Russlands Unis: „Welten“ von Weltniveau entfernt

2013 nahm sich Russland vor, bei der Hochschulbildung nichts weniger als einen Durchbruch im internationalen Vergleich zu erzielen. Im Verlaufe von sieben Jahren sollten fünf russische Hochschulen unter die besten 100 Universitäten der Welt vorstoßen. Das ambitionierte Programm „5-100“ läuft im Mai 2020 aus. Und schon jetzt ist klar, dass es höchstens zu einem Durchbrüchchen reicht.

Die Moskauer Staatliche Universität ist nach wie vor Russlands Vorzeige-Hochschule. © Tino Künzel

Lesen bildet. Aber wer nicht bis zu Ende liest, der bildet sich leicht etwas ein. Als Mitte Juni die neueste Ausgabe der QS World University Rankings für das Jahr 2020 veröffentlicht wurde, da konnte man die Ergebnisse aus russischer Sicht für eine gute Nachricht halten. Die bestplatzierten Hochschulen aus Russland verbesserten durch die Bank ihre Vorjahresresultate im Ranking. Die Moskauer Staatliche Universität landete diesmal auf Rang 84 und schnitt damit so positiv ab wie seit 2005 nicht mehr, als sie den 79. Rang belegte.

Doch all diese Teilerfolge sind ein bisschen wie das Ehrentor zum Stand von 1:10 beim Fußball. Denn sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Russland zum jetzigen Zeitpunkt ganz anders in der Weltspitze vertreten sein wollte und seine selbst gesteckten Ziele auf geradezu dramatische Weise verfehlt hat.

Das auf die Jahre 2013 bis 2020 ausgelegte und großzügig vom Staat finanzierte Projekt „5-100“ sah vor, die Konkurrenzfähigkeit russischer Hochschulen so zu erhöhen, dass es fünf von ihnen bis zum Ende der siebenjährigen Programmdauer unter die Top 100 in den führenden internationalen Universitäten-Rankings schaffen. Dafür wurden zunächst 15 und 2015 weitere sechs Hochschulen in einem Ausschreibungsverfahren ausgewählt und gezielt gefördert.

Doch weniger als ein Jahr vor Ablauf der Frist ist die Lage ernüchternd. Nicht genug damit, dass die Moskauer Lomonossow-Uni in den QS World University Rankings die einzige russische Hochschule unter den ersten hundert ist – die nächsten folgen erst jenseits von Platz 200. Das in England erstellte Ranking umfasst 1000 Universitäten weltweit, die nach sechs Kriterien bewertet werden. Da die nächste Ausgabe erst nach Ende des Programms „5-100“ herauskommt, fixiert die diesjährige Tabelle bereits einen Endstand.

Immerhin: In den 25 im Ranking vertretenen russischen Hochschulen studieren heute 40 Prozent mehr Ausländer als noch 2013. In der Moskauer Staatsuniversität liegt deren Anteil beispielsweise bei einem Viertel. Durchaus vorteilhaft ist auch das Verhältnis von Studierenden und Lehrkräften, das an der Lomonossow-Uni 7,2 beträgt, an der LMU München (Platz 63) dagegen 36. Unter den 50 Universitäten mit dem günstigsten Koeffizienten auf diesem Gebiet sind sieben aus Russland.

Weit unterdurchschnittlich performen die russischen Hochschulen dagegen bei der Forschung: Ihre wissenschaftlichen Studien finden selten internationale Beachtung. Bei der Zitierhäufigkeit ist keine russische Uni auch nur unter den ersten 600 zu finden.

In einem Hörsaal der Moskauer Staatlichen Universität © Wladimir Pesnja/RIA Novosti

Andere renommierte Hochschul-Vergleiche wie THE World University Rankings (England) oder Academic Ranking of World Universities (China) liefern ein ganz ähnliches Bild, was Russland betrifft. Der frühere Wirtschaftsminister German Gref, angesehener Chef der Sberbank, die als eines der Vorzeigeunternehmen des Landes gilt, hatte bereits im Februar in einem Interview mit TASS scharfe Kritik an der Schwerfälligkeit des Hochschulapparats geübt. Gref sitzt im prominent und international besetzten Expertenrat des Programms „5-100“.

Im Interview sagte er, das heutige Niveau des Hochschulsystems sei „peinlich“ für ein Land mit einer so reichen wissenschaftlichen Tradition. Russland und den Westen trennten „Welten“. Bei der Schulbildung stehe man zwar ebenfalls schlechter da als die führenden Länder, doch der Abstand sei weniger eklatant und bei entsprechender Anstrengung durchaus aufzuholen. Im Universitätsbereich sei die Lage viel kritischer. Als Beispiel führte Gref, der sich persönlich wie auch bei der Sberbank für Bildungsprojekte engagiert, unter anderem an, was er beim Programm „5-100“ erlebte. So habe man im Auswahlverfahren interessierten Unis empfohlen, ihre Bewerbungen doch auf Englisch einzureichen. Schließlich war die Auswahlkommission zur Hälfte mit Ausländern besetzt. Gehalten hätten sich daran ganze drei Universitäten, so Gref. „Drei! Und dabei geht es hier nicht um Kolchosen-Vorsitzende irgendwo aus den Weiten Sibiriens, sondern um die Rektoren der wichtigsten Hochschulen, Wissenschaftler des 21. Jahrhunderts, in dem der gesamte Wissenschaftsbetrieb nun mal leider auf Englisch läuft.“

Bewerbern habe er eine Frage gestellt: „Sie wollen unter die besten hundert Hochschulen des Planeten aufrücken, leiten Ihre Universität allerdings schon viele Jahre. Was hat Sie denn daran gehindert, sich dieses Ziel schon früher zu stellen und zu versuchen, es zu erreichen? Ihre Uni hat sich im Verlaufe von anderthalb Jahrzehnten vom 460. auf den 459. Platz verbessert. Auf welch wundersame Weise soll sie denn nun innerhalb eines Jahres mehrere hundert Positionen gutmachen?“ Die „reizende“ Standardantwort sei gewesen: „Früher hat uns niemand die Aufgabe gestellt, in die Top 100 aufzusteigen.“

Was die Bewerber geantwortet hätten, als er sie bat, doch bitte zu konkretisieren, wie sich dieser Quantensprung vollziehen solle, behalte er lieber für sich, sagte Gref. „Ich will ja niemandem zu nahe treten, aber so bewältigt man große Herausforderungen nicht.“

Tino Künzel

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