Covid-Impfung in Moskau: Nichts einfacher als das – auch für Ausländer

Polikliniken, Krankenhäuser, Einkaufszentren und ein Opernhaus: Sich in Moskau gegen Covid-19 impfen zu lassen, scheitert garantiert nicht am „Wo“ und auch nicht am „Wann“, denn selbst ein Termin ist nicht überall erforderlich. Wer Glück hat, der bekommt noch ein Sahnehäubchen obendrauf. Buchstäblich.

Wartende vor der Impfstation im GUM (Foto: Kyrill Sykow/AGN Moskwa)

Das GUM ist Moskaus altehrwürdigstes Kaufhaus und eine Sehenswürdigkeit für sich. Viele, die sich die Preise in den Edelboutiquen gar nicht leisten können, schlendern einfach nur durch die Gänge und schießen Selfies unter dem gewölbten Glasdach. Das ist neuerdings aber nicht mehr das Einzige, was kostenlos ist inmitten des ganzen Luxus direkt am Roten Platz. Schilder und Durchsagen weisen darauf hin: Im dritten Stock der ersten Einkaufspassage wird gegen Covid-19 geimpft. Die städtische Poliklinik Nr. 68 hat hier eine Außenstelle eingerichtet, die seit 18. Januar geöffnet ist und ohne Voranmeldung empfängt. Beim Einkaufsbummel, auf dem Nachhauseweg – egal.

Die Impfstation im Labyrinth aus Treppen, Brücken und Korridoren auch tatsächlich zu finden, ist noch die größte Schwierigkeit und alles andere völlig unkompliziert. Außer dem Pass werden auch vom Ausländer keinerlei weitere Unterlagen verlangt. Nach dem Ausfüllen eines Fragebogens zu Vorerkrankungen sitzt man ohne jegliche Wartezeit auch schon bei Ärztin Tatjana Iljina im Zimmer, denn großer Andrang herrscht an einem Montagabend Ende Januar nicht. „Da haben Sie Glück“, sagt Iljina, bis eben noch sei allerhand los gewesen. „Ich bin kaum zum Essen gekommen.“ Sie zeigt einen Stapel Fragebögen, „alles von heute“.

Ausländer? So läuft das in der Praxis

Ob sich auch Ausländer in Moskau impfen lassen können, dazu wird offiziell kaum etwas mitgeteilt. Anna Popowa, die Leiterin der staatlichen Verbraucherschutzbehörde Rospotrebnadsor, hat das neulich verneint. Vorerst stünde die Impfung nur russischen Staatsbürgern zur Verfügung, sagte sie bei einem Auftritt in der Staatsduma. Priorität sei, zunächst die eigene Bevölkerung damit zu versorgen.

Doch zu diesem Zeitpunkt waren in Moskau auch viele Ausländer bereits geimpft worden. Wie die Praxis zeigt, spielt die Staatsangehörigkeit an den Impfpunkten keine Rolle. Wenn überhaupt, dann wurden Ausländer am Anfang der Impfkampagne an ausgewählte Polikliniken verwiesen. Doch an der generellen Gleichbehandlung mit den Einheimischen änderte das nichts.

„Ich habe mich gegen Covid-19 impfen lassen und rate auch Ihnen dazu!“ Denis Prozenko, Chefarzt einer Moskauer Infektionsklinik, wirbt auf einem Aushang in der Moskauer Metro für die Impfung. (Foto: Tino Künzel)

Auch Tatjana Iljina wundert sich kein bisschen, dass ein Ausländer vor ihr sitzt. Sie ist nur neugierig: „Aus welchem Land kommen Sie denn, wenn ich fragen darf?“ Zu Deutschland fällt ihr gleich eine Geschichte ein, denn ihr Vater war in den 1980er Jahren Militärattaché an der sowjetischen Botschaft in Rom, wo folglich auch die Familie lebte. „Da hatten wir Kinder aus der DDR-Botschaft zu Besuch und waren bei denen zum Gegenbesuch. Dort habe ich zum ersten und letzten Mal sich drehende Holzfiguren am Tannenbaum gesehen.“

Und am Schluss ein Eis am Stiel

Steril ist hier vermutlich vieles, nicht aber die Atmosphäre. „Ich schreibe Ihren Namen sowohl auf Kyrillisch als auch Lateinisch in den Impfpass“, sagt Iljina noch, „wer weiß, wozu das mal gut ist.“ Es folgt der eine oder andere Stempel und im Nebenraum die Impfung selbst. Ein Gefühl, dass irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht, kommt nie auf. Nach drei Wochen wird man zurückerwartet, um sich eine zweite Komponente des Wirkstoffs verabreichen zu lassen.

In den 15 Minuten, die man sich nach der Impfung sicherheitshalber noch im Vorraum aufhalten soll, ist Zeit, ein Faltblatt für Teilnehmer zu studieren. Darin wird vor allem auf mögliche Nebenwirkungen eingegangen, etwa Kopfschmerzen, Fieber oder Übelkeit. Sie traten in Tests jedoch nur bei jedem vierten bis fünften Geimpften auf und hielten nicht länger als ein bis drei Tage an.

Beim Verlassen der Impfstation wird dann auch noch eine Frage ganz am Rande beantwortet: Was hat es wohl mit der Eistruhe im Empfangsbereich auf sich? „Sie können sich jetzt ein Eis nehmen“, heißt es freundlich. Das Eis am Stiel aus hauseigener GUM-Produk­tion erfüllt natürlich keinerlei medizi­nischen Zweck, eine nette Geste ist es aber allemal.

