
(Foto: Aus dem Archiv von Marianna Siegen)
„Karina“ ist der umsatzstärkste Film in der Geschichte des jakutischen Kinos geworden. Was macht ihn Ihrer Meinung nach so attraktiv für ein breites Publikum?
„Karina“ ist eine Geschichte über das reale Überleben eines kleinen Mädchens, das zu einem Symbol für die Widerstandsfähigkeit und Stärke der Menschen im Norden wurde. Der Film ermöglicht ein Eintauchen in die einzigartige Welt der jakutischen Kultur mit ihren tiefen Wurzeln, ihrem Glauben und ihren Traditionen, was sicherlich für diejenigen interessant ist, die gerne neue kulturelle Aspekte kennenlernen möchten.
Der Film basiert auf einer wahren Geschichte, enthält aber viel Mystik. Die Heldin hat eine besondere Beziehung zur Natur und zu Tieren. Warum?
Ich bin eine Vertreterin des alten Volkes der Sacha. Wie bei meinen Kollegen aus Jakutien spiegeln meine Filme die jakutische Kultur und den Glauben wider. Die jakutische Religion Aar Aiyy ist nicht nur ein Abbild der Welt unserer Vorfahren, sondern beeinflusst auch das Alltagsleben und die Bräuche von heute. Das Hauptsymbol in den Lehren von Aiyy ist der Aal luuk mas (Großer Riesenbaum), ein Symbol für die Dreifaltigkeit der Welt. Kein Scherz, genau wie im Film „Avatar“. Nach Aiyy besteht die Welt aus drei Teilen: der Unterwelt, in der die bösen Geister wohnen, der Mittelwelt, in der die Menschen leben, und der Oberwelt, in der die (nicht immer guten) höchsten Gottheiten wohnen.
Wir respektieren unsere Natur, die seit Jahrhunderten die Menschen, die unter harten Bedingungen leben, ernährt. Nach unserer Religion haben der Fluss, der Wald, die Sonne und der Mond, alles, was uns umgibt, eine Seele. Und wir treten mit ihnen in einen Dialog. Mein Nachname, in lateinischen Buchstaben geschrieben, sieht sehr europäisch aus, aber Siegen bedeutet „Vielfraß“ auf Jakutisch. Die Eule symbolisiert unsere Ahnen, und im Film bedeutet das Auftauchen der Eule, dass Karina im Wald von ihren Ahnen beschützt wird.
Erfolgte Karinas Rettung dank der Unterstützung durch etwas Unerklärliches, das, wie der Retter im Film sagt, nicht in den Dienstbericht geschrieben werden kann?
Allein die Tatsache, dass ein vierjähriges Kind in der tiefen, undurchdringlichen Taiga, wo Tiere und andere Gefahren auf Schritt und Tritt lauern, überlebt hat, ist unfassbar. Meinem Verständnis nach konnten nur Geister ein wehrloses und unschuldiges Kind retten. Als wir mit dem Schreiben des Drehbuchs begannen, wurde mir klar, dass es in Jakutien genug solcher Fälle gab, aber die Dauer des Aufenthalts dieser Kinder im Wald war viel kürzer als 12 Tage. Diese Fälle begannen in den 1940er Jahren. Mysteriöserweise wurden alle Kinder ein paar Kilometer von dem Ort entfernt gefunden, an dem sie verschwunden waren, ordentlich in Gras eingewickelt, genau wie Karina. Es ist erstaunlich.
Haben irgendwelche „überirdischen Kräfte“ dem Filmteam bei der Arbeit geholfen?
Es gab einen solchen Fall. Die Kammerafrau des Films Sascha Romm kommt aus St. Petersburg, sie glaubt nicht an Geister. Eines Tages passierte etwas mit der Kamera. Ich sagte zu ihr: „Geh und füttere den Wald“, und erklärte ihr, was sie sagen sollte und wie sie es tun sollte. Sie tat alles und die Kamera funktionierte. Diese Dinge sind für uns ganz normal, aber für Neuankömmlinge und Menschen mit anderen kulturellen Einstellungen können sie überraschend sein.

Sie haben die Kamerafrau erwähnt. Ihr Team ist im Allgemeinen von Frauen geprägt.
Im Prinzip unterstütze ich die Initiative zur Schaffung eines integrativen Arbeitsablaufs und strebe eine Parität zwischen weiblichen und männlichen Mitarbeitern in allen Phasen des Produktionszyklus an. Aber bei dem Film „Karina“ wurden die Abteilungen hauptsächlich von Frauen geleitet. Drehbuchautorin ist Maria Nachodkina, Kamerafrau ist Sascha Romm, Produktionsdesignerin und Kostümbildnerin ist Jekaterina Schaposchnikowa, Schnittmeisterin ist Kamila Safina, und ich bin die Produzentin und Regisseurin. Unsere Erfahrungen können zukünftige hervorragende Kamerafrauen und Regisseurinnen inspirieren. Und zwar nicht nur aus Jakutien.
Sie verwenden die Technik der „parallelen Handlung“: Der Zuschauer sieht, wie die Suchaktion beginnt und unmittelbar danach, wie Karina noch zu Hause lebt, vier Tage zuvor.
Im Fall von „Karina“ erzählt dasDrehbuch alle 12 Tage der Reihe nach, beginnendmit dem Tag ihres Verschwindens. Aber beim Schnittwurde beschlossen, die Handlungzu „parallelisieren“. Indem wir auf viel Material verzichteten, konnten wir den Film spannend und fesselnd gestalten.
Wie haben Sie die Schauspieler für „Karina“ ausgewählt?
Im Film sind viele Laiendarsteller zu sehen, die sehr talentiert und charismatisch sind. Die echte Karina lebte im Bezirk Olekminskij, und der Film wurde dort gedreht. Einfache Bewohner dieses Bezirks spielten Rollen in den Episoden und sprachen in reiner jakutischer Sprache. Diese Sprache sprechen sie auch im normalen Leben.
Was die Besetzung von Karinas Familie betrifft, so habe ich von Anfang an nach Schauspielern gesucht, die wie echte Charaktere aussehen. Jetzt schaue ich auf die Leinwand und sehe keine Schauspieler, sondern Charaktere. Aber auch die Protagonisten kommen im Film vor: Im Finale gibt es eine dokumentarische Chronik der Suchaktion. Ich glaube, es ist wichtig, dies in einem Film wie diesem zu zeigen.

(Foto: Mitschil Jakowlew)
Haben Sie nach dem Erfolg von „Karina“ in Russland Pläne, den Film auch dem ausländischen Publikum vorzustellen, auch in Deutschland?
Ich arbeite viel mit Deutschen zusammen. Lida Kalendarewa und Alin Christian Opreya, meine Komponisten für den neuen Fantasy-Film, der auf der Mythologie Jakutiens basiert, kommen aus Deutschland. Wir schreiben die Orchestermusik unter Mitwirkung von Musikern der Berliner Philharmoniker. Wir haben auch eine langjährige freundschaftliche Beziehung zu German Films. Ich nehme häufig an den wichtigsten Filmmärkten der Welt teil, unter anderem am EFM Berlin Film Market. Wir haben vor, „Karina“ zu Genrefilmfestivals im Ausland zu schicken und ihn in Deutschland zu zeigen. Wann? Das werden wir bald wissen.
Das Gespräch führte Jekaterina Bykowa.