Es geht immer nach oben

Das Wachstum des Marktes für Nahrungsergänzungsmittel kann manch einen schon verwundern. Zwei russische Produzenten erklärten der MDZ, warum das so passiert.

Der große Hersteller zeigt gerne seine Produktionslinie. (Foto: Siberian Wellness)

Die Siberian Wellness Group und die Supplement Group, mit welchen die MDZ über die Situation auf dem russischen Markt der Nahrungsergänzungsmittel sprach, weisen zwei unterschiedliche Business-Geschichten auf. Seit 1996 brachte die Siberian Wellness Group aus Nowosibirsk über 300 Produkte auf den Markt, die von Kunden in 60 Ländern der Welt geschätzt werden. Es ist ein starkes Label, welches seit langem eine stabile Position in seinem Marktsektor erobert hat und sie in den letzten Jahren noch ausgebaut hat. Siberian Wellness vertreibt seine Produkte durch Network-Marketing.

Die Supplement Group ist ein jüngerer und sich sehr dynamisch entwickelnder Produzent aus Kursk, wo die Firma über zwei Produktionsstätten mit einer Gesamtfläche von 1300 Quadratmetern verfügt. Im kommenden Frühjahr soll noch ein Betrieb mit 5000 Quadratmetern hinzukommen. Die Supplement Group begann mit Sportnahrung, erweiterte aber dann ihr Sortiment. Die Firma vertreibt ihre Produkte in Geschäften.

Die beiden Firmen eint, dass sie nicht nur Hersteller mit einer beneidenswerten Reputation, sondern auch als Branchenexperten anerkannt sind.

Wir packen das selbst

Eine der größten Veränderungen des Marktes, deren Folgen auch jetzt zu spüren sind, ist der Weggang der westlichen Firmen aus Russland. Den Verlust solcher großen Spieler wie iHerb, Amway, Herbalife kann man nicht einfach ignorieren. Es wurde eine ziemlich große Nische frei, die einheimische Produzenten rasch ausfüllen wollen.

Die Möglichkeit des Markteintritts von großen Spielern aus dem Osten und Süden – aus den sogenannten freundschaftlichen Staaten – halten viele Experten für wenig wahrscheinlich. So glaubt zum Beispiel der Generaldirektor der Supplement Group Pawel Mamajew nicht an eine solche Perspektive. „Die Inder, Türken und Chinesen erscheinen immer aktiver auf Fachmessen, aber unsere Spezifik ist ihnen nicht hinreichend bekannt und es gibt Probleme mit der Warenkennzeichnung „Ehrliches Etikett“ (das nationale System der Warenkennzeichnung und Zurückverfolgung der Produktion – Anm. d. Red.).

Der Business-Analytiker der Firma Siberian Wellness Sergej Tschebanow sieht ebenfalls Perspektiven für russische Hersteller und, das versteht sich von selbst, für seine Firma. „Wenn wir vom russischen Markt in den Jahren 2022-2023 sprechen, so ist das Hauptziel nicht der Gewinn, sondern der Marktanteil. Einige Konkurrenten verlassen den Markt und wir bemühen uns, diese Nischen zu besetzen.“

Wahnsinniges Wachstum

Es muss gesagt werden, dass auch in den vergangenen Jahren die russischen Produzenten auf dem Gebiet der Nahrungsergänzungsmittel ein fantastisches Wachstum aufwiesen (s. Infobox). So führt der Analytiker von Siberian Wellness beeindruckende Zahlen an: „Wenn man nur die Zahlen in den Berichten und Grafiken betrachtet, ist es schwer zu glauben, dass wir uns heute unter den Bedingungen einer globalen Krise entwickeln. Das Wachstumstempo bei uns ist heute so hoch wie nie. Die Kennziffern der Firma sind 2020 insgesamt um 22 Prozent gewachsen, 2021 bereits um 44 Prozent und 2022 um 48 Prozent.“ Allein im Jahr 2022 kaufte Siberian Wellness ein Werk in Europa, investierte in die Schaffung von Obstgärten und in ein neues Werk in Usbekistan, erweiterte die Betriebs- und Logistikflächen in Russland und erwarb die russische Vertriebsfirma für Parfümerie Ciel.

