Großer Auftritt im kleinen Gelnhausen

Seit vorigem Jahr gibt es in der hessischen Kleinstadt Gelnhausen ein Begegnungszentrum, das speziell Spätaussiedler aus der früheren Sowjetunion bei der Integration unterstützt und ihnen ein Stück ideelle Heimat bietet. Mit so viel Leben wie unlängst bei einem einwöchigen Musikcamp war es seitdem wohl noch nie erfüllt. Die MDZ lässt Mitwirkende selbst erzählen, was ihnen diese Veranstaltung bedeutete.

Und immer ein Lächeln auf den Lippen: Bei allem Ehrgeiz war das Musikcamp stets freudbetont. (Foto: Yulianna Martens)

Daria Pervyshova

12 Jahre. Die Hamburger Sechstklässlerin ist gebürtige Moskauerin, siedelte mit ihrer Familie aber 2017 nach Deutschland um. Teilnehmerin an „The Voice Kids“ 2021.

Das Musikcamp in Gelnhausen war für mich ein unvergessliches Erlebnis in einer Atmosphäre voller Freude. Zwar hatte ich als Teilnehmerin von „The Voice Kids“ in Deutschland schon Bühnenerfahrung, aber das Camp hat mir gezeigt, dass es noch so viel zu entdecken gibt und dass Musik eine Sprache ist, die uns alle verbindet. Deshalb hat mich auch die herzliche Verbundenheit mit den anderen Mitwirkenden beeindruckt. Die gemeinsamen Auftritte waren für mich ganz besondere Momente. Auch das Fotoshooting in Gelnhausen hat mir sehr gefallen. Die Stadt ist wirklich wunderschön. Ich bin so dankbar, dass ich das alles miterleben durfte, und kann es kaum erwarten, in Zukunft wieder ein Teil davon zu sein.

Till Behr

Freiberuflicher Veranstaltungstechniker und Musikproduzent. Spielt diverse Instrumente, vor allem Schlagzeug, aber auch Gitarre und Klavier.

Mir bereitet es viel Freude, neue Talente zu fördern. Da traf es sich gut, dass die Idee des Musikcamps war, junge und kreative Leute zusammenzubringen und gemeinsam musizieren zu lassen. Ich habe dabei den Musikmacher-Workshop geleitet. Mit mittlerweile fast einem Jahrzehnt Erfahrung im Bereich Musikproduktion gebe ich mein Wissen gern weiter.

Die Teilnehmer waren alle sehr motiviert und hatten viel Spaß am gemeinsamen Musizieren. Besonders schön war, wenn junge Leute aus sich herausgegangen sind und ihre Unsicherheit überwunden haben, so dass sie zeigen konnten, welche Talente in ihnen stecken. So war eine Teilnehmerin, die sich insgesamt eher zurückhielt, letztlich bereit, ihren selbstgeschriebenen Song zu performen. Solche Erfahrungen bauen Selbstbewusstsein bei den Heranwachsenden auf. Das wird ihnen im weiteren Lebensverlauf noch viele Türen öffnen.

Olga Martens

Cheforganisatorin des Musikcamps. Gründerin der Begegnungsstätte „Zuhause in Gelnhausen und im Main-Kinzig-Kreis“.

Unsere Begegnungsstätte ist mein „Kind“, das jüngste von sechs derartigen Zentren in Hessen. Es handelt sich dabei um ein Programm der hessischen Landesregierung zur Förderung der Integration von Spätaussiedlern.

Olga Martens (links) und Margarete Ziegler-Raschdorf, die hessische Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler (Foto: Yulianna Martens)

Zum Musikcamp im Juli hatten wir Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund eingeladen, überwiegend Spätaussiedler. Sie sollten ihre musikalischen Fähigkeiten entwickeln und Kreativität entfalten können.  

Das Programm war eine sehr bunte Mischung. Aber Persönlichkeitsentwicklung ist ja auch ein komplexes Thema. Bei Workshops konnten verschiedene Kunstformen ausprobiert werden: Gitarrenspiel, afrikanisches Trommeln, intuitives Malen, szenische Bewegung, Stimmbildung und andere mehr.

Warum Musik? Fast jeder Jugendliche hat seine Playlists, bevorzugte Interpreten und Stilrichtungen. Viele träumen auch selbst davon, Musik zu machen. Sie unterstützt bei der eigenen Identitätsfindung und begleitet den nicht immer einfachen Alltag in diesem Alter.

Auch für Integration kann Musik ein probates Mittel sein. Und das nicht nur wegen dem Umgang mit Sprache über die Texte, sondern auch durch die Beteiligung an lokalen Musikvereinen. So wird der Freundschaftskreis erweitert und das Zuhause-Gefühl gestärkt. Das hat nicht zuletzt auch unser Projekt gezeigt, bei dem wir mit zwei örtlichen Musikvereinen kooperiert haben, was gemeinsame Proben und auch einen gemeinsamen Auftritt einschloss.