Studie: 91,6 Prozent Wirksamkeit

Gespritzt wird im GUM – wie überall sonst auch – der russische Impfstoff Sputnik V, entwickelt vom Moskauer Gamaleja-Forschungszentrum und finanziert vom staatlichen Fonds für Direktinvestitionen, der das Vakzin auch im Ausland vermarktet. Die Skepsis gegenüber dem Präparat war lange groß und ist bis heute nicht restlos abgeklungen. Als es im August von den russischen Behörden als erstes auf der Welt zur Produk­tion freigegeben wurde, argwöhnten viele, Russland verfolge damit in erster Linie propagandistische Ziele und stelle Schnelligkeit über Sicherheit. Die dritte, finale Testphase hatte da noch gar nicht begonnen. Inzwischen wurde eine Studie mit ihren Ergebnissen in der renommierten britischen Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht. Demzufolge weist Sputnik V eine gute Verträglichkeit auf und hat einen Wirkungsgrad von 91,6 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu erkranken, sinkt durch die Impfung also um diesen Wert, das Risiko eines mittleren oder schweren Verlaufs sogar um 100 Prozent.

Ein Fläschchen mit dem Impfstoff Gam-Covid-Vac, der unter dem Namen Sputnik V vermarktet wird. (Foto: Kyrill Sykow)

Im Januar wurde die Zulassung von Sputnik V bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) beantragt. Die Chancen stehen offenbar nicht schlecht. Russland hat bereits angeboten, im zweiten Quartal 100 Millionen Impfdosen nach Europa zu liefern.

Nach Angaben des Gamaleja-Zentrums wurden seit Anfang Dezember mit Sputnik V bereits mehr als zwei Millionen Menschen geimpft, Probanden aus der Testphase nicht mitgerechnet. Zunächst hatten Risikogruppen den Vorrang, Mitte Januar begann dann die breite Anwendung. In Moskau stehen dafür aktuell um die 100 Polikliniken zur Auswahl, mehrere Dutzend Privatkliniken sowie Impfstationen in etwa zehn Einkaufszentren (täglich von 10 bis 21 Uhr) und sogar in einem Theater, der Helikon-Oper im Stadtzentrum. Eine Übersicht aller Standorte findet sich auf der Seite des Moskauer Rathauses: www.mos.ru/city/projects/covid-19/privivka/

Erfahrungsberichte von Deutschen

Ihre eigenen Erfahrungen mit der Impfung in Moskau haben derweil auch etliche Deutsche gemacht, darunter Thorsten Gutmann (28), Leiter Kommunikation und Marketing bei der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer, und Markus Mayer (50), Geschäftsführer der Deutschen Schule Moskau. Sie haben sich Mitte Januar in unterschiedlichen Polikliniken impfen lassen. Mayer spricht in diesem Zusammenhang vom „unbürokratischsten Prozess“, den er jemals in Russland erlebt habe. „Das war alles sehr gut organisiert. Ich hatte meinen Pass, die Aufenthaltserlaubnis und eine Bescheinigung der Schule dabei. Das wollte aber alles gar niemand sehen. Man hat nur meinen Namen abgeglichen.“

Zu den Gründen, sich zu dem Schritt entschlossen zu haben, sagt Gutmann: „Ich bin hier schon sehr mobil, bei vielen Treffen dabei, oft auch im Büro. Ich möchte nichts riskieren – und auch andere nicht anstecken.“ Trotz der kritischen Berichte über Sputnik V habe er ein „Grundvertrauen“ in die russische Forschung. „Russland hat ja viel Erfahrung und führende Wissenschaftler auf dem Gebiet.“

Der Deutsche Thorsten Gutmann mit seinem Impfausweis (Foto: Privat)

Interessanterweise, so Gutmann, seien die deutschen Kollegen der Impfung gegenüber sehr viel aufgeschlossener als die russischen. Das kann auch Mayer aus dem Schulbetrieb bestätigen. Bei den Ortskräften sei das Misstrauen „sehr groß“. Er hoffe, mit seinem Beispiel zu einem Umdenken beizutragen.

Eine Online-Umfrage der Raiff­eisenbank unter Einwohnern von sieben russischen Millionenstädten ergab Anfang Februar, dass sich 49 Prozent in den kommenden drei Monaten impfen lassen wollen. Zwei Prozent gaben an, bereits geimpft zu sein. Bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts WZIOM erklärten 29 Prozent, eine großangelegte Impfkampagne abzulehnen. 57 Prozent sprachen sich dafür aus.

„Etwas Einfaches, so wie die Mir“

Markus Mayer hat die Entscheidung für sich getroffen, nachdem sich die Erkrankungen und Komplikationen im Kollegen- und Bekanntenkreis häuften. „Man weiß ja nie, wie der eigene Körper auf eine Ansteckung reagiert.“ Eine Impfung in Deutschland, etwa in den Oster- oder Sommerferien, sei für ihn wohl unrealistisch: „Wenn ich sehe, dass meine Mutter mit ihren 80 Jahren dort noch nicht geimpft wurde, dann kann man sich die Chancen ausrechnen, da als Besucher dranzukommen.“

Zu Vorbehalten gegen den russischen Impfstoff meint er: „Ich glaube, die Russen haben da wieder einmal etwas Einfaches und Erprobtes herausgebracht, so wie die Raumstation Mir. Man liest ja auch viel Gutes über den Impfstoff und beileibe nicht nur in Russland. Ich würde mich freuen, wenn Sputnik V eine Erfolgsgeschichte wird und der Spuk bald vorbei ist.“

Tino Künzel

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