E-Visum: Einreise erleichtert, Antrag erschwert

Einfach mal den Roten Platz, die Eremitage oder den Baikalsee mit eigenen Augen sehen? Für Kurzreisen bis zu 16 Tagen hat Russland zum 1. August ein E-Visum eingeführt, das online beantragt werden kann und binnen vier Tagen erteilt wird. Dafür will es von besuchswilligen Ausländern allerdings alles wissen. Wirklich alles.

Die Startseite des E-Visumantrags mit Kreml, Moscow-City und Außenministerium (Foto: electronic-visa.kdmid.ru/index_en.html)

Wer sind Ihre Eltern, wann und wo wurden sie geboren? Welche Länder haben Sie in den zurückliegenden drei Jahren besucht? Nutzen Sie soziale Netzwerke und Messengerdienste? Wenn ja, dann bitte Links zu Ihren Accounts angeben.

Das sind nur einige wenige Beispiele für Pflichtfelder im Antrag für das neue E-Visum, mit dem Russland seit diesem Sommer unkompliziert zu bereisen sein soll. Die rund 60 Fragen wecken durchaus Zweifel, ob im russischen Außenministerium für potenzielle Russlandreisende eigentlich die Unschuldsvermutung gilt. Zumal Antragsteller auch tatsächlich explizit danach gefragt werden, ob sie nicht vielleicht illegale Aktivitäten auf dem Gebiet Russland geplant hätten. Sollte das der Fall sein, so möge man doch bitte spezifizieren, welche genau.

Der komplizierte Weg zum einfachen Visum

Andere Fragen in dem siebenseitigen Antrag lauten etwa: Wer finanziert Ihre Reise? Welche Bildungsreinrichtungen haben Sie abgesehen von der Oberschule besucht? Wenn Sie einen Militärdienst abgeleistet haben, dann wann und wo? Ehepaare sollten den Fragenkatalog am besten gemeinsam abarbeiten: So können sie vermutlich noch viel Interessantes übereinander erfahren.

Was die russischen Behörden mit den gesammelten Auskünften anzufangen gedenken, möchte man sich lieber gar nicht erst vorstellen. Doch selbst wer nichts dagegen hat, dermaßen ausgefragt zu werden, dürfte den Aufwand, der ihm mit dem Antrag auferlegt wird, kaum lustig finden. So sollen unter anderem bis zu zehn geplante Aufenthaltsorte in Russland aufgelistet werden, einschließlich der Anschriften und Telefonnummern der jeweiligen Hotels oder Organisationen (optional auch Faxnummer und E-Mail-Adresse). Detaillierte Angaben zu den beiden letzten Jobs sind ebenfalls erwünscht.

Sogar das Hochladen eines Fotos ist schwierig

Und welche „Organisation oder Person“ soll überhaupt besucht werden? Fragen wie diese sind dazu angetan, selbst Gutwillige ratlos zu machen. Die klassische Klientel eines E-Visums dürften Ausländer sein, die eine kleine Besichtigungsreise vorhaben, ohne dafür langwierige Vorbereitungen treffen zu wollen und ohne vor Ort jemanden zu kennen. Dass trotzdem Ansprechpartner genannt werden sollen, geht am Thema vorbei und erinnert eher an die noch aus Sowjetzeiten stammende Registrierungspraxis. Auch sie legt „Organisationen oder Personen“ eine Meldepflicht für den Ausländer auf.

Aber manch einer kommt gar nicht erst dazu, Fragen zu beantworten, sondern scheitert schon am Hochladen eines Fotos. „Nach dem achten Versuch habe ich aufgegeben“, schreibt ein Nutzer im Reiseportal Caravanistan, das auf Zentralasien spezialisiert ist. Das System habe acht verschiedene Fotos abgelehnt und dafür verschiedene Begründungen eingeblendet. Eine Aufnahme mit der Frontkamera eines High-End-Smartphones sei angeblich „verschwommen“ gewesen, ein Foto vor weißer Tapete wegen des „unruhigen Hintergrunds“ durchgefallen. Gleiches habe für ein biometrisches Passbild aus dem Automaten gegolten.

Kritik aus der Tourismusbranche

Beim Russischen Verband der Fremdenverkehrsindustrie halte man den E-Visumantrag in dieser Form für abschreckend, berichtete die Tageszeitung „Iswestija“ Anfang Oktober und schrieb von „hitzigen Diskussionen“. Branchenvertreter hätten geltend gemacht, dass der Antrag für ein gewöhnliches Touristenvisum nur 21 Fragen enthalte. Die „Iswestija“ zitiert den Chef des Moskauer Reiseveranstalters Swoj TS, Sergej Wojtowitsch, mit den Worten: „Das System ist ganz offensichtlich nicht ausgereift.“ Den Visumantrag auszufüllen, nehme „sehr viel Zeit“ in Anspruch. Ältere Touristen sollten sich an Adressen von Schulen oder Kasernen erinnern, wo sie teils vor 50 Jahren gewesen seien. Außerdem sei der Antrag nur auf Englisch verfügbar, die meisten Touristen kämen heutzutage aber aus China, den Golfstaaten, der Türkei und dem Iran, so Wojtowitsch.

Im Außenministerium wurde der „Iswestija“ mitgeteilt, man sehe keine Veranlassung, den Antrag zu verschlanken. Die angefragten Daten stünden in Relation zu den „Gefahren für die nationale Sicherheit der Russischen Föderation“, heißt es in der Antwort auf eine Anfrage. Allerdings seien Übersetzungen des Antrags ins Chinesische und Arabische in Arbeit.

Zuletzt war bekannt geworden, dass Bürgern europäischer Staaten in den ersten neun Monaten dieses Jahres 225.000 russische Visa aller Art erteilt wurden. Das sind zehn Prozent weniger als im selben Zeitraum 2022 und 86 Prozent weniger als 2019.

Tino Künzel

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