Modern und mit Würde: Wie ein Bestatter seinen Berufszweig reformieren will

Russlands Bestattungswesen sei dringend reformbedürftig, meint Ilja Boltunow. Der Unternehmer möchte das ändern. Im Gespräch mit der MDZ erklärt Boltunow, wie er Beerdigungen in Russland menschlicher und schöner gestalten will.

„Trauerparks“ sollen eine würdevolle Atmosphäre des Gedenkens schaffen © ritual-service.com

Sie sind Bestatter in der dritten Generation. Wie kamen Sie dazu?

Mein Großvater hat im Zweiten Weltkrieg an der Schlacht um Königsberg teilgenommen. Dabei ist ein Marschall gefallen. Mein Großvater hat ihn begraben und so seine erste Erfahrung gemacht. Das Thema hat ihn anschließend nicht mehr losgelassen. Nach dem Krieg hat er in einem Dorf als Tischler gearbeitet und dabei immer wieder Särge hergestellt.

Wie liefen Beerdigungen in der Sowjetunion ab?

In der Sowjetunion hat es kein richtiges Bestattungswesen gegeben. Es waren elementare Beerdigungen. Das hat einen einfachen Grund. Es gab den Tischler im Dorf. An den hat man sich gewendet, wenn ein Kind geboren wurde, um eine Wiege zu bauen. Und später dann, um einen Sarg zu bekommen. Das war weniger ein Service als Subsistenzwirtschaft. Man hat dafür Schnaps oder Speck bekommen. Da mein Großvater auch gut mit Menschen umgehen konnte, haben ihn die Dorfbewohner irgendwann gebeten, bei der Organisation der Beerdigung zu helfen.

Und da haben Sie entschieden, daraus ein Geschäft zu machen?

Nach dem Ende der Sowjetunion hatten alle zu kämpfen. Auch meine Familie war auf der Suche nach einer Idee und hat sich für Beerdigungen entschieden. Denn die Menschen werden immer sterben, wie mein Großvater meinte. Und so hat er, gemeinsam mit meinem Vater als erstes ein „westliches Modell“ von Beerdigungen hier eingeführt. Es ging ihnen vor allem um die Särge, die überall auf der Welt schön waren, nur nicht bei uns. So haben sie das erste Modell entwickelt. Es wurde hundertfach bestellt, in erster Linie von Menschen aus dem kriminellen Milieu. Als ich in das Geschäft eingestiegen bin, habe ich entschieden, dass wir etwas machen müssen, was es so in Russland nicht gibt.

Und das wäre?

Wir bauen Krematorien und vergeben Franchises. Das ist in Russland einmalig. Wir haben eine eigene Infrastruktur aufgebaut, mit Krematorien, Trauerhallen, Showrooms.

Schwer vorstellbar, dass es keine Bestattungsinfrastruktur in Russland gibt.

Es gibt eine staatliche Infrastruktur. Aber dort reinzukommen ist eine Herausforderung. Man muss oft jemanden kennen oder viel Geld bezahlen. Das ist kein Service. Die Hinterbliebenen müssen viele Hindernisse überwinden, um Zugang zu bekommen. Wir existieren parallel dazu und können autark agieren.

Es könnte alles gut sein. Aber vielen lokalen Staatsdienern gefällt unsere Arbeit nicht. Sie sind genervt, da sie durch uns Geld verlieren. Deswegen befinden wir uns in einer Art Dauerkonflikt.

Ehrlich gesagt verstehe ich den Staat nicht. Er hat alle Ressourcen, setzt sie aber nicht vernünftig ein. Es ist so einfach, eine Bestattung  hübscher zu gestalten. Ich möchte der staatlichen Seite die Bemühungen ja gar nicht absprechen. Es fehlt oft einfach die Kenntnis der Außenwelt und das Gefühl dafür, was verlangt wird. Bisher habe ich aber nur in Moskau gesehen, dass durchaus etwas in die richtige Richtung getan wird. Ansonsten wirken viele Versuche einfach nur skurril. So wurden Millionen  von Rubel dafür ausgegeben, um auf Friedhöfen W-LAN und Fahrradwege einzurichten.

Sie bieten ausschließlich Feuerbestattungen an.

Ja, als privates Unternehmen dürfen wir keine Erdbestattungen durchführen. Kremation ist in Russland allerdings ein sehr schwieriges Thema. Viele haben Angst davor. Sie berufen sich dabei auf die Religion. Dabei hat die Orthodoxie nichts dagegen. Sie befürwortet Feuerbestattungen zwar nicht, verbietet sie aber auch nicht. Religion ist das eine, Markt das andere. Wenn es ein Angebot gibt, kommt die Nachfrage automatisch.    

Sie wollen auch das Erinnern an Verstorbene reformieren.

Wir planen einen ganzen Komplex. Neben den schon genannten Einrichtungen entstehen sogenannte „Erinnerungsparks“. Hier kommen die Urnen in zwei Bereichen unter. Entweder in einer Mauer oder auf einem Feld. Letztere Variante ist eine Biobestattung. Die Urnen sind abbaubar und aus der Asche des Verstorbenen wachsen Bäume. Alles soll so gestaltet sein, dass die Menschen in einer ruhigen und würdevollen Umgebung ihrer Angehörigen gedenken können. Derzeit haben wir zwei große Grundstücke für ebenjene Parks.

Und wie stehen die Russen dazu?

Die wollen es. Darum geht es ja. Sie sagen sich: verbrannt und dann? Wohin mit der Urne? Die Menschen wollen sie nicht die ganze Zeit bei sich haben oder im Meer verstreuen. Früher hat man Urnen gerne auf der Datscha vergraben. Und als die dann verkauft wurde, wussten die Enkel sehr oft nichts davon. Die Russen sind definitiv bereit, für eine würdige Erinnerung zu zahlen. Und wir schaffen diesen Ort.

Und wie erfahren die Menschen von Ihnen? Vor allem in der Provinz.

Meistens per Buschfunk. Viele kommen auch einfach auf uns zu und fragen, was wir da bauen. Wir erklären es den Menschen und bieten ihnen an, bereits zu Lebzeiten einen Vertrag über die Bestattung abzuschließen. Das macht in Russland bisher niemand.

Die Fragen stellte Daniel Säwert

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