„Die Passagierin“: Auschwitz als Oper

Die polnische Schriftstellerin Zofia Posmysz überlebte das KZ Auschwitz. Ihr Trauma verarbeitete sie in einer Erzählung, die zuerst verfilmt, dann als Oper komponiert wurde. Nun feierte „Die Passagierin“ von Mieczyslaw Weinberg in Moskau Premiere.

Die Schatten der Vergangenheit haben Lisa eingeholt / Foro: Nowaja Opera

„Auschwitz hat mich nie verlassen“, sagte Zofia Posmysz 2015 in der großen Spiegel-Reportage „Die letzten Zeugen“. Die Schriftstellerin ist eine von 19 Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz. Ihre traumatische Erfahrung verarbeitete die Autorin 1962 im  Hörspiel „Die Passagierin aus der Kabine 45“, das in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde.

Die Geschichte lebt von der detaillierten Beschreibung des Lebens und des Sterbens im KZ Auschwitz. Schon beim Lesen dachte der sowjetische Komponist Mieczyslaw Weinberg an eine mögliche Inszenierung. Auch für ihn stellte die KZ-Thematik keine Abstraktion dar. Seine ganze Familie starb im Zwangsarbeitslager Trawniki. Bereits 1968 beendete der Komponist die Partitur. Die Oper „Die Passagierin“ sollte im Bolschoi-Theater uraufgeführt wer-den, dafür hatte sich sein Kollege Dmitri Schostakowitsch eingesetzt. Doch ungeachtet der begeisterten Kritik schaffte die „Passagierin“ es nicht auf die sowjetische Bühne. Ohne eine Begründung sagte erst das Bolschoi ab, dann alle weiteren Opernhäuser der Sowjetunion. Die szenische Uraufführung erfolgte erst 2010 auf den Bregenzer Festspielen. Nun hat Regisseur Sergej Schirokow die Geschichte der Passagierin auf die große Bühne der„Neuen Oper“ in Moskau gestellt.

 Konfrontation mit der Vergangenheit

Die Protagonisten der Oper sind zwei Frauen – Lisa und Marta. Lisa ist Deutsche. Zusammen mit ihrem Diplomaten-Ehemann Walther reist sie auf einem Schiff zu seinem Einsatzort nach Brasilien. Unter den Passagieren bemerkt sie eine Frau, die ihr bekannt vor-kommt. Es ist Marta, eine polnische Auschwitz-Überlebende. Während des Zweiten Weltkriegs hat Lisa als Aufseherin in Auschwitz gedient. Auf den Wellen der Erinnerung reiten die Frauen zurück in die Vergangenheit. Während Lisa all die Jahre versucht hat, ihre SS-Vergangenheit zu vergessen und Angst hatte, dass Auschwitz sie irgendwann mal einholen wird, lebt Marta diese Vergangenheit weiterhin.

Lisa und ihr Ehemann Walther treffen auf eine Bekannte: die ehemalige KZ-Insassin Marta / Foto: Nowaja Opera

Weinbergs Oper ist eine mehr-sprachige Kakophonie. Lisa, Walther und die SS-Soldaten singen auf Deutsch, Marta dagegen auf Deutsch und Russisch. Die anderen KZ-Insassen schmettern ihre Arien auf Polnisch, Französisch und Tschechisch. Die vielen Sprachen verdeutlichen, dass Leid und Qual keine Sprache kennt. Es ist nicht wichtig auf welcher Sprache die Protagonisten singen, sondern wie sie singen. Die Musik der Oper sind Klänge aus der Hölle: Ein Getöse aus Schlag- und Blasinstrumenten, schrillen Arien und einem stimm-gewaltigen Männerchor. Sie treffen bis ins Mark. Sergej Schirokow und Mieczyslaw Weinberg haben alles getan, damit die Zuschauer den Schmerz und das Grauen von Auschwitz spüren.

Und die Emotionen sind allgegenwärtig. Dafür sorgen große Videoinstallationen. Selbst wenn die Schauspieler von der Bühne gehen, sind ihre Gefühle auf dem Schirm immer sichtbar. „Wenn Menschen sich Sorgen machen, dass alle von ihren Taten erfahren, ist es zwecklos, etwas geheim zu halten“, erklärt Schirokow. „Außerdem ist Weinbergs Musik cineastisch und führt uns so zum Kino als Medium.“

Die Oper ist jeder Hoffnung beraubt. Als eine KZ-Insassin versucht zu beten, entgegnet ihr eine andere, dass Gott nicht existiere, er starb in Auschwitz. Das Einzige, an das die Häftlinge glauben, ist die Bestrafung ihrer Peiniger und die ewige Erinnerung an die Opfer der „Todesfabrik“. Deshalb tauchen in der letzten Szene Bilder der Opfer des Holocaust aus der Gedenkstätte Yad Vashem auf.

Ljubawa Winokurowa

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