Naoko und Co.: gefährliche Lieder

Am 15. Oktober wurde in St. Petersburg eine 18-jährige Sängerin festgenommen, die auf der Straße Lieder von Musikern sang, die in Russland als ausländische Agenten gelten. Der Fall Naoko in Fragen und Antworten.

Naoko
Diana Loginowa (Naoko) (Foto: burtusnaoko / Telegram)
Wer ist Naoko?

Unter diesem Künstlernamen tritt die Sängerin Diana Loginowa auf den Straßen von St. Petersburg auf. Die 18-jährige Musikerin ist Sängerin der Band „Stoptime“, zu der auch der Gitarrist Alexander Orlow und der Schlagzeuger Wladislaw Leontjew gehören. Seit dem Frühjahr 2025 trat die Band fast täglich auf. Die Orte und Zeiten dieser Auftritte vor Publikum kündigten die Musiker auf Telegram an. Bis zum Ende des Sommers 2025 hatte ihr Kanal mehrere tausend Abonnenten erreicht.

Warum wurde sie festgenommen?

Das Repertoire der Band ist insgesamt recht umfangreich, aber einen bedeutenden Platz darin nehmen Coverversionen von Songs bekannter Musiker ein, die in Russland als ausländische Agenten eingestuft sind. Dazu gehören beispielsweise die Sängerin Monetotschka* und Noize MC*. Dabei sind nicht alle Tracks von Autoren mit dem Status „ausländischer Agent“ unbedingt Protestsongs.  

Der Auftritt von „Stoptime“ am 11. Oktober führte jedoch zur Festnahme der Band. Unter anderem spielten die Musiker das bekannte Stück „Genossenschaft Schwanensee“ von Noize MC*, das im Mai dieses Jahres gerichtlich verboten worden war. Das Gericht entschied, dass das Lied „Äußerungen enthalten könnte, die gewaltsame Veränderungen der Grundlagen der Verfassungsordnung propagieren“. Tatsache ist, dass Tschaikowskis Ballett „Schwanensee“ eine besondere Bedeutung hat, wenn es um Politik geht: Während des Putsches 1991 wurde dieses Ballett auf allen sowjetischen Fernsehsendern ausgestrahlt. 

Wie werden die Musiker bestraft?

Am 15. Oktober wurde Naoko wegen der „Organisation einer Massenveranstaltung ohne Genehmigung der Stadtverwaltung“ verhaftet. Dies ist ein Verwaltungsdelikt. Die Haftstrafe für die Sängerin beträgt 13 Tage. Eine ähnliche Strafe erhielt der Schlagzeuger der Band, während der Gitarrist 12 Tage in Haft verbringen wird. 

Dabei sieht die städtische Gesetzgebung für Verstöße gegen die Vorschriften für Straßenmusiker eine Strafe von bis zu 5000 Rubel vor. Aber hier handelt es sich um einen anderen Fall.

Die Fotos der zierlichen jungen Frau in Handschellen verbreiteten sich rasend schnell in den sozialen Netzwerken. Ein trauriges Bild. Noch trauriger ist jedoch die Perspektive: Während Diana Loginowas 13-tägiger Haft wurden zwei weitere Protokolle gegen sie wegen „Diskreditierung der russischen Armee“ erstellt. Dies könnte zur Einleitung eines Strafverfahrens führen.

Im April 2025 wurden die Strafen für die Diskreditierung der russischen Streitkräfte verschärft. Jetzt tritt die strafrechtliche Verantwortung nicht erst bei „wiederholter Diskreditierung“ ein, sondern bereits beim ersten Mal. Und das bedeutet eine Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren.  

Wie reagieren die Menschen auf die Verhaftung der Musiker?

Natürlich sind diejenigen, die Denunziationen gegen die jungen Musiker verfasst haben, mit den aktuellen Ereignissen vollkommen zufrieden oder fordern noch härtere Maßnahmen. An Anzeigen mangelte es nicht. Dies taten der wenig bekannte 28-jährige Rapper Michail Nikolajew sowie der Abgeordnete der Staatsduma Michail Romanow. Aufrufe zu Repressionen gegen die Band verbreiteten Marina Achmedowa, Mitglied des Menschenrechtsrats beim Präsidenten, und der ultrarechte Blogger Wladislaw Posdnjakow.

Es gab jedoch auch andere Reaktionen. Junge Musiker gingen in russischen Städten auf die Straße, um ihre inhaftierten Kollegen zu unterstützen. Die Unterstützung von „Stoptime“ kostete den Straßenmusiker Jewgeni Michailow aus Jekaterinburg seine Freiheit. Er wurde festgenommen.

Was bleibt unterm Strich?

In Russland gibt es Menschen, vor allem junge, die nicht im Chor singen und im Gleichschritt marschieren wollen. Sie haben andere Lieder. Der Staat hält sie für gefährlich. Sie sind noch gefährlicher als das unsterbliche Ballett von Pjotr Tschaikowski. Und sie werden sicher nicht im Fernsehen gezeigt.  

*in Russland als ausländischer Agent eingestuft

Igor Beresin

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