Ein Höhepunkt war dann natürlich das Konzert, das wir beim Fest anlässlich von 850 Jahren Gelnhausen-Meerholz aufgeführt haben. Es ist schon etwas ganz Besonderes, nicht etwa in einem Kulturhaus auf der Bühne zu stehen, sondern unter freiem Himmel, in einem uralten Hof, der bis in heutige Zeit erhalten geblieben ist und nach wie vor einen Besitzer hat.

Zum Programm des Projekts gehörten aber auch täglich zwei Stunden Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie in unserem kulturhistorischen Labor. Wo komme ich her, warum bin ich in Deutschland, was mache ich hier? Das sind Fragen, die für junge Menschen vielleicht nicht ganz oben auf der Tagesordnung stehen, die aber sozusagen „nebenbei“ mit besprochen wurden. Eine allzu ernsthafte Vertiefung war nicht beabsichtigt, aber eine hohe Emotionalität schon. Es sollten Keime gesät werden für eine spätere Auseinandersetzung mit Identitätsfragen. Denn die kommen irgendwann auf jeden Spätaussiedler zu.

Emilia Ramic

14 Jahre. Wohnt in Kassel, wo sie auch geboren wurde. Ihre Mutter stammt aus Kasachstan und zog 1990 nach Deutschland. Spielt seit ihrem elften Lebensjahr Klavier.

Als ich vom Musikcamp in Gelnhausen hörte, wollte ich unbedingt teilnehmen, da ich mich sehr für Musik interessiere. Die anderen Mitwirkenden waren alle sehr freundlich und wenn ich auch nicht gut Russisch spreche, so haben wir uns doch bestens verstanden. Es hat mir viel Spaß gemacht, die Sänger beim Konzert auf dem Klavier zu begleiten und meine Klavierstücke zu spielen. Ich bin Mitglied im Staatstheater Kassel und im Jugendchor. Der Theater-Workshop während des Musikcamps war sehr lehrreich für mich. Damit war ich für das Casting zu „Peter Pan“ am Staatstheater Kassel gut vorbereitet. Insgesamt war das Musikcamp eine ganz tolle Erfahrung und ich würde immer wieder dabei mitmachen.

Maria Bolschakowa

Autorin der „Moskauer Deutschen Zeitung“. Studiert derzeit in Regensburg und wohnt in Würzburg. Kommt aber aus Malojaroslawez in der russischen Region Kaluga.

Als der Gelnhausener Stadtteil Meerholz sein 850-jähriges Bestehen mit einem „Tag der Höfe“ feierte, war überall Musik und Gedränge. Aber der Hof, in dem die Teilnehmer des Musikcamps auftraten, schien eine besondere, fast familiäre Atmosphäre zu haben. Und das nicht nur, weil viele Eltern der Teilnehmer unter den Gästen saßen.

Die Mentoren unterstützten die Jüngsten, so gut es ging, und sorgten dafür, dass das Publikum ganz still war und die Kinder bei ihren Darbietungen nicht gestört wurden. Larissa Schmidt, die das Konzert moderierte, kennt einige der jungen Teilnehmer schon lange und war nun stolz, sie ankündigen zu dürfen.

Das Repertoire war breit gefächert. Gesungen wurde nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch, Russisch und Ukrainisch. Und das Lampenfieber war schnell verflogen. Fast ganz zum Schluss gab es dann noch einen denkwürdigen Moment. Die Großeltern eines Teilnehmers betraten die Bühne und sangen Lieder über das schwere Schicksal der Russlanddeutschen.

Larissa Schmidt

Zweite Vorsitzende des Vereins Sprach- und Partnerschaftsinitiative e.V. Leitete von 2015 bis 2019 die Sprachcamps des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur (IVDK) in Deutschland. Engagiert sich bei den Projekten in der Gelnhausener Begegnungsstätte.

Ich stamme ursprünglich aus dem deutschen Dorf Podsosnowo in Sibirien, aber lebe seit 1999 in Deutschland. Für mich haben die Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen eine große Bedeutung. Sie zu bewahren und weiterzugeben, ist besonders für Jugendliche wichtig, damit sie ihre eigene Identität finden können.

Im Laufe der Musikwoche durfte ich am kulturhistorischen Labor mitwirken und war fasziniert, mit welchem Interesse und welcher Begeisterung es angenommen wurde. Das gilt aber auch für das gesamte Camp. Das Abschlusskonzert im Rahmen der 850-Jahr-Feier von Gelnhausen-Meerholz war ein grandioser Erfolg, der hoffen lässt, dass unser Einsatz Früchte tragen wird.

Tino Künzel

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