Haus ohne Hüter

Das legendäre Gefängnis im Zentrum von St. Petersburg soll bis Ende dieses Jahres versteigert werden. Über die Geschichte und die mögliche Zukunft des einst vorbildlichsten Gefängnisses in Europa.

Neue Konzepte für ehemaliges Gefängnis
Als Vorbild für „Kresty“ soll unter anderem das Berliner Moabit-Gefängnis gedient haben. (Foto: youtube.com)

Nach dem deutschen Vorbild

Das Strafgefängnis „Kresty“ (Kreuze) erhielt seinen Namen aufgrund des kreuzförmigen Grundrisses zweier ähnlicher Haftblocks mit Einzelzellen. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts befand sich an der Stelle des heutigen Gefängnisses eine Brauerei. Dann wurden an ihrer Stelle Weinkeller gebaut, die sogenannte „Weinstadt“, wo die Weinvorräte der ganzen Stadt gelagert wurden. Das eigentliche Haftanstalt entstand hier 1867, als in den umgebauten und umgerüsteten Lagerhallen ein Strafgefängnis eingerichtet wurde, das bis 1886 bestand.

Im Jahr 1884 wurde mit dem Bau neuer Gefängnisgebäude nach einem Entwurf des Architekten Antonij Iosifowitsch Tomischko begonnen. Der gebürtige Tscheche hatte seit vier Jahren Erfahrungen im europäischen Gefängnisbau, unter anderem soll er die fünfstrahligen sternförmigen panoptischen Gebäude des Berliner Gefängnisses Moabit besichtigt haben. Beim Bau dieses Komplexes fand der Architekt oft innovative Lösungen für technische Fragen. Das Gefängnis verfügte über eine elektrische Beleuchtung, ein autonomes Wasserversorgungssystem, eine effiziente Zwangsbelüftung und eine Wasserheizung. Nach Angaben der Allgemeinen Gefängnisverwaltung war es seinerzeit das vorbildlichste Gefängnis in Europa.

Kerenski, Trotzki und die „Volksfeinde“

Unter den Insassen der „Kresty“ befanden sich viele Persönlichkeiten. Im Jahr 1905 war beispielsweise der spätere Vorsitzende der Provisorischen Regierung und einer der Gründer der Russischen Republik, Alexander Kerenski, hier inhaftiert. Im Juli 1917 wurde der russische Berufsrevolutionär Lew Trotzki auf Beschluss der Provisorischen Regierung in einer Zelle des „Kresty“ festgehalten. Hier soll er einen detaillierten Plan zur Machtergreifung in Petrograd ausgearbeitet haben. Es handelte sich dabei um den zweiten Versuch eines Aufstandes, der schließlich erfolgreich war. Im Oktober 1917 sperrten die Bolschewiki hier die gesamte Provisorische Regierung ein, mit Ausnahme von Kerenski, der entkommen konnte.

Ansicht von „Kresty“ im Jahr 1906 (Fotograf Carl Bulla)
Ansicht von „Kresty“ im Jahr 1906. (Foto: RIA Novosti)

Während der stalinistischen Repressionen waren die Gefängniszellen überfüllt. Sogenannte Volksfeinde, die nach dem berühmten Artikel 58 des Strafgesetzbuches angeklagt waren, wurden hier festgehalten. Von 1937 bis 1953 gab es hier auch die „Scharaschka“. In diesen Forschungslaboren arbeiteten gefangene Militärspezialisten, Konstrukteure, Ingenieure, Mathematiker und Physiker, die in der Rüstungsindustrie tätig waren. Ab 1964 wurde „Kresty“ zum Untersuchungsgefängnis Nr. 1.

Ein neues Zuchause

Anfang der 2000er Jahre war die Untersuchungshaftanstalt in einem sehr schlechtem Zustand. Die Zellen waren überfüllt und es herrschten entsetzliche unhygienische Zustände. Bis zu 20 Personen waren in Zellen von 8 Quadratmetern untergebracht, die für 6 Personen ausgelegt waren, sodass sie sich beim Schlafen abwechseln mussten. Über das Schicksal der Untersuchungshaftanstalt entschied Wladimir Putin, damals noch russischer Ministerpräsident. Im April 2000 besuchte er unangekündigt „Kresty“. Als er eine der Zellen zu öffnen bat, war er von dem, was er sah, so beeindruckt, dass er die Insassen verwirrt fragte: „Wie geht es euch?“ Die Antwort war einfach: „Sehen Sie denn nicht?“ Daraufhin ordnete Putin den Bau einer neuen Untersuchungshaftanstalt für St. Petersburg an. Die Gefangenen aus dem alten „Kresty“ zogen 2017 in ihr neues Zuhause im Stadtteil Kolpino. Seitdem wurde immer wieder die Frage aufgeworfen, was mit den Gebäuden des alten Gefängnisses, die ein Architekturdenkmal von föderaler Bedeutung sind, geschehen soll.