Auch Pawel Mamajew kann sich über die Verkaufsdynamik nicht beklagen. Er stellt fest, dass „alle 2019 Wachstum zu verzeichnen hatten“ und beschreibt den Erfolg seiner Firma mit dem Wort „Verdoppelung.“ 2018 begann die Firma, auf eigenen Flächen zu produzieren und mit den Online-Versandgeschäften Ozon und Wildberries zu arbeiten. Sie beendete das Jahr mit einer Verdoppelung. „Das war unser erstes Wachstum mit dem Multiplikationsfaktor 2. Und das zweite ‚mal 2‘ kam schon im nächsten Jahr, als die Firma ihr Abrechnungssystem in das der Systeme der Marketplaces integrierte.“ Und auch weiterhin zeigte die Supplement Group beeindruckendes Wachstum.

Covid und die Nerven

Als Hauptantrieb auf dem Markt der Nahrungsergänzungsmittel wirkte in den letzten Jahren die Corona-Pandemie. Laut Sergej Tschebanow „wuchs in dieser Zeit die Nachfrage nach Immunität.“ In dieser Zeit stieg die Nachfrage nach Probiotika um mehr als das Doppelte. Der Anstieg von Verkäufen der Ergänzungsmittel mit mehrfach angereicherten Omega-3-Fettsäuren betrug 68 Prozent. Die Pandemie war eine angespannte Zeit, die Menschen kauften häufiger Mittel mit Magnesium, deren Verkäufe um 40 Prozent anstiegen. Aber als 2022 die Ansteckungsgefahr mit Covid-19 den größten Teil der Bevölkerung in Russland nicht mehr so sehr sorgte, entstanden neue Beunruhigungsherde. Und der Verkauf von Antistress-Komplexen stieg noch stärker an.

Neue Kanäle

Natürlich machten die weltweiten Trends keinen Bogen um Russland. Richtige Ernährung und Sport, Vorbeugung gegen gesundheitliche Probleme werden schrittweise zur Norm. Und mit all dem auch der Konsum von Nahrungsergänzungsmitteln. Probiotika sind ein stetiger Trend. Nach Angaben der DSM Group betrugen im Juni 2023 die Apothekenverkäufe der zwei führenden Marken Bak-Set und Maxilak 380 Mio. Rubel bei einem jährlichen Wachstum von 18 Prozent. „Die Verkäufe des Probiotika-Komplexes „Elbivid“ aus der Produktion von Siberian Wellness waren in 7,5 Monaten dieses Jahres um 54 Prozent höher als im Vorjahr.“

Aber wichtig ist auch, dass dabei neue Verkaufskanäle entstehen, die genau auf diese Zielgruppe hinarbeiten. Pawel Mamajew: „Nahrungsergänzungsmittel dringen in Kanäle ein, für die sie eine nicht profilgerechte Kategorie sind. So entstand eine Nische mit Nahrungsergänzungsmitteln im „Goldenen Apfel“ und in „L‘étoile“ (das sind große Ketten, die sich auf den Verkauf von Kosmetik und Parfümerie spezialisieren Anm.d.Red.). Zu wichtigen Vertriebskanälen sind Ärzte und Influencer mit einem Millionenauditorium geworden und zum Beispiel auch Kurse für Ernährungsberater. Sie alle möchten mit ihren Auditorien Geld machen.“

Darauf richten die Fachleute von Siberian Wellness ihr Augenmerk. Ärzte, Fitness-Trainer und Ernährungsberater, besonders diejenigen, die über mediale Ressourcen verfügen, haben sich heute in eine wichtige Erfolgskomponente der Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln verwandelt. Erstens befördern sie die Idee der Umorientierung von der Tablettenkur auf die Prophylaxe und die Änderung des Lebensstils. Und zweitens sind sie eine unmittelbare Einnahmequelle der Hersteller.

