Anton Bogner (34) ist eine Persönlichkeit in Saratow. Noch während seines Studiums entwickelte er ein Konzept für Fahrradwege in der Stadt – noch bevor diese in anderen russischen Städten eingeführt wurden. Der erste Fahrradring wurde bereits 2013 gebaut.
„Gelbe Linie“ in Saratow
Die örtliche Verwaltung billigte auch seine Idee einer Fußgängerroute durch das Zentrum von Saratow „Gelbe Linie“. Anton Bogner und zwei Gleichgesinnte schlugen sie 2021 der Stadtverwaltung vor. Ende 2022 war es soweit. Entlang des Streckenverlaufs wurden Infotafeln aufgestellt. Die QR-Codes verweisen auf die Webseite yellow-line.ru. Dort kann man sich ein Bild von der Stadt und ihrer architektonischen Entwicklung über 300 Jahre hinweg machen.
Dann schlug Anton Bogner vor, an allen geschichtlich und architektonisch interessanten Gebäuden im Stadtzentrum Tafeln mit QR-Codes anzubringen. Die Hälfte davon ist mit den Namen deutscher Kolonisten verbunden. Anton hat mehr als 200 Fassaden historischer Gebäude gezeichnet und ins Netz gestellt. „Wenn alles klappen würde, könnten wir von einem einheitlichen Museumsraum für den historischen Teil Saratows sprechen. So etwas gibt es nicht einmal in Europa“, sagt der junge Architekt. Aber diese Initiative hat noch keine Unterstützung in der Stadtverwaltung gefunden.
Aber Anton Bogner beschränkt sich nicht auf die Grenzen von Saratow. Kürzlich schlug er Pläne zur Entwicklung des touristischen Potenzials von zwei Dörfern in der Region vor, die einst deutsche Kolonien waren. Beide Dörfer sind interessante Ausflugsziele für Besucher aus nah und fern: Sie haben Ruinen deutscher Kirchen.
Lutherische Kirche in Lipowka
Eine der Ruinen befindet sich in Lipowka, in einem 1766 von Wolgadeutschen gegründeten Dorf 40 Kilometer östlich von Saratow. Die Kirche ist relativ gut erhalten: Es gibt Mauern mit gotischen Stilelementen, einen Turm und die Originalglocke. Im vergangenen Jahr wurde dank der Bemühungen der lokalen Aktivistin Tatjana Lukaschewa ein Schild an der Kir-che angebracht: „Lutherische Kirche. 19. Jh. Objekt des kulturellen Erbes von regionaler Bedeutung. Geschützt durch den Staat“.
Tatjana hatte mehrere Jahre lang nach einem Mäzen gesucht, der die Restaurierung der Kirche finanzieren würde. Jemand aus Deutschland bot ihr sogar seine Hilfe an. Doch seit Februar 2022 meldete sich der potenzielle Sponsor nicht mehr bei ihr.
Dann beschlossen Tatjana Lukaschewa und Anton Bogner, einen anderen Weg zu gehen und klein anzufangen. Jetzt wollen sie die zahlreichen Strommasten entfernen, die noch direkt neben der Kirche stehen. Auf diese Weise würde ein Platz mit majestätischen Ruinen im Hintergrund entstehen. Und es würde möglich sein, einige Events darauf zu organisieren. Anton Bogner träumt davon, in Lipowka ein Festival der Sinfonieorchester zu veranstalten. „Und während des Festivals wird sich plötzlich jemand für die Restaurierung der Kirche interessieren“, träumt der junge Architekt. „Zumindest für die Konservierung und die Restaurierung der Turmspitze.“
Im April dieses Jahres erstellte Anton Bogner mit Hilfe von Computerprogrammen eine Simulation des Projekts. Tatjana brachte sie zur Landkreisverwaltung. Es geht um 200 000 Rubel (etwa 2000 Euro). Das Geld wurde aber noch nicht bewilligt.
Katholische Kirche in Sowjetskoje
Das Projekt zur Erhaltung der ehemaligen katholischen Kirche in Sowjetskoje (früher – Mariental) ist ebenfalls „eingefroren“. Die Initiative zu seiner Entwicklung ging von Sergej Gerstner, einem Rechtsanwalt aus Saratow, aus. Seine Vorfahren lebten einst in Mariental. In der dortigen Kirche, erbaut in den 1830er Jahren, wurden sie getauft und getraut. Nach einem Brand 2001 blieben von dem Gebäude nur noch die Mauern und riesige Säulen übrig. Anton Bogner erstellte ein 3-D-Modell der Kirche und zeigte, wie sich die Gegend nach ihrer Restaurierung verändern wird.
Gerstner und Bogner schlugen vor, das ehemalige Gotteshaus in ein Kulturhaus umzuwandeln und ein Museum zum Gedenken an die Opfer des Stalinterrors zu eröffnen. An den Mauern sollte ein kleiner Park angelegt und Aprikosenbäume gepflanzt werden. Deren Blüte würde Hunderte von Touristen anlocken. „Aber zuerst wäre es gut, eine Straße von Lipowka nach Sowjetskoje durch die ehemaligen Kolonien Herzog und Graf zu bauen (jetzt gibt es keine Siedlung mehr an ihrer Stelle, Anm. d. Red.). Und dann könnten wir über den Goldenen Ring der Wolgadeutschen sprechen“, sagt Bogner. Heute liegen etwa 10 Kilometer zwischen den beiden Siedlungen, aber da es keine direkte Verbindung gibt, dauert die Fahrt mit dem Auto etwa drei Stunden.
Lutherische Kirche in Podstepnoje
Anton hat eine Menge Ideen. Er steckt viel Zeit und Mühe in die Entwicklung von solchen Projekten. Und er bedauert, dass er fast keine Unterstützung findet. Weder von Studenten – denn ausgebildete Architekten interessieren sich kaum für solche Projekte, für die die Behörden und Unternehmenkeine Pläne zur Sanierung haben – noch von den Anwohnern. Anton meint, dass einer der Gründe dafür die starke Abwanderung der Bevölkerung sowohl in Saratow selbst als auch in der Region sei.
„Ich möchte noch das 3-D-Modell der Kirche in Rosenheim (heute das Dorf Podstepnoje, etwa 30 Kilometer von Lipowka, Anm. d. Red.) entwickeln und dann aufhören“, sagt Anton Bogner. Ihm zufolge ist die deutsche Kirche in Podstepnoje das einzige Objekt dieser Art in der Region Saratow, dessen Innenraum vollständig erhalten ist. In den Sowjetjahren wurden die Balken mit vielen Farbschichten überzogen und der Boden mit Beton ausgegossen. Dies hatte teilweise Einfluss auf ihre Erhaltung. Für die Konservierung werden keine großen Mittel benötigt. „Wenn wir die deutschen Kirchen in der Wolgaregion jetzt nicht wissenschaftlich erhalten, wird in 20 bis 30 Jahren nichts mehr von ihnen übrig sein“, sagt Anton Bogner.
Olga Silantjewa