Russisches Alcatraz?

Anfang 2020 versuchte die Leitung des Föderalen Vollzugsdienstes Geschäftsleute zu finden, die die historischen Gebäude in einen Kultur- und Erholungspark umwandeln könnten. Es schien ein Leckerbissen zu sein: mitten im Zentrum von St. Petersburg auf einer Fläche von mehr als 4 Hektar, wobei die Gebäude eine Fläche von 33 000 Quadratmetern umfassen. Und nur zwei „Kreuze“ und ein paar weitere vorrevolutionäre Gebäude als Kulturerbe anerkannt sind. Der Rest, der zu Sowjetzeiten gebaut wurde (einschließlich der Mauern), kann abgerissen werden.

So sehen „Kresty“ vom gegenüberliegenden Ufer der Newa. (Foto: Alex Fedorov/Wikipedia)
Ansicht von „Kresty“ vom gegenüberliegenden Ufer der Newa.
(Foto: Alex Fedorov/Wikipedia)

Ein Konzept, in dem die Zellen Tausende von Künstlern, Designern, Bars sowie einen Museumskomplex beherbergen könnten, ist nichts Neues. Solche Touristenmagnete locken seit langem die Menschen zum Beispiel in Dublin in das ehemalige Kilmainham-Gefängnis. Oder im berühmten amerika­nischen Gefängnis Alcatraz. Es gibt solche Objekte im niederländischen Roermond, in Stockholm und ganz in der Nähe, in Helsinki. Einige Geschäftsleute kamen sogar, um das Objekt zu besichtigen. Übernehmen wollte es aber keiner. Schließlich, nachdem sie das „nicht zum Kerngeschäft gehörende Vermögen“ sogar umsonst nicht loswerden konnte, beschloss die Föderale Strafvollzugsbehörde die Einrichtung der Föderalagentur für Verwaltung von Staatsvermögen zu übergeben.

Das Hauptproblem beim Verkauf ist nach Ansicht von Experten, dass die Fläche der Anlage zu groß ist. Und obwohl, wie sie zugeben, der Standort für ein Hotel in „Kresty“ nicht schlecht ist, wird sich das Projekt niemals rentieren, wenn der gesamte Komplex nur als Hotel genutzt wird. Sie glauben, dass eine Mischung von Funktionen rentabler ist – die Umwandlung von „Kresty“ in einen öffentlichen und geschäftlichen Raum mit Hotels, Restaurants, Co-Working Spaces und Businesszentren.

Noch etwas Geduld

Ende 2022 wurde die Einrichtung an das staatliche Unternehmen Dom.RF übergeben, das das Eigentum von Bundesbehörden veräußert. Seit Anfang 2023 wurde der Termin für die Versteigerung des ehemaligen Gefängnisses mehrmals verschoben. Einer der Gründe dafür war, dass Dom.RF den Anfangspreis der Auktion nicht festlegen konnte. Ende März dieses Jahres wurde auf der Webseite der St. Petersburger Verwaltung die Information veröffentlicht, dass die Ankündigung der Versteigerung für Juni dieses Jahres geplant ist. Dabei ist zu beachten, dass das Grundstück, auf dem sich der „Kresty“-Komplex befindet, als bebautes Gebiet ausgewiesen ist. Es ist nicht erlaubt, darauf Bau- und Rekonstruktionsarbeiten auszuführen. Vielleicht ist es gerade dieser Umstand, der potenzielle Käufer abschreckt?

Potenzielle Käufer werden sich jedoch noch etwas gedulden müssen. Wie Fontanka.ru Ende Mai unter Berufung auf den Pressedienst von Dom.RF berichtete, werden die Bedingungen, das Format und die Konditionen des Versteigerungverfahrens bis zum Ende dieses Sommers festgelegt.

Alexej Karelski

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