Es sind schon viele Gründe genannt worden, woran die Sowjetunion zerbrochen ist. Wjatscheslaw Wolodin, der Vorsitzende der Staatsduma, hat Mitte Oktober einen weiteren ins Spiel gebracht: den Erfolgsfilm „Intergirl“ von 1989. „Die Leute haben Beifall geklatscht, sie haben vor den Kinos Schlange gestanden, die ZK-Sekretäre sind hingegangen“, sagte Wolodin vor den Abgeordneten. „Im Ergebnis“ habe die Zerstörung der Sowjetunion angefangen, so Wolodin.
„Intergirl“ handelt von einer Krankenschwester, die ein Doppelleben als Prostituierte führt und in einem Leningrader Ausländerhotel einen Freier aus Schweden kennenlernt, mit dem sie in dessen Heimat zieht. Doch das große Glück findet sie dort nicht: Die westliche Welt bleibt ihr fremd.
Inbegriff der Perestroika-Kunst
Das könnte nun eine Moral sein, die ganz im Sinne von Wolodin ist, der ständig gegen den Westen wettert. Doch für ihn ist „Intergirl“ vielmehr ein Beispiel für das Versagen des Staates, der solchen schlechten Einfluss überhaupt erst zugelassen hat. Prostitution, Sex, Devisenhandel – in den 1980er Jahren war es eine Sensation, dass solche Tabuthemen plötzlich spruchreif waren. An den Kinokassen wurden 40 Millionen Zuschauer gezählt. „Intergirl“, eine sowjetisch-schwedische Co-Produktion, gilt als Inbegriff der Perestroika-Zeit in der Kunst. Der Filmkritiker Leonid Koslow schrieb damals, die größte Stärke des Films sei seine Menschlichkeit gegenüber den Figuren auf der Leinwand und den Zuschauern im Kino.
Doch andere Zeiten erfordern andere Helden. Wjatscheslaw Wolodin appellierte in der Duma, Filme über die Familie zu drehen, über einen gesunden Lebenswandel. Niemand müsse diesmal am Staat zweifeln: „Wir unterstützen das.“
Tino Künzel