Die explodierenden Gaspreise und die Angriffe aus der EU gegen die Gasgroßmacht Russland sind für Präsident Wladimir Putin Chefsache. Er wehrt sich kategorisch gegen Vorwürfe, Russland sei für die immer neuen Rekorde im Großhandel verantwortlich. Von „historischen Höchstständen“ bei den Gaspreisen spricht der Chef von Deutschlands größtem Gasimporteur Uniper, Klaus-Dieter Maubach. Bei Verbrauchern in Deutschland machen sich Sorgen breit, ob sie künftig ihre Heizrechnungen bezahlen können.
„Europa läuft vor Kälte blau an ohne russisches Gas“, titelte gerade die Moskauer Tageszeitung „Nesawissimaja Gaseta“. Andere russische Medien feiern Putin schon als möglichen Retter vor einem drohenden Kälteschock der Europäer. Der in Gaskrisen erprobte Präsident sagt, dass der Staatskonzern Gazprom helfen könne, wenn es für ihn nicht zu teuer werde. Russland sei offen für Angebote der Großabnehmer aus der EU und für neue Verträge, betonte der Kreml.
Die Lösung? Der Gastransit über die Ukraine könnte deutlich ausgeweitet werden. Doch sei das teuer für Gazprom. Es ist Putins Art zu sagen, dass die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 für den günstigen Gastransport bereitsteht. Es fehlt nur die Betriebsgenehmigung der deutschen Behörden. Der Kreml weist immer wieder darauf hin, dass die rasche Inbetriebnahme Entspannung in der Energiekrise bringen könne.
Kein Interesse an hohen Gaspreisen
Schuld an den hohen Preisen sei nicht Russland, sondern die Lage auf dem Weltmarkt – und eine verfehlte Energiepolitik der EU, betont Putin. Trotz Russlands Warnungen sei sie von Langzeitverträgen abgerückt und zum Handel an den Energiebörsen übergegangen. „Heute ist klar, dass diese Politik ein absoluter Fehler ist.“
Auch der für Energiefragen zuständige Vize-Regierungschef Alexander Nowak betont, dass Russland trotz der Gewinne für die Staatskasse kein Interesse an solch hohen Gaspreisen habe. Er sieht vielmehr die Gefahr, dass sich der Übergang zu alternativen Energien in der EU beschleunigt.
Auch beim St. Petersburger Internationalen Gas-Forum war die angespannte Lage ein Thema. Die Vorwürfe aus der EU, Russland manipuliere den Gaspreis, „um die Ostseepipeline Nord Stream 2 schneller mit Gas zu füllen, sind haltlos und absurd“, sagt Rainer Seele, der Präsident der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK). Gazprom liefere die vereinbarten Mengen, was auch Kanzlerin Angela Merkel zuletzt hervorhob.
„Kooperation statt Konfrontation“
Seele war lange Chef der Energieunternehmen Wintershall Dea und OMV, zwei der fünf europäischen Firmen, die Nord Stream 2 mitfinanzierten. „Wer an kostengünstigem Gas für deutsche und europäische Haushalte und Industriebetriebe interessiert ist, sollte auf Kooperation statt auf Konfrontation mit Moskau setzen“, meint er.
Seele kritisiert, dass in der EU zu sehr auf „das freie Spiel von Angebot und Nachfrage gesetzt wurde“. Durch den Verzicht auf langfristige Verträge für Pipelinegas gebe es Risiken, „unter deren Folgen jetzt die europäische Industrie und Millionen privater Haushalte leiden“. Deutschland verbraucht nach AHK-Angaben rund 87 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr, davon 55 Prozent aus Russland.
Doch selbst wenn Russland nicht für den Anstieg der Energiepreise verantwortlich ist, stellt sich in Europa die Frage, ob das Land Möglichkeiten ungenutzt lässt, die Lage zu entspannen. Der deutsche Diplomat und EU-Botschafter in Moskau, Markus Ederer, sagte im Interview der Moskauer Zeitung RBK, dass Russlands Ruf als verlässlicher Lieferant Schaden nehmen könne, wenn der Eindruck entstehe, das Land könne oder wolle auf den Bedarf nicht reagieren.
Prognose: Preise fallen im Frühjahr
Der Gaspreis hat sich seit Jahresbeginn verzehnfacht. Doch noch macht Gazprom die Ventile nicht auf. Zuerst müssten die eigenen Speicher im Land aufgefüllt werden, weil ein womöglich kalter Winter bevorstehe, teilte das Unternehmen mit.
In der EU drehen sich die Diskussionen deswegen vor allem um die Frage, wie in Zukunft starke Schwankungen bei den Energiepreisen vermieden werden könnten. Die Europäische Kommission will Handlungsoptionen vorschlagen. So ist denkbar, dass EU-Länder beim Einkauf von Gas zusammenarbeiten oder zumindest gemeinsame strategische Reserven anlegen. Erste Richtungsentscheidungen könnten beim nächsten regulären EU-Gipfel fallen.
Ins Gewicht fallen dürfte dabei, wie groß die Gefahr eingeschätzt wird, dass es in Zukunft erneut zu starken Preisanstiegen kommen könnte. Experten wie die EU-Energiekommissarin Kadri Simson rechnen derzeit damit, dass die Preise ab dem Frühling nach und nach fallen. Für die derzeitige Situation ist demnach der weltweite Energiehunger nach der Corona-Krise verantwortlich. Hinzu kommen geschrumpfte Gasvorräte nach dem ungewöhnlich kalten Winter, geringere Gaslieferungen wegen Instandhaltungsarbeiten an Pipelines und ein Rückgang der Gasproduktion in Europa.
Ulf Mauder, Ansgar Haase (dpa)