Migrantenkinder müssen vor der Schulschwelle stehen bleiben

Der 18. Dezember ist der Internationale Tag der Migranten. Dies ist eine Gelegenheit, erneut auf ein Problem aufmerksam zu machen, das auch für Russland von Bedeutung ist. Russische Parlamentarier haben dem noch einen weiteren Grund hinzugefügt: Am 11. Dezember beschlossen sie, dass Migrantenkinder, die einen Sprachtest nicht bestanden haben, an Schulen nicht aufgenommen werden dürfen. Die Meinungen dazu gehen auseinander.

Migrantenkinder
2021 eröffnete das Rote Kreuz sein erstes Ausbildungszentrum für Migrantenkinder in Moskau. (Foto: Andrej Nikeritschew/AGN Moskwa)

Wjatscheslaw Wolodin, Vorsitzender der Staatsduma, hat sich bereits zu dieser Initiative geäußert. Er zitierte Daten des Innenministeriums und des Bildungsministeriums: Im vergangenen Schuljahr waren von 18 Millionen Schülern über 200.000 Kinder von Migranten. „Gleichzeitig haben diese Kinder, wie Lehrer berichten, oft Schwierigkeiten, das Bildungsprogramm zu bewältigen und mit Gleichaltrigen und Lehrern zu kommunizieren», sagte Wolodin.

Vorteile für alle

Seinem Kommentar nach zu urteilen, sollte die Verabschiedung des Gesetzes allen helfen. Nicht nur Lehrerinnen und Lehrer, die auch ohne Migrantenkinder genug zu tun haben, werden davon profitieren. Das Herausfiltern von Kindern, die nicht fließend genug Russisch sprechen, wird laut Wolodin auch russischsprachigen Schülern helfen. Für sie ist das niedrige Niveau der Russischkenntnisse ihrer Mitschüler „ebenfalls problematisch“. Der Vorsitzende der Staatsduma hält die neue Barriere aber auch für Migrantenkinder selbst für sinnvoll, denn Sprachprobleme in der Schule „verursachen Stress für das Kind“.

Iwan der Schreckliche und die anderen

Der Abgeordnete Oleg Nilow nannte ebenfalls einige Zahlen. Er sagte auf der Parlamentstribüne, dass das Land 100 Milliarden Rubel für die Bildung von Migrantenkindern ausgibt. Gleichzeitig ist Nilow der Meinung, dass diese Ausgaben völlig unnötig sind, da Russland im Prinzip keine Migranten braucht. Um seine Position zu belegen, machte der Abgeordnete der Partei „Gerechtes Russland – für die Wahrheit“ einen kleinen Streifzug durch die Geschichte. „Zu Zeiten Iwans des Schrecklichen lebten bis zu 10 Millionen Menschen in Russland und es war nicht schlimm, wir kamen damit zurecht. Zur Zeit von Peter dem Großen zählte die russische Bevölkerung 15 Millionen. Im Jahr 1812 hatte Russland 40 Millionen Einwohner. Und siehe da, sie kamen bis nach Paris. Der Große Vaterländische Krieg, das Jahr 1941: 110 Millionen. Wir können das auch so, ohne Migranten aufzunehmen, vor allem diejenigen, die die Sprache nicht beherrschen und die Kultur nicht kennen wollen.“

Sprachlose Russländer

Es gibt auch genügend Kritik an den neuen Regeln. Der erste Punkt, auf den die Gegner aufmerksam machen, ist der Wortlaut des Gesetzes. Im Text ist von „ausländischen Staatsbürgern“ die Rede, und das ist die einzige Formulierung, die rechtlich zulässig ist. Schließlich sollen aber Menschen mit Migrationshintergrund, die einen russischen Pass haben, die gleichen Rechte genießen wie alle anderen Russen. In diesem Fall werden entweder generell alle in der Sprache geprüft oder nur Inhaber ausländischer Pässe. Inzwischen gibt es viele russische Staatsbürger, die vor kurzem einen Pass erhalten haben, wobei sie die russische Sprache nicht ausreichend beherrschen. Auch ihre Kinder, die Russisch von den Eltern oder in ihrer Umgebung nicht mitbekommen, sind Teil des Problems.

Eine schlechte Alternative

Die wichtigste Frage ist jedoch, wohin die Kinder gehen werden, die nicht die Schule besuchen können? Was werden sie tun, während ihre Altersgenossen auf der Schulbank sitzen? Kritiker des Gesetzes befürchten, dass Migrantenkinder, die schlecht sozialisiert und schlecht an die russische Realität angepasst sind, sich bald Jugendbanden und kriminellen ethnischen Gruppen anschließen werden. So löst das Gesetz zwar ein Problem, schafft aber möglicherweise ein neues. Und vielleicht ist es ernster als die Schwierigkeiten, die die Schule für Kinder mit schlechten Russischkenntnissen bereithält. Es ist noch nicht abzusehen, wo es mehr Stress für das Kind und diejenigen, die mit ihm zu tun haben werden, geben wird.

Eine gute Lösung ist noch nicht in Sicht

Waleri Fadejew, Leiter des Präsidialrats für Menschenrechte, gibt zumindest in einigen Fällen den Eltern von Migrantenkindern die Schuld. „Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine Mutter sagt: Warum soll ich meine Tochter in die Schule schicken? Sie wird erwachsen werden und ich werde sie verheiraten.“ (Weitere Zitate von Waleri Fadejew siehe auf der Seite 6). Er spricht auch von einer Lösung des Problems, und zwar von den speziellen Kursen oder Zentren, in denen Migrantenkinder auf die Schule vorbereitet werden. Das sei zwar geplant, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass vor April 2025, wenn die neuen Vorschriften in Kraft treten, große Fortschritte in dieser Richtung gemacht werden.


Auf der Suche nach besserem Leben

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) veröffentlichte am 16. Dezember den Bericht „ILO Global Estimates on International Migrant Workers“, in dem sie die Gesamtzahl der Migranten im Jahr 2022 auf 284,5 Millionen schätzt. Die Zahl der Migranten nimmt ständig zu. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) waren es 1970 84 Millionen, was 2,3 Prozent der Weltbevölkerung entsprach, 1990 153 Millionen (2,9 Prozent) und 2020 281 Millionen (3,6 Prozent).

Seit 1970 sind die Vereinigten Staaten bei der Zahl der Migranten führend. Im Jahr 2020 lebten dort 50,6 Millionen internationale Migranten. Auf die Vereinigten Staaten folgen Deutschland (15,8 Millionen), Saudi-Arabien (13,5 Millionen) und Russland (11,6 Millionen). Unter den ausländischen Arbeitsmigranten in Russland gibt es eine große Anzahl tadschikischer Bürger. Dies ist ein politischer Faktor: Die Überweisungen der Migranten an ihre Familien aus dem Ausland machen mehr als die Hälfte des tadschikischen BIP aus.

Russland ist jedoch nicht nur eines der hauptsächlichen Aufnahmeländer von Migranten, sondern auch ein wichtiger Lieferant. Der Bericht „World Migration Report 2024“ schätzt die Zahl der Migranten mit russischen Wurzeln bis Ende 2020 auf 10,7 Millionen. In den letzten Jahren ist die Auswanderung aus dem Land sprunghaft angestiegen, sodass Russland in Bezug auf die Zahl der Emigranten die weltweite Führung beanspruchen kann. Im Jahr 1995 war Russland ebenfalls führend. Damals wurde die Zahl der Migranten mit russischem Hintergrund auf 11,4 Millionen Menschen geschätzt.

Igor Beresin

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