Mehr als rohe Gewalt: MMA begeistert in Russland Millionen

Blut, Fäuste und schreiende Menschen. Das alles gehört zum Kampfsport Mixed Martial Arts. Aber auch Taktik und mentale Stärke entscheiden über den Sieg im Ring. Das fasziniert in Russland Millionen.

Abubakar Nurmagomedow ist hochrot im Gesicht, als er sich keuchend gegen den Zaun des Käfigs lehnt. Kein Wunder, steckte doch der Hals des Russen gerade noch in einem sogenannten „Triangle choke hold“, also der angespannten Kniekehle seines Gegners aus Deutschland. David Zawada blockierte so den Blutfluss zum Kopf und gewann den Kampf in der so gut wie ausverkauften Halle des russischen Eishockeyklubs ZSKA Moskau. Hier hielt Anfang November die UFC, der Veranstalter der wichtigsten Wettkämpfe in Mixed Martial Arts (MMA), die neueste Auflage seiner „Fight Nights“ ab.

Die Nurmagomedows bei der UFC Fight Night in Moskau: Abubakar (vorn) und sein berühmter Cousin Chabib © vk.com/ufc

Beim Kampf Nurmagomedow gegen Zawada waren die Sympathien der 14.000 Zuschauer klar verteilt. Denn der Besiegte ist der Cousin von Chabib Nurmagomedow, dem UFC-Weltmeister im Leichtgewicht, seit 28 Kämpfen ungeschlagen. Vor gut einem Jahr triumphierte er in den USA auch über den früheren Champion Connor McGregor und ist spätestens seitdem einer der größten Sportstars Russlands.

Bei MMA sind alle Kampfsportarten erlaubt. So soll der tatsächlich beste Kämpfer ermittelt werden. Dabei kontern sich die verschiedenen Stile gegenseitig. Eine gut platzierte Technik einer anderen Kampfkunst kann einen bis dahin klaren Kampf jederzeit drehen. In Frankreich ist MMA noch bis 2020 illegal, weil Angriffe auf einen am Boden befindlichen Gegner und Kämpfe in einem Käfig verboten sind. Aber in Russland erfreut sich der Sport mit seiner Mischung aus Taktik und Gewalt großer Beliebtheit.

Ein Sport für Profis wie Amateure

26 Millionen sahen etwa den letzten Kampf von Chabib, den der staatliche Fernsehsender Perwij Kanal kostenlos übertrug. Auch Amateure begeistern sich für die Sportart und suchen die wachsende Anzahl an Kampfstudios auf, um von professionellen MMA-Trainern wie Sergej Grinko zu lernen. „Häufig denke ich von mir gar nicht als Kampflehrer, sondern als ein Helfer im Leben“, fasst der Träger zweier schwarzer Gürtel seinen Ansatz zusammen. Die verschiedensten Menschen kämen zu ihm in den Warjag-Kampfklub an der Twerskaja im Herzen von Moskau: Künstler, Programmierer, Polizisten. Entsprechend vielfältig seien die Ansprüche. Professionelle Erfolge seiner Kämpfer freuten ihn natürlich, aber auch ein „Dank deinem Training habe ich den Bus noch erwischt“.

Fitness für den Alltag hält Grinko nur für einen der positiven Effekte von MMA. Der Sport lehre auch schnelle Entscheidungsfähigkeit und selbstsicheres Auftreten. Viele Kämpfer seien deshalb auch außerhalb des Rings erfolgreich und würden ganz natürlich zu Anführern in ihrem Umfeld.

Auch bei Instagram ist Chabib ein Star

Führungsqualitäten attestiert Grinko auch Chabib. In Deutschland wurde der zwar vor allem bekannt, als er nach dem Kampf gegen McConnor über den Käfig sprang und dessen Team attackierte. Doch in Russland steht der fünf Sprachen sprechende Kämpfer aus der nordkaukasischen Region Dagestan ständig im Rampenlicht. Mit 18 Millionen Fans ist er der bekannteste Russe auf Instagram. Wiederholt betonte der „Adler von Dagestan“, dass er bewusst dafür in den Ring steige, um ein soziales und religiöses Vorbild sein zu können. So spricht sich der konservative Muslim etwa gegen Alkoholkonsum und Drogen aus, trifft sich mit Staatschefs und bringt immer häufiger auch selbst politische Anliegen vor. Im Konflikt der beiden Republiken Tschetsche­nien und Dagestan um den genauen Grenzverlauf forderte er etwa im Juni die Politiker und Bürger der Region dazu auf, eine respektvolle Einigung zu finden.

Das Interesse an MMA in Russland ist groß, der Publikumszuspruch bei der UFC Fight Night war entsprechend hoch. © vk.com/ufc

Dieses etwas sauberere Image ist auch im Sinne der UFC. Die hat sich weltweit als Unterhaltungsanbieter mit Millionenpublikum etabliert. Um weitere Sponsoren zu gewinnen, ist sie bemüht, den Sport stärker zu reglementieren. Öffentlich ausgetragene Fehden zwischen bekannten Kämpfern bringen zwar wertvolle Aufmerksamkeit, sind aber eigentlich ungern gesehen – und auch nicht typisch. Denn das Verhältnis der Kämpfer im Ring der Moskauer Arena ist trotz der Gewalt von sportlichem Respekt geprägt. Viele umarmen sich direkt nach dem Kampf, auch die eingangs erwähnten Zawada und Nurmagomedow.

Dieses Verhalten strahlt auf die Fans in der Halle aus. Die Stimmung ist nie aggressiv und im Gegensatz zum Fußball gibt es kaum Beleidigungen. Auch das ist ein Schlüssel für die Beliebtheit von MMA in Russland: Die Gewalt bleibt auf den Kampf limitiert. Mit dieser Kombination aus inszenierter Unterhaltung und dem modernen Drang zu körperlicher und mentaler Disziplin findet MMA eine perfekte Nische.

Lucian Bumeder

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