Private Label

Solche Einnahmen generieren eine Vertragsproduktion. Diese Richtung ist auch für eine große Firma wie Siberian Wellness äußerst aktuell. „Wir werden fortfahren, unsere Vertragsproduktion weiterzuentwickeln. An unserer Reputation haben wir schon gearbeitet, unter den Bestellern sind bekannte große Marken. Jetzt erhalten wir eine solche Menge an Bestellungen für Vertragsproduktion, die den Jahresdurchschnitt des vergangenen Jahres um ein Achtfaches übersteigt.“

Vertragsproduktion: alle Hersteller sind derzeit überlastet. (Foto: Siberian Wellnes)

Analog schätzt der Generaldirektor der Supplement Group die Nachfrage nach einer eigenen Handelsmarke bei den Herstellern ein. Pawel Mamajew zufolge entwickelt die Firma ihre Produktionsstätten zügig, gewährt maximale Transparenz der Abläufe bis hin zur medialen Übertragung der Produktionsetappen, so dass die Besteller alles mit eigenen Augen sehen können, ohne die Produktionsstätten zu besuchen. Es scheint, dass sich die Hersteller auch ohne diese Zuwendungen in absehbarer Zukunft nicht über mangelnde Bestellungen beklagen müssen. „Private-Label-Kunden sind bereit, die Produkte für jeden Preis zu bestellen. Alle Produzenten sind überlastet, es ist schwer, jetzt freie Produktionskapazitäten zu finden.“

Ein Wermutstropfen

Das Problem mit der hohen Auslastung der Produktion ist natürlich nicht das Einzige. Sergej Tschebanow nennt unter anderem auch die sinkende Kaufkraft: „Die Menschen sparen an allem, darunter auch an Nahrungsergänzungsmitteln. Das Ergebnis dieses Jahres zeigt einen gestiegenen Verkauf bei den Firmen, die im unteren Preissegment arbeiten, bei gleichzeitigem Sinken der Verkäufe bei Premiumherstellern.“ Ein anderes Problem sei die Unterbrechung der Lieferketten. Der Importersatz könne nicht immer die vorherige Qualität gewährleisten, „deshalb ändern sich Rezepturen und die Produktion einiger Produkte muss gänzlich eingestellt werden.“

Letztendlich sieht Siberian Wellness eine Gefahr in der wachsenden Zahl von Verkäufern, besonders in den Versandgeschäften, die die Sicherheitsstandards und die Qualität der Produkte nicht gewährleisten können. Die Firma unterstützt die Idee der Regulierung der Verkaufsprozesse zum Schutze des Verbrauchers. Mit dieser Maßnahme könnte die Zahl der gefälschten Waren verringert werden.

Pawel Mamajew meint, dass „50 Prozent der Probleme mit dem Wachstum zu tun haben und was früher galt, funktioniert heute nicht mehr.“ Der Markt befindet sich seiner Meinung nach in einer Übergangsperiode. Dabei sollten einige Momente verändert werden. So zum Beispiel das Prozedere der staatlichen Registrierung von Nahrungsergänzungsmitteln. „Wir haben für die Registrierung von zehn Produkten eine Million Rubel bezahlt. Aber die Überführung an eine andere Produktionsstätte verlangt die Prozedur erneut zu durchlaufen. Und das sind noch einmal eine Million Rubel.“

Die Produzenten sind auch mit den veralteten Regeln nicht einverstanden: „Schauen Sie sich mal die Anforderungen an die Produktionslinie für Vitamine für Kinder an. Wenn kein Zucker drin ist, dürfen sie nicht hergestellt werden. Keine anderen, viel gesünderen Ersatzstoffe werden in Betracht gezogen. Das sind Vorschriften aus dem Jahr 1976.“ Dagegen ist schwer anzukämpfen. Auf dieser Grundlage entsteht auch die Skepsis gegenüber der Regulierungsfrage. Pawel Mamajew: „Das Wichtigste ist, man soll uns in Ruhe lassen.“ Mit allen anderen Herausforderungen werden die russischen Hersteller fertig.

INFO

Der Markt in Zahlen

Der russische Markt für Nahrungsergänzungsmittel ist in den letzten Jahren sehr gut gewachsen. In der Zeit von 2019 bis 2022 betrug das durchschnittliche Jahreswachstum über 18 Prozent. Dabei hat das Krisenjahr 2022 die Statistik nicht verdorben. Im Gegenteil: Nach Angaben der Marketingagentur DSM Group ist in dem Jahr der Sektor der Nahrungsergänzungsmittel um 19,8 Prozent gewachsen, was den Umsatz betrifft. Aber auch die Anzahl der verkauften Verpackungen war gestiegen, und das ungeachtet dessen, dass der Import der Produkte dieser Kategorie laut Angaben der Analytiker aus BusinesStat 2022 um 20,3 Prozent bis auf 88 Mio. Verpackungen gesunken war.

Igor Beresin

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