Russische Prognosen für 2023: Viertes Reich und ein verarmtes Europa

Prognosen gehören zum neuen Jahr wie die Silvesterknaller. Glaubt man denen, die in Russland aus gegebenem Anlass gezündet wurden, dann wird 2023 fürchterlich – für den Westen.

Europäer verspeisen ihre Haustiere: Weihnachtsspot von RT (Screenshot vom Clip)

Als Dmitri Medwedew von 2008 bis 2012 russischer Präsident war, galt er vielen als eine Art modernere Version von Wladimir Putin. Ein Technik-Geek, der dem „rechtlichen Nihilismus“ der eigenen Bevölkerung den Kampf ansagte und dem Westen gegenüber durchaus aufgeschlossen schien. Dass sich Medwedew nach einer Amtszeit freiwillig wieder ins zweite Glied zurückversetzen ließ, sorgte sogar bei denen, die sich sehr viel weitreichendere Reformen in Russland wünschten, für Enttäuschung.

Heute ist Medwedew stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates und der Rüstungsindustrie-Kommission. Zu den einflussreichsten Politikern gehört er damit nominell nicht. Doch in jüngerer Vergangenheit hat der 57-Jährige selbst im Ausland mit Rundumschlägen gegen den Westen aufhorchen lassen wie kaum ein anderer Vertreter des russischen Establish­ments. In seinen Posts auf Telegram bedient er sich dabei einer Sprache, wie man sie eher von Kommentaren in sozialen Netzwerken kennt als vom politischen Parkett.

„Halbgebildetes deutsches Weib“

Wenn Medwedew gegen westliche Politiker schießt, dann wird etwa die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur „tollwütigen Tante Ursula“ und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zu einem „halbgebildeten deutschen Weib“. Als sich neulich die US-Botschaft in Moskau mit einem Video direkt an die Russen wandte, betitelte Medwedew die Autoren als „erstklassige Missge­burten“, „Hurensöhne“ und „wahre Erben von Reichsminister Joseph Goebbels“. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski ist für ihn ein „blutrünstiger Clown“.

Kurz vor dem Jahreswechsel hat Medwedew nun eine Liste mit zehn Vorhersagen für das neue Jahr veröffentlicht. In einem kurzen Vorwort heißt es, um diese Zeit würden sich viele in Hypothesen ergehen, was die Zukunft bringt, und darum wetteifern, wer mit den „überraschendsten oder sogar absurdesten“ aufwartet. „Auch wir wollen dazu unseren Beitrag leisten.“ Soll wohl heißen: Die folgenden Prophezeiungen sind ziemlich dick aufgetragen und nicht unbedingt wortwörtlich zu nehmen. Doch selbst als Übertreibung ist das, was Medwedew seiner Leserschaft unter der Überschrift „Was 2023 passieren kann“ offenbar zur Erheiterung serviert, starker Tobak.

Medwedews schräge Vorhersagen

Punkt fünf liest sich beispielsweise so: „Errichtung eines Vierten Reiches auf dem Territorium Deutschlands und sich ihm anschließender Satelliten (Polen, baltische Länder, Tschechien, Slowakei, Rumänien, Kiewer Republik und andere Außenseiter)“. Punkt sechs: „Krieg zwischen Frankreich und dem Vierten Reich. Teilung Europas, darunter eine neue Teilung Polens“. Zu den übrigen „Prognosen“ zählen die Rückkehr Großbritanniens in die EU, die Abspaltung Nordirlands von Großbritannien, der Zerfall der EU und das Ende des Euros, die Eroberung der westlichen Regionen der „ehemaligen Ukraine“ durch Polen und Ungarn, ein Bürgerkrieg in den USA und die Abwanderung der wichtigsten Börsen aus dem Westen nach Asien.

Zuvor hatte Medwedew bereits in einem Aufsatz in der Regierungszeitung „Rossijskaja Gaseta“ mit dem Titel „Unsere Leute, unser Boden, unsere Wahrheit“ in die Zukunft geblickt: „In den nächsten Jahren, vielleicht Jahrzehnten können wir normale Beziehungen mit dem Westen vergessen. Das ist nicht unsere Wahl. Vorerst geht es ohne sie, bis dort eine neue Generation vernünftiger Politiker an die Macht kommt. Wir werden vorsichtig und wachsam sein. Wir werden die Beziehungen mit dem großen Rest der Welt entwickeln, wo man ein normales Verhältnis zu uns pflegt.“

„Frohes antirussisches Weihnachten“

Auch der staatliche Auslandssender RT entwirft in einem Weihnachtsspot ein düsteres Bild davon, was Europa in diesem Jahr bevorsteht. Das beliebte Propaganda­motiv, wonach der Westen an seiner selbst verschuldeten Energiekrise zu Grunde geht und die frierenden Bürger sich nur noch mit drastischen Mitteln zu helfen wissen, wird hier auf die Spitze getrieben.

Eine dreiköpfige europäische Familie feiert 2021 ein heimeliges Weihnachten. Die Tochter bekommt einen Hamster geschenkt. 2022 ist das Fest schon etwas getrübt, aber dank des Hamsters in seinem Rad kann immerhin genug Strom für die Weihnachtsbaumbeleuchtung erzeugt werden. 2023 ist vom Familienidyll nur noch wenig übrig. Der Wind pfeift durch die kaputten Fenster und der Hamster ist im Suppentopf gelandet. In diesem Sinne wünscht RT ein „frohes antirussisches Weihnachten“. Man könne ja via VPN bei dem Sender vorbeischauen, wenn man wissen wolle, „wohin das alles führt“.

Der Spot wurde am 23. Dezember erstmals gesendet. Vier Tage später freute sich RT in einem Bericht über das große Echo, das er im Ausland hervorgerufen habe. Dass die Resonanz vor allem negativer Art war, wurde dabei nicht verschwiegen. Doch auch solche Reaktionen waren dem Sender offenbar durchaus recht.

Kiew ist immer noch das Ziel

Einen denkwürdigen Auftritt legte Pjotr Tolstoi, der stellvertretende Vorsitzende der Staatsduma, unterdessen im französischen Fernsehen hin. In einem Live-Interview mit dem Sender BFM TV äußerte er sich Ende November in fließendem Französisch und ohne mit der Wimper zu zucken auch zu den Perspektiven für 2023 und darüber hinaus. Tolstoi sagte unter anderem, mit Russlands Angriffen auf Energieinfrastrukturobjekte werde die Ukraine „ins 18. Jahrhundert zurückbefördert“. Die russische Armee wolle „ohne jeden Zweifel“ nach Cherson zurückkehren, von wo sie sich im Herbst zurückgezogen hatte.

Es sei weiterhin die Absicht, Kiew einzunehmen und einen Regimewechsel herbeizuführen. Friedensgespräche würden irgendwann an der polnischen Grenze stattfinden. „Vergessen Sie nicht“, so der frühere Fernsehmoderator, „dass Russland zweimal Kriege mit Europa geführt hat. Den einen haben wir in Paris beendet, den anderen in Berlin.“

Tino Künzel

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