Viele erinnern sich an das 8. Ostwirtschaftsforum (EEF), das vom 10. bis 13. September in Wladiwostok stattfand, wegen der Bemerkung des russischen Präsidenten zu Anatoli Tschubais. „Mir wurden Fotos gezeigt, auf denen er nicht mehr Tschubais ist, sondern ein gewisser Moshe Israilewitsch, der irgendwo dort lebt. Warum er das tut, verstehe ich nicht.“ Putin deutete an, dass der Weggang eines der berühmtesten Reformpolitiker der Jelzin-Ära nach Israel im letzten Jahr irgendwie damit zusammenhängt, dass sich im Staatsunternehmen Rosnano, das von Tschubais geleitet wurde, ein „riesiges finanzielles Loch“ gebildet habe.
Die Opposition, die diesen Satz kommentiert, konzentriert sich auf „einen gewissen Moshe Israilewitsch“ und kam erneut auf das Thema Antisemitismus in Russland zurück. Viele „kremlnahe“ Medien nehmen die finanzielle Insolvenz von Rosnano ins Visier. Und die Boulevardpresse griff dagegen die wohl am meisten gehasste Person im Land an, die zum Symbol der schwierigen Wirtschaftsreformen der 90er Jahre geworden war.
Die Idee der Entprivatisierung
Tschubais steht symbolisch für die Schocktherapie der 1990er Jahre, insbesondere allerdings für die Privatisierung des Staatseigentums. Und deshalb ist die Tatsache, dass Tschubais beim EEF in Erinnerung gerufen wurde, auch symbolisch. Schließlich sind „Entprivatisierung“ und „Verstaatlichung“ in letzter Zeit zu den beliebtesten Wörtern geworden.
Der Vorsitzende des Verbandes russischer Industrieller und Unternehmer Alexander Schochin lehnte die Idee der Entprivatisierung ab. Er ist ein seltenes Beispiel für ein politisches Schwergewicht, das noch Anfang der 90er Jahre zur Regierung des Reformators Jegor Gaidar gehörte und bis heute hohe Posten innehat. „Stabilität unter den aktuellen Bedingungen ist wichtiger als sekundäre Gründe für die Enteignung des Vermögens derzeitiger Eigentümer“, so kommentierte er die Idee der Verstaatlichung von Aktiva in einem Interview mit RBK auf dem Forum in Wladiwostok.
Seiner Meinung nach wirft die Annullierung der Ergebnisse der Privatisierung viele Fragen auf. Die privatisierten Unternehmen hätten mehrmals den Besitzer wechseln können, und nun nach 30 Jahren seit der Privatisierung sei der heutige Besitzer „in einer schlechteren Lage“. Hinzu kommt das Problem der Verjährungsfrist. Als Ausgangspunkt kann nicht die tatsächliche Privatisierung des Vermögens von vor 30 Jahren angesehen werden, sondern der Moment, in dem „neue Umstände entdeckt wurden“. Zum Beispiel, wenn ein Parlamentsabgeordneter oder ein Journalist Verstöße aufdeckte. Schochin hält diesen Stand der Dinge für seltsam. Schließlich stellt sich die Frage nach dem neuen Eigentümer: Muss es der Staat sein oder wird die Anlage erneut zur Privatisierung freigegeben?
Säule der Marktwirtschaft
Andere hochrangige Redner beim EEF sprachen ungefähr in die gleiche Richtung: der Chef der VTB-Bank Andrei Kostin, der Chef der Sberbank German Gref, der Minister für wirtschaftliche Entwicklung Maxim Reschetnikow und Maxim Oreschkin, der diesen Posten bis 2020 bekleidete. So erinnerte German Gref daran, dass „die Unverletzbarkeit der Eigentumsrechte und die Stabilität des Wirtschaftsumsatzes“ zwei Säulen der Marktwirtschaft seien. Maxim Reschetnikow betonte seinerseits die Wichtigkeit der Unverletzbarkeit der Eigentumsrechte und bezeichnete die Entprivatisierung als „einen Weg ins Nirgendwo“, der „viele Menschen demotiviert“. Schließlich machte Maxim Oreschkin in einem Interview mit RBK darauf aufmerksam, dass der Staat „kein sehr guter Eigentümer“ sei, insbesondere wenn jemand versucht, Werke in den Regionen zu verwalten, während er in Moskau sitzt.
Wie üblich hat der russische Präsident alles zu diesem Thema zusammengefasst. „Strafverfolgungsbehörden haben das Recht, im Einzelfall zu beurteilen, was in der Wirtschaft passiert“, aber alles müsse im Rahmen des Gesetzes erfolgen. Und die Regierung habe keine Entscheidungen bezüglich der Entprivatisierung getroffen. Das Hauptmotiv: Die Unternehmer können ruhig weiterarbeiten.
Die Realität
Aber wird es die Unternehmer beruhigen? Schließlich kam das Gespräch über die Vermögensbeschlagnahmung nicht aus dem Nichts. In diesem Jahr hat die Generalstaatsanwaltschaft bereits zahlreiche Klagen eingereicht. So hat das Gericht die Privatisierung eines der größten Hersteller von Methanol und Formaldehyd, Metafrax Chemicals, bereits für rechtswidrig erklärt. Im August reichte die Staatsanwaltschaft eine Klage auf Beschlagnahme von Anteilen und Beteiligungen am Bergbau- und Verarbeitungswerk Dalnegorsk zugunsten des Staates ein. Dies ist der einzige Hersteller von Borsäure in Russland.
Darüber hinaus unterzeichnete Putin im April ein Dekret „Über das Interimsmanagement bestimmter Aktiva“. Damit geht es nicht mehr um die Unternehmen, die in den 90er Jahren in Privatbesitz landeten, sondern um solche Firmen wie die Energieunternehmen Fortum und Uniper sowie die russische Tochtergesellschaft von Danone und die Brauerei Baltika, die Carlsberg gehörte. Sie alle wurden an eine externe Geschäftsführung übergeben. Diese Angelegenheiten sind viel ernster als der Name eines der Väter der Privatisierung in Russland und das Land, in dem er jetzt lebt.
Igor Beresin