau, Uwe Beck. Er verfügt über eine C-Lizenz als Trainer und könnte damit theoretisch einen Landesligisten trainieren. Vor seiner Zeit in Moskau hat er bei Stahl Freital bereits im Jugendbereich gearbeitet.

Dieser Fußball soll für einen guten Zweck versteigert werden. „Stani“, hat Tschertschessow ihn signiert. So wurde er zu seiner Zeit bei Dynamo Dresden genannt. © Tino Künzel

Aber beim „Deutsch-russischen Fußballabend“ war natürlich noch viel mehr Kompetenz im Saal versammelt, zum Beispiel in Person von Schiedsrichter-Koryphäe Walter Eschweiler. Heute 82, pfiff er in den 70er und 80er Jahren fast 300 Bundesliga- und zahlreiche internationale Spiele, leitete bei der WM 1982 das Spiel des späteren Weltmeisters Italien gegen Peru – bei dem hinterher alles darüber sprach, wie Eschweiler nach einer Kollision mit einem peruanischen Spieler zu Boden gegangen war und sogar einen Zahl verloren hatte. Der Schiedsrichter erlangte durch seine Schlagfertigkeit bei zahlreichen öffentlichen Auftritten Kultstatus und wurde von Fritsch als „mein ehemaliger Kollege“ vorgestellt, weil auch er als Diplomat im Auswärtigen Amt tätig war.

Auf der Bühne hatte in der Deutschen Botschaft reichlich Prominenz Platz genommen: der russische Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow, der deutsche Sportdirektor von Lokomotive Moskau, der Mannschaft der Saison der Russland, Erik Stoffelshaus, und Ex-Fußballprofi Cacau, der von 2003 bis 2014 für den VfB Stuttgart stürmte und 23 Länderspiele für Deutschland absolvierte. Heute ist der Brasilianer, der seit 2009 auch den deutschen Pass besitzt, Integrationsbeauftragter beim DFB.

Ein gern kassiertes Gegentor

Im Gespräch ging es rund eine Stunde lang um den Stellenwert des Fußballs in Deutschland und Russland, um das deutsche „Sommermärchen“ von 2006 und die Vorbereitung auf eine vielleicht ebenfalls märchenhafte WM in Russland. Ex-Torhüter Tschertschessow, der von 1993 bis 2002 in Deutschland und Österreich spielte und daher fließend Deutsch spricht, outete sich als Anhänger der deutschen Mentalität: „Ich liebe Ordnung und Disziplin.“ Er berichtete, dass er sich ein einziges Mal in seiner Torwart-Karriere über ein Gegentor nicht geärgert habe, und zwar bei der WM 1994 in den USA beim 6:1-Sieg Russlands gegen Kamerun über den Ehrentreffer des Gegners, erzielt von Roger Milla, der mit seinen 42 Jahren damit ältester WM-Torschütze aller Zeiten wurde. Auf eine Frage aus dem Publikum, welchen Spieler der deutschen Nationalelf er gern in seiner Mannschaft hätte, wenn er ihn sich aussuchen könnte, antwortete Tschertschessow so diplomatisch, wie es die Diplomaten im Saal nicht besser hätten machen können: „Das Wörtchen ,Wenn‘ gibt es in meinem Lexikon nicht. Ich habe Spieler, und ich bin stolz, dass ich sie trainieren darf.“

Botschafter Fritsch und Alt-Schiedsrichter Eschweiler © Tino Künzel

Cacau schilderte eine Episode aus dem Jahre 2006, als er die Atmosphäre rund um die WM in Deutschland zunächst als kühl empfand und gar nicht als das große Volksfest, das er als Brasilianer erwartet hatte. „Philipp Lahm hat damals im Eröffnungsspiel das erste Tor erzielt und ich weiß noch genau: Der Fernsehkommentator hat einfach ,Tor‘ gesagt.“ Große Emotionen wollten da irgendwie nicht aufkommen. „Dann bin ich zwischenzeitlich nach Brasilien gefahren und als ich zurück in Deutschland war, habe ich das Land nicht wiedererkannt. Da war dieselbe Freude wie in Brasilien.“ Ein Schlüssel dafür sei wohl das 1:0 im zweiten Gruppenspiel der Deutschen gegen Polen gewesen, als Deutschland 90 Minuten vergeblich angerannt war und das Tor auf hochdramatische Weise erst in der Nachspielzeit fiel: Schneider schickte Odonkor auf dem rechten Flügel, der brachte den Ball nach innen, wo Neuville zwischen zwei Verteidigern angerauscht kam, mit der Fußspitze einnetzte und die Menschen im Stadion erlöste. „Hier spielen sich unglaubliche Szenen ab“, jubelte danach auch der Kommentator in der ARD.

Dass es Szenen wie diese auch bei der WM vom 14. Juni bis 15. Juli in Russland geben wird – kein Zweifel. Die Deutsche Botschaft hat die Vorfreude noch ein bisschen weiter angefacht.

Tino Künzel

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