Was ist eine Lawra?
Lawra heißen einige große orthodoxe Männerklöster, die eine besondere historische und geistliche Bedeutung haben. Dadurch unterscheidet sich eine Lawra von einem einfachen Kloster, welches ein Frauen- oder Männerkloster sein kann, sowohl für Hunderte, als auch für einen Einzigen. Die Lawren unterstehen direkt dem Patriarchen.
Wie viele Lawren gibt es in Russland?
In Russland gibt es fast 800 Klöster, aber nur zwei Lawren: das Kloster der Dreifaltigkeit und des Heiligen Sergius in der Nähe von Moskau und das Alexander-Newski-Kloster in St. Petersburg.
Das größte Männerkloster der Russischen Orthodoxen Kirche – das Kloster der Dreifaltigkeit und des Heiligen Sergius – wurde 1337 gegründet. Dann, im Jahre 1742, wurde ihm durch einen Erlass der Zarin Jelisaweta der Status und die Bezeichnung Lawra verliehen. Heute ist das Kloster ein Anziehungspunkt für Gläubige und Touristen. Auf dem Klostergelände befindet sich auch die Dienstresidenz des Moskauer Patriarchen.
Das Newski-Kloster wurde 1710 von Peter I. zu Ehren des Feldherren, des Fürsten von Nowgorod und Kiewer Großfürsten Alexander Newski, gegründet. Ende des 18. Jahrhunderts erhielt es per Erlass Pawels I. den Status einer Lawra.
Wie viele Lawren hat die Russisch-Orthodoxe Kirche?
Bis vor Kurzem zählten neben dem Dreifaltigkeitskloster von Sergijew Possad und dem Alexander-Newski-Kloster auch das Kiewer Höhlenkloster und zwei Klöster des heiligen Entschlafens der Gottesmutter in Potschajiw und in der Nähe von Swjatohirsk zu den Lawren der Russisch-Orthodoxen Kirche.
Das Kiewer Höhlenkloster liegt im Zentrum Kiews und wurde 1051 gegründet. 1688 erhielt es den Status einer Lawra. Das Mariä-Entschlafens-Kloster in Potschajiw befindet sich im westukrainischen Gebiet Ternopol. Es wurde im 13. Jahrhundert gegründet und erst im Jahre 1833 zur vierten Lawra des Russischen Reiches. Als „jüngste“ Lawra gilt das Kloster in Swjatohirsk, welches sich im Norden des Gebietes Donezk in der Ukraine befindet und im 15. Jahrhundert gegründet wurde. Den hohen Rang hat es seit 2004.
Was passiert heute mit den Lawren in der Ukraine?
Drei Klöster des hohen Ranges gehörten zur Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats. Nach dem Februar 2022 wandte sie sich von Moskau ab, aber für zahlreiche Kirchgemeinden und auch für drei Klöster zuständig zu bleiben, ist nicht einfach. Es gibt seit Ende 2018 in der Ukraine die Orthodoxe Kirche der Ukraine, eine autokephale orthodoxe Kirche. Diese möchte die beiden ältesten Lawren in ihrem Besitz halten.
Im November 2022 tauchte ein Video im Netz auf, wo in einer der Kirchen des Kiewer Höhlenklosters die „Lobpreisung der Heiligen Jungfrau“ auf Russisch gesungen wurde. Und das Lied handelt vom „Erwachen von Mütterchen Rus“. Danach häuften sich Kontrollen in der Kirche, Durchsuchungen und Verhaftungen setzten ein. Seit Januar 2023 ist der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats der Zugang zur Maria-Himmelfahrt-Kathedrale, der Hauptkathedrale des Klosters, und zur Refektoriumskirche verwehrt.
Im März forderte die Kiewer Regierung die Mönche auf, das Kloster zu verlassen. Danach folgte ein Teil der Mönche dem Aufruf. Der andere Teil entschloss sich zu bleiben. Diese Gottesdiener wurden von Tausenden Gemeindemitgliedern unterstützt. Der Statthalter des Kiewer Höhlenklosters, der Metropolit Pawel, wurde unter Hausarrest gestellt. Ihm werden das Schüren religiöser Feindschaft und die Verteidigung der Handlungen Russlands zur Last gelegt. Seitdem gehören die Ereignisse im Kloster zu den Top-News in Russland.
Druck wird aber auch auf das Mariä-Entschlafens-Kloster in Potschajiw ausgeübt.
Warum ist man in Russland um die Lawren in der Ukraine besorgt?
Das Kiewer Höhlenkloster gilt als inoffizieller Hauptort der ostslawischen Orthodoxie. Im März erläuterte Kyrill, Patriarch von Moskau und ganz Russland, die Bedeutung des Kiewer Höhlenklosters für die Rechtgläubigen: „Dieses Kloster ist der Ursprung der gesamten geistlichen Mönchstradition der Völker Russlands, der Ukraine und Belarus. Es ist die Wiege unserer Zivilisation und nationalen Kultur. Hier wurde die erste historische Denkschrift der Alten Rus geschrieben – die erste Chronik, hier nehmen die Schriftsprache und die Literatur unserer Völker ihren
Anfang.“
Über die Bedeutung des Kiewer Heiligtums sprechen Politiker und Kulturschaffende häufig.
Gibt es in Russland „heilige Erde“, die mit dem Kiewer Höhlenkloster vergleichbar wäre?
Die Orthodoxie kennt vier heilige Orte, die sich, wie man glaubt, unter besonderem Schutz und himmlischer Lenkung der Gottesmutter befinden.
Das sind Iberien, ein Ort, der gleich nach der Kreuzigung Jesu im 1. Jahrhundert von der Gottesmutter erworben wurde (heute liegt das in Georgien, im Kaukasus), der Heilige Berg Athos in Griechenland, das Kiewer Höhlenkloster und das Dreifaltigkeits-Seraphim-Frauenkloster im Gebiet Nischni Nowgorod.
Der Legende nach kann dieses Frauenkloster zur Lawra werden. Aber das geschiet erst vor dem Weltuntergang.
Olga Silantjewa