Selgros-CEO Axel Hartenstein: „Es rücken alle zusammen“

Sowohl Gehen als auch Bleiben: Dieser Zaubertrick hat in Russland zuletzt Schule gemacht. Während sich zahlreiche westliche Firmen aus Russland zurückgezogen haben, werden die Geschäfte von neuen Eigentümern weitergeführt, teils sogar unter demselben Namen. So wie bei Selgros. Darüber hat die MDZ mit CEO Axel Hartenstein (56) gesprochen. Für den Österreicher ist die aktuelle Krise nicht die erste, die er in Russland erlebt.

Im Weihnachtsgeschäft: Axel Hartenstein und Selgros (Foto: Selgros)

Herr Hartenstein, die Coop-Tochter Transgourmet aus der Schweiz hat den russischen Markt verlassen und Selgros an das bisherige Management um den Osteuropa-Chef John Matthew und Sie als Vorsitzenden der Geschäftsführung verkauft. Im Sommer hat die russische Antimonopolbehörde das MBO gebilligt. Warum wollten Sie, dass Selgros in Russland bleibt?

Wir glauben an den Markt, das möchte ich klar sagen. Deshalb sind wir auch noch hier. Und nicht zuletzt haben wir eine Verantwortung den Mitarbeitern gegenüber. Für 2000 Menschen und ihre Familien. Ansonsten hätte ich mich auch in den nächsten Flieger setzen können. Im Konzern hätte man schon irgendetwas für mich gefunden.

Was macht Selgros in Russland?

Wir haben hier elf Cash&Carry Märkte: sechs in Moskau und der Moskauer Oblast, fünf in den Regionen. Food und Non-Food. 60.000  Artikel. Zu 95  Prozent aus lokalen Ressourcen. Eine Kernkompetenz von uns ist die eigene Fleischproduktion, sind die Bäckereien, Fisch- und Wursträuchereien. Früher brauchte man eine Kundenkarte und musste Gewerbetreibender sein, um bei einem Großhändler wie Selgros einzukaufen. Aber das haben wir abgeschafft. Unsere Stores sind Hypermärkte, so wie man das in Russland unter anderem auch von Lenta oder OK kennt.

Und von Metro und Globus.

Ja, das sind unsere ersten Mitbewerber. Oder wie man heute zu sagen pflegt: Marktbegleiter. Wir haben auch tatsächlich einen guten Draht zueinander. Man hilft sich in diesen Zeiten. Es rücken alle zusammen. Sind ja nicht mehr wahnsinnig viele Mohikaner hier.

Was waren die größten Herausforderungen im Zuge des Management-Buy-outs?

Es ist natürlich nicht einfach, wenn Sie bisher kommod in einem großen Konzern dahingeschwommen sind und jetzt auf einmal quasi ein Mittelständler sind, der auf eigenen Beinen stehen muss. Das bedeutete, in kürzester Zeit von der Buchhaltung bis zu IT alles auf lokale Systeme und Lösungen umzustellen. Und das in einem ohnehin schwierigen Umfeld, wo  man auf Sicht fährt und nicht weiß, was morgen ist. Wie sich der Rubel entwickelt. Was mit den Sanktionen wird. Wo man die Ware herbekommt. Im März hat es auch Hamsterkäufe gegeben bei Öl, Mehl und Zucker, das war nicht witzig.

Wie laufen die Geschäfte heute?

Die Großfläche ist generell unter Druck, aber das ist ein internationaler Trend und in Deutschland oder Österreich nicht anders. Die Leute wollen sich zunehmend weniger ins Auto setzen und eine Stunde zum Hypermarkt am Stadtrand fahren, um dort einzukaufen. Die gehen im Alltag lieber zum Händler um die Ecke. Und machen dann vielleicht einmal im Monat einen Großeinkauf. In Russland kommt noch hinzu, dass die Ladendichte in den letzten Jahren gestiegen ist. Früher konnte man gar nicht an jeder Ecke einkaufen, heute schon.

Selgros-Hypermarkt in Russland (Foto: Selgros)

Wie entwickeln sich die Umsätze?

Die Zahlen sind mehr oder weniger auf Vorjahresniveau, allerdings schlechter seit der Mobilmachung. Non-Food geht hinunter. Kleidung oder Schuhe trägt man im Zweifelsfalle auch mal länger. Aber Essen braucht man immer. Alles in allem hat sich das Geschäft stabilisiert, wobei wir allerdings jegliche Expansion eingefroren haben. Was uns Freude macht, ist B2B. Mit unserer Firma Global Foods beliefern wir sehr erfolgreich Kantinen, Restaurants und Hotels. Vor allem im Premium-Segment ist noch alles gut. Die Restaurants sind ja bisher auch voll. Aber was ich an Rückmeldungen bekomme, zeugt davon, dass manche Gäste schon von Wein auf Bier und von Steak auf Huhn umsteigen.

Wie schätzen Sie die Aussichten für die nächsten Jahre ein?

Ich denke trotz allem, dass Russland als eine der bedeutendsten Marktwirtschaften zurückkommen wird. Ich habe hier die Krisen von 2009 und 2014 erlebt, da war immer klar, dass es nach einer gewissen Zeit wieder relativ schnell nach oben geht. Der Unterschied ist, dass diese Perspektive im Moment ein wenig fehlt. 2023 wird schwierig, für 2024 bin ich optimistisch.

Was nehmen Sie aus diesem Jahr mit?

Die Erfahrung einer engen Führung mit viel Präsenz und Kommunikation vor Ort. Das hat gut funktioniert und geholfen, die Belegschaft bei der Stange zu halten, gerade auch nach der Mobilmachung, die auf die Stimmung gedrückt hat.

Das Interview führte Tino Künzel